Kolumne Flimmern und Rauschen: Vorauseilender Gehorsam
Jan Böhmermann kritisiert im ORF die österreichische Regierung. Der Sender distanziert sich von seinen Äußerungen.
Wenn die Lage nicht so ernst wäre, könnte man jetzt an die wohl schönste Abmoderation eines „Tagesthemen“-Kommentars durch Ulrich Wickert erinnern. Der schloss sinngemäß mit den Worten: „Das war nicht die Meinung der 'Tagesthemen’-Redaktion, sondern von Sigmund Gottlieb vom Bayerischen Rundfunk“.
Und jetzt hat die Moderation des ORF-„Kulturmontags“ ein Interview mit Jan Böhmermann zu dessen Ausstellung „Deuscthland#ASNCHLUSS#Östereich“ (sic!) in Graz so abmoderiert: „Der ORF distanziert sich von den provokanten und politischen Aussagen Böhmermanns. Aber wie Sie wissen, darf Satire alles – und der öffentlich-rechtliche Rundfunk künstlerische Meinung wiedergeben.“
Schlimm? Schlimm! Obwohl: Dass es im ORF überhaupt noch möglich ist, auf den „Quatsch“, um den bekennden Quatschmacher Böhmermann beim Wort zu nehmen, hinzuweisen, kommt einem bei diesen Zuständen im österreichischen Mediengeschäft schon fast wie eine kleine Sensation vor.
Aber auch das ist Quatsch, noch ist Österreich medial nicht schon wieder im Austrokratismus angekommen. Sondern „nur“ unter einer Regierung mit FPÖ-Vizekanzler, die allerdings aus vollen Rohren auf den ORF schießt. Und der sich deshalb lieber absichert. Womit er in einer Rolle steckt, in der man eigentlich nur alles falsch machen kann.
Heiliger Ernst
Böhmermann hatte im Interview zum Beispiel gesagt, es sei „nicht normal, dass das Land von einem 32-jährigen Versicherungsvertreter geführt wird“, und Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ bescheinigt, „volksverhetzende Scheiße“ rauszuhauen. Das sei „kein Zustand“ – womit er komplett recht hat.
Das Gespräch, das Böhmermann – Schlingensief selig lässt grüßen – als absurd-satirischen Zirkus Halligalli („Am Ende wird kein Völkermord stehen, sondern höchstens Spaß für die ganze Familie“) angelegt hatte, zeigte dann aber das ganze Dilemma.
Medienprofi, bringt regelmäßig Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt.
Die Lage ist verdammt ernst, weshalb das Ganze plötzlich einen heiligen Ernst bekam: „Wenn Sie ’n Menschen haben wie den Armin Wolf im ORF, der sich da hinstellt, dann fragen Sie nicht: Warum stellt der sich da hin. Dann fragen Sie sich: Warum steht der als einziger da? Und warum steh ich nicht auch da?“, sagte Böhmermann über den unfreiwilligen Starmoderator der „ZiB2“, der wegen seiner rein journalistischen Herangehensweise an die FPÖ und andere Populisten unter massivem Druck steht.
Und für den Böhmermanns Schlussworte genau so gemeint waren wie für alle im ORF, die genau das tun, wozu sie da sind: nämlich Journalismus machen. „Sie stehen auch nicht in der Kritik, nur weil Sie stehen. Sie stehen einfach nur. Immer schön stehen bleiben. Das ist das Wichtigste.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott