Kolumne Geht’s noch?: Die Schande von Macerata
Nach dem rassistischen Anschlag von Macerata lassen Politik und Medien in Italien die Opfer allein. Die Rechte instrumentalisiert das Verbrechen.
G roß war am vergangenen Samstag das Entsetzen, als in der italienischen Kleinstadt Macerata ein 28-Jähriger immer wieder aus seinem Auto auf Menschen feuerte, genauer gesagt: auf Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Am Ende waren sechs Verletzte zu beklagen, fünf Männer und eine Frau, aus Nigeria, Mali, Gambia, Ghana.
Sie waren Opfer eines Rassisten geworden – doch Italiens Medien zeigten keinerlei Interesse an ihnen. Die Aufmerksamkeit galt allein dem Täter. Dass bei ihm zu Hause „Mein Kampf“ herumlag, dass er sich die Wolfsrune der Nazis auf die Schläfe hatte tätowieren lassen, dass er zugleich ohne Probleme bei der Lega Nord aktiv war, die in einer Allianz mit Silvio Berlusconis Forza Italia bei den Parlamentswahlen am 4. März antritt – all dies erfuhren wir. Für die Opfer dagegen war kein Platz.
Stattdessen gab es „Hintergrundinformationen“ über die afrikanischen Dealer in Macerata sowie eine – ausgerechnet von Lega-Nord-Chef Matteo Salvini angestoßene – Debatte darüber, ob nicht recht eigentlich die „Invasion“ der „illegalen Immigranten“ schuld sei an den Schüssen von Macerata. Tagelang dagegen befand es kein Reporter, kein Politiker für nötig, sich auf den Weg in die Krankenhäuser zu machen, um den Opfern ein Gesicht zu geben. Und das in Italien, einem Land, dessen Medien gewöhnlich viel stärker etwa als die deutschen Anteil nehmen am Schicksal von Menschen, die Opfer von Verbrechen wurden.
Von den Verletzten aus Macerata habe man lediglich erfahren, dass sie „Migranten“ seien, fiel dann auch der Zeitung La Stampa auf, ein „ohrenbetäubendes Schweigen“ sei das, ganz im Sinne derer, die eine rassistische Bluttat für ihre Kampagnen ausbeuteten.
Erst am Mittwoch fand Justizminister Andrea Orlando den Weg an die Krankenbetten der verletzten Menschen, doch weiterhin dominieren diejenigen die Szene, die ernsthaft behaupten, Schweigen sei die richtige Antwort auf die Gewalttat.
So forderte der Bürgermeister Maceratas sowohl die Absage einer für Samstag angesetzten faschistischen Kundgebung gegen die Migranten als auch die der geplanten antifaschistischen Solidaritätsdemonstration mit den Opfern, im Namen des Respekts vor den „Wunden, die die Stadt davongetragen hat“.
Das Gros der Veranstalter sagte daraufhin ab – ganz so, als sei jetzt wirklich, „die Zeit, zu schweigen“, wie der Bürgermeister auf Facebook kundtat. Für die Opfer hatte auch er kein einziges Wort übrig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Unterbringung und Versorgung
Geflüchtetenaufnahme belastet Kommunen weiterhin deutlich