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Kolumne Fremd und befremdlichDas Tier als Ware

Kolumne
von Katrin Seddig

Den Verbrauchern ist Fleisch nicht besonders viel wert. Ihr Entsetzen über Schlachthof-Skandale ist am Ende Heuchelei.

Ohne Mitleid: Schweinehälften in einem Schlachthof Foto: dpa

I ch habe mal in einer Fleischfabrik gearbeitet, acht Ferienwochen lang, und habe Innereien auseinandergeschnitten und Schweinebacken von Schweineköpfen abgeschnitten, am Band, das ist schon lange her. Und zuerst gibt es da so einen kleinen Widerstand. Weil dieses zerschnittene Schwein einen noch so ansieht, aus seinem einen Auge in diesem halben Kopf. Es ist noch so kurz erst vom Leben weg. Und es gibt so einen Widerstand, in dieses Fleisch hineinzuschneiden.

Aber dann, am Band, und wenn man es acht Stunden macht, dann schneidet man und schneidet man, und der Widerstand verschwindet. Die Arme schmerzen. Pausen nur, wenn das Band steht. Pinkeln nur, wenn das Band steht. Es ist hart. Es ist kalt. Man trifft keine eigenen Entscheidungen mehr, man wird Teil einer Maschine. Ich weiß nicht, ob es für Schlachthausmitarbeiter ähnlich ist.

Sie können sich nicht dafür entscheiden, ein Tier am Leben zu lassen. Sie müssen jedes Tier, das ihnen unterkommt, töten. Immer und immer wieder. Sie sehen dieses Tier an diesem Tag zum ersten Mal. Sie haben es nicht aufgezogen, sie haben es nicht kennengelernt. Sie können nichts für dieses Tier fühlen. Sie sollen auch nichts für dieses Tier fühlen, denn wenn sie anfingen, für ein Tier etwas zu fühlen, dann würde ihnen ihre Arbeit dadurch schwerer.

Das Mitleid mit dem Tier, das sie schlachten, müsste ihnen also von woanders her kommen. Es müsste eine Art übergeordnetes Mitleid mit dem Geschöpf sein. Sie müssten eine Art höherer Liebe empfinden, verbunden mit einem daraus resultierenden Verantwortungs- und Pflichtgefühl.

Es ist ein dekadenter Umgang mit den Tieren und mit der Umwelt
Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Ich möchte nicht ausschließen, dass so eine Haltung in einem Schlachthausmitarbeiter existiert. Ich kannte selber einen Mann, dessen Beruf das Schlachten war, und der durchaus Mitleid empfand und schonend vorging, soweit es ihm eben möglich war. Der das Quälen von Tieren aufs Schärfste verurteilte.

Aber er schlachtete allein in seiner eigenen Verantwortung in seinem eigenen Schlachthaus. Das ist teuer und aufwendig und es bedeutet, dass man kaum mehr als ein oder zwei Tiere am Tag schlachtet. Das massenhafte Schlachten in einem Schlachthaus ist nicht der Boden, auf dem solche eine Haltung sprießt. Der Mann, den ich kannte, war ein geschätzter Mensch. Er arbeitete viel, verdiente aber auch gut und war eine anerkannte Persönlichkeit in den Dörfern, in denen ich aufwuchs.

In Schlachthöfen arbeiten die Menschen oft für den Mindestlohn unter miserablen Arbeitsbedingungen. Die gesellschaftliche Anerkennung ist nicht so besonders. Unter diesen Umständen kommt es zu einer Arbeitseinstellung, die Missstände, wie den eben aufgedeckten, in einem Schlachthof in Bad Iburg, im Landkreis Osnabrück, begünstigen, die sie aber natürlich nicht entschuldigen. Es ist aber nicht nur der Vorgang des Schlachtens, bei dem Tiere so behandelt werden, es hat auch etwas mit der Haltung, auch der Verbraucher, zu tun, die ein Tier als eine bloße Ware betrachten.

Dekadenter Umgang

Die Verbraucher tun das, die verantwortlichen Tierärzte anscheinend, und die Schlachthofmitarbeiter tun es halt auch. Sie dürfen die Tiere nicht quälen, das wissen sie wohl, aber sie fühlen es nicht. Sie wollen einfach nur mit ihrer Arbeit fertig werden, irgendwie. Sie wollen es schaffen. Es ist eine Grundeinstellung, die gesellschaftlich mitgetragen wird, wenn die Hühnerbruststreifen im mediterranen Salat zum Mittagstisch in der Stadt genossen werden, während der Rest des Tieres weggeschmissen oder in ärmere Länder verschickt wird, wo dieser „Fleischabfall“ noch als Lebensmittel gilt.

Es ist ein dekadenter Umgang mit Tieren und Umwelt und es sind nicht nur Schlachthausmitarbeiter, auf die man mit Fingern zeigen sollte, weil sie die „Ware“ nicht liebevoll behandeln. Den Menschen, die nicht selber schlachten, sondern schlachten lassen, ist diese Ware nämlich auch nicht besonders viel wert. Ein Brüstchen da, ein Filetstück da, jung soll es sein, pubertäres Fleisch, kindliches Fleisch, täglich und bezahlbar. Und dann Entsetzen. Das ist, am Ende, Heuchelei.

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6 Kommentare

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  • Es denkt der Mensch, zufrieden froh:



    Ich bin kein Schlächter, blutig roh;



    doch da der Mensch kein Wurstverächter,



    so trägt die Mitschuld er am Schlächter.



    (Eugen Roth)

  • Vegetarismus oder Veganismus haben nach meiner Einschätzung vorwiegend etwas mit Empathie und Konsequenz zu tun.



    Hätten die amerikanischen Südstaaten freiwillig die Sklaverei abgeschafft, wenn es keinen Bürgerkrieg gegeben hätte?

  • Dass vom Huhn in Deutschland nur die Brust gegessen werde (die meist nach nichts schmeckt, auch nicht beim Freiland-/Bio-Hähnchen) und alle anderen Teile als Abfälle behandelt würden, ist eine Legende, die durch ständige Wiederholung nicht wahrer wird. In praktisch jedem Supermarkt, der Hühnerfleisch verkauft, bekommt man auch Keulen, Flügel oder ganze Tiere; Imbisswagen bieten halbe Hähnchen an und viele Restaurants, Fast-Food-Ketten und Lieferservices Chicken Wings. Und diese Teile werden auch massenhaft gekauft und gegessen, sonst gäbe es diese flächendeckenden Angebote nicht mehr.

  • Ein Schaf, das von einem Wolf gerissen wird, stirbt sicher einen grausameren Tod als ein Schaf, das in einem Schlachthof getötet wird. Trotzdem sind es oft dieselben Tierschützer, die über die Wiederansiedlung des Wolfs jubeln und gleichzeitig das Töten von Tieren im Schlachthof verteufeln.

    • @vulkansturm:

      Die Menge macht das Gift.

  • Der allgemwine warencharakter ist Kern des Kapktalismus.



    Alles und alle sind Ware und zur Verwertung da.



    Was sonst?