Kolumne German Angst: Bald entnazifiziert?
Wer die Mitte bedienen will, muss schamlos sein. Morgen ist die Lüge vergessen. Rechte Einstellungen scheinen in allen Parteien gut aufgehoben zu sein.
A uf seine Mitte lässt Deutschland nichts kommen. Die ist heilig. Nur so kann man sich die Aufregung um die Studie „Die enthemmte Mitte“ der Uni Leipzig erklären.
Alle zwei Jahre mache man die Mitte nieder, sagte Klaus Schroeder dem Deutschlandfunk. Für den Extremismusforscher ist die Studie „belanglos“, überzeichnet. Er muss es wissen, als Autor der „Linksextremismus-Studie“ weiß Schroeder, wo Gefahr lauert.
Nun fallen die Zahlen zum Rechtsextremismus geringer aus, als man bei den Nachrichten über untergetauchte Nazis und Bürgerangriffe auf Flüchtlingsunterkünfte vermuten würde. Die Studie zeigt einen Rückgang der Personen mit einem „geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ – im Osten ein „dramatischer Rückgang“ (FAZ) auf sieben, im Westen auf fünf Prozent. „Und das soll eine ‚enthemmte Mitte‘ sein?“ fragt Jasper von Altenbockum enttäuscht.
Dabei übersehen die Kritiker das eigentlich Skandalöse der Ergebnisse. Die Verteilung eines ausgewachsenen Vorurteilskomplexes im gesamten politischen Spektrum – gegen Muslime, Flüchtlinge, Sinti, Roma, Juden, Homosexuelle.
Überhebliche Abgrenzung
41 Prozent der Befragten meinen, Muslimen solle die Zuwanderung nach Deutschland verboten werden. Die überhebliche Abgrenzung der Aufgeklärten und Liberalen von den stupiden Donald-Trump-Fans ändert nichts daran, dass sie viel gemein haben.
43 Prozent der Befragten, die der SPD nahe stehen, finden es „ekelhaft“ wenn zwei Männer oder zwei Frauen sich in der Öffentlichkeit küssen; 24 Prozent sind es unter den Grünen-, 30 unter den Linken-WählerInnen. Auch die Fremdenfeindlichkeit hat in den Bundestagsparteien eine Heimat: Sie ist am stärksten in der SPD.
Dass diese Einstellungen offenbar gut aufgehoben sind in allen – allen! – etablierten Parteien und dort nicht weiter der Rede wert sind, ist der Skandal. Das ist die Enthemmung.
Da hilft auch der angebliche Rückgang des Antisemitismus nichts (Hurra! Nur noch 11 Prozent sagen, der Einfluss der Juden sei „auch heute noch zu groß“, bald ist die Entnazifizierung abgeschlossen!).
Das Normalwerden des Vorurteils
Auch hier ist der Knackpunkt das Normalwerden eines Vorurteils, denn „ein Teil der Bevölkerung ist (…) konstant bereit, diese zu äußern“, so die Studie. Übrigens wurde ein ganzer Komplex ausgeklammert – der Israelhass. Das könnt man bereits als Symptom nehmen.
Schämen muss sich also kein SPDler, keine Grüne, keinE AnhängerIn der Linken mehr für die Vorurteile. Wieso auch? Der Staat macht’s vor – im ganz Großen bei der Vertuschung des NSU-Terrors und im Kleinen, wenn Thomas de Maizière behauptet, „dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt werden“.
Wer die Mitte bedienen will, muss schamlos sein. Morgen ist die Lüge vergessen.
Nur Studien werden an sie erinnern, in denen 59 Prozent der Befragten glauben, dass die Flüchtlinge nicht verfolgt würden, sondern es sich in Deutschland nur gut gehen lassen wollen.
So erklärt sich, warum so viele linksliberale Kreuzbergerinnen Flüchtlinge nicht als Nachbarn haben wollen. So schnell wird eine kleine rassistische Lüge in den Fängen der Mitte zum Common Sense.
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