Kolumne Die Couchreporter: Schweine seid ihr! Betrüger!
Diese Wut, wenn Serien plötzlich abgesetzt werden. War nicht das große Versprechen der Streamingdienste, dass Geschichten sich entwickeln dürfen?
F rauen schreiben keine Texte. Zumindest nicht bei News of the Week im New York Ende der 60er Jahre. Na gut, sie schreiben schon Texte, manchmal sogar in Gänze, aber dann steht ihr Name nicht drüber, sondern nur der des – selbstverständlich männlichen und viel besser bezahlten – Reporters. Kurzum: Frauen werden diskriminiert.
Willkommen bei „Good Girls Revolt“.
Und tschüß bei „Good Girls Revolt“!
Zehn Folgen lang steuert die Serie, die auf den realen Ereignissen beim Magazin Newsweek basiert, auf einen Höhepunkt zu: Verklagen die Frauen endlich ihre Chefs? Und dann ist Schluss. Der Cliffhanger ist kein Cliffhanger, er ist ein Absturz.
Amazon hat die Serie schlicht nach einer Staffel abgesetzt. Nach der letzten Folge musste ich an den Boxer Graciano Rocchigiani denken, wie er 1996 nach dem Kampf gegen Dariusz Michalczewski wütete: „Schweine seid ihr! Betrüger!“
Betrogen wie Rocky damals
Ich fühlte mich genauso betrogen wie Rocky damals, der eigentlich hätte Weltmeister werden müssen. Nur die Ringrichter hatten etwas dagegen. Den Kampf mit Technischem Unentschieden enden zu lassen – was für eine beschissene Entscheidung.
Die Absetzung von „Good Girls Revolt“ – was für eine beschissene Entscheidung.
Ja, meine Freundin und ich hätten das wissen können, bevor wir uns „Good Girls Revolt“ ansahen. Dass es keine zweite Staffel geben würde, war schon seit Dezember bekannt.
Und ja, es ist Standard, dass Serien nicht verlängert werden. „Alf“, eine der besten Serien der Fernsehgeschichte, hat kein richtiges Ende. Aber das war noch zu Zeiten des linearen Fernsehens, damals, als Sendeplätze noch ein ultraknappes Gut waren.
War das große Versprechen der großen, neuen, schönen Video-on-Demand-Welt nicht ein ganz anderes? Dass sich Serien hier entwickeln könnten? Dass sie die Zeit bekommen sollten, die sie brauchten, um erfolgreich zu werden, ohne unmittelbaren Quoten- und Werbedruck? Dass edgy Serien hier ihre Chance bekommen würden?
Leeres Versprechen
Stattdessen servierte mir Amazon ein leeres Versprechen. Immerhin toll angepriesen als persönliche Auswahl für mich. Ohne Warnhinweis, dass diese Serie ein frühes Ende, also quasi kein richtiges Ende, haben wird.
Und dann guckt man und nimmt auch die Schwächen in Kauf. Und investiert Zeit. und freut sich auf die Fortsetzung.
Schweine.
Betrüger.
Tja, scheiß drauf.
Am Ende entscheiden – trotz guter Kritiken – wohl doch nur die Abrufzahlen.
Und am Ende entscheiden bei Amazon Männer.
Zumindest soll es bei „Good Girls Revolt“ so gewesen sein. Keine Frau sei an der Entscheidung, die Serie abzusetzen, beteiligt gewesen. So sagt es zumindest die Showrunnerin Dana Calvo. Eine Recherche von The Atlantic bestätigt das.
Immerhin in diesen zwei Punkten bleibt sich das Fernsehen, egal ob alt oder neu, treu.
Mich nervt das. Ich will nicht vor dem Start jeder neuen Serie googeln müssen, ob es überhaupt nach den ersten Folgen weitergeht.
Ich will ein richtiges Ende von „Good Girls Revolt“.
Und von „Alf“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften