Kolumne Der Rote Faden: Kunst des Abschieds

Es sollte Seminare in Abschiedsmanagement geben. Die CDU, die Katholische Kirche – viele tun sich schwer damit. Nur bei der taz klappt es ganz gut.

Annegret Kramp-karrenbauer und Mike Mohring verabschieden sich mit einer Umarmung

Annegret Kramp-Karrenbauer und Mike Mohring verabschieden sich nach der Thüringen-Wahl Foto: Kay Nietfeld/dpa

Die Dinge im Griff haben – wer will, ja wer muss das nicht? Im Büro-Posteingang türmen sich die unbearbeiteten Mails, auf dem Nachttisch ungelesene Bücher und im Familienkalender die Termine, die es vorzubereiten und einzuhalten gilt. Den LADEN IM GRIFF HABEN gilt als Grundvoraussetzung gesellschaftlichen Erfolgs. Denn wer es nicht schafft, die Kinder regelmäßig zum Zahnarzt zu schicken, Texte pünktlich abzuliefern oder sich darum zu kümmern, dass ein Landesverband sich an die Parteirichtlinien hält, die es verbietet, mit Faschisten zu kooperieren, der oder die ist unten durch. Und dann heißt es Abschied nehmen vom Selbstbild als gutes Elternteil, als tüchtige Arbeitnehmerin, als gute Chefin, als Parteivorsitzende oder als Thüringer CDU-Chef. Was in den letzteren beiden Fällen auch den Abschied vom Amt bedeutet.

Abschied nehmen, das hat diese Woche gezeigt, ist eine hohe Kunst. Eigentlich müsste es Seminare für vorbildliches Abschiedsmanagement geben. Denn damit ein Abschied gelingt und keinen Schaden anrichtet, ist vieles zu beachten: Zum Beispiel den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Nicht zu früh hinwerfen – aber auch nicht so lange abwarten, dass die Rücktrittsforderungen überlaut aus allen Ecken des Internets und der Öffentlichkeit schallen.

Dass Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag ihren Rücktritt als Parteivorsitzende und den Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bekannt gab, war, so gesehen, gerade noch rechtzeitig. Viele hatten es kaum abwarten können, dass die als Vorsitzende unfähige und als Kanzlerkandidatin ungeeignete AKK ihren Platz räumt. Und dass Mike Mohring dann am Freitag die Reißleine zog, um weiteren Schaden von der angeschlagenen Thüringen-CDU abzuwenden, war konsequent. Ein Abschied darf also auch mal schnell gehen; allerdings gilt es, zu vermeiden, dass dadurch Lücken und Risse entstehen, die man so leicht nicht wieder gekittet bekommt. Denn jeder Abschied ist auch ein Neuanfang – fragt sich nur, für wen und wann.

Die Abschieds-Zeitschiene ist das größte Pro­blem für die CDU. AKK will offenbar einen planvollen Übergang gestalten: Kandidatensuche bis zum Sommer und erst auf dem Parteitag im Dezember dann die Übergabe des Vorsitzes an den oder die Gekürte. Damit macht sie denselben ­Fehler wie Merkel, die ja auch dachte, sie könnte einen ­selbstbestimmten Abschied von der Macht nehmen. In einem Großkonzern mögen solche modernen Abschiedsmanagement­methoden vielleicht funktionieren, aber nicht im machtversessenen und autoritätsfixierten ­Traditionsladen CDU. Da glichen Vorsitzendenwechsel bislang eher ­Shakespeare-Dramen, mit Dolch im Gewand und brutalem Herrscher-Meucheln. Alles oder nix, Chef(in) oder weg, Triumph oder Niederlage, anders geht es anscheinend nicht.

Abschied vom Zölibat? Fehlanzeige

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie so ein langsamer Abschied für das fragile GroKo-Gebilde funktionieren soll: Soll die SPD etwa in aller Gemütsruhe die Krönung eines Friedrich Merz hinnehmen? Und mit dem dann einfach so weiterregieren? Und soll Angela Merkel weiter die unerschütterliche Dauer-Weltkanzlerin geben, die DEN LADEN IM GRIFF hat, während sich neben ihr ein Merz breitmacht und vermutlich stänkert, wo er nur kann? Oder während ein Armin Laschet oder ein Jens Spahn versucht, in ihrem langen Schatten zur Sonne, zum Licht zu wachsen? Nein, es wird wohl etwas schneller gehen müssen, gerüchteweise fragt die Partei bereits in Großhallen Termine für den Frühling an. Die drei Herren aus NRW können ihren Auftritt anscheinend kaum abwarten.

Manchmal werden Abschiede auch herbeigesehnt und finden dann doch nicht statt. Papst Franziskus hat Mitte der Woche sein lang erwartetes Schreiben zur Amazonien-Synode vorgelegt. Die durch den dramatischen Priestermangel in den Amazonasgebieten aufgeworfenen Reformfragen beschied er darin allesamt negativ: Verheiratete Männer als Priester? Nein. Öffnung des Priestertums für Frauen? Nochmals nein. Frauen sollten ihren Beitrag zur Kirche lieber leisten, „indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben“. Und der, besonders in Deutschland erhoffte Abschied vom Zölibat? Kein Wort darüber. Reform fällt aus. Zumindest in den westlichen Ländern wird dies den unfreiwilligen Abschied von der Macht der Kirche beschleunigen.

Bei so viel Abschiedstheorie stellt sich die Frage, wie gut die taz es kann mit den Abschieden. Der Donnerstag hat gezeigt: gar nicht so schlecht. Zwar schmerzt es, wenn eine lieb gewonnene Mitarbeiterin ohne Not die heimatliche Meinungsredaktion verlässt, um sich in Trump’s own country Tennessee als rasende Wahlreporterin auszuprobieren. Aber zu einem guten Laden, der SICH IM GRIFF HAT, gehört eben auch, Abschiede würdig über die Bühne zu bringen. Und das haben wir gemacht: mit Reden, Geschenken, Whiskey, falschen Elvis-Koteletten. Und einer offenen Tür zurück ins Mutterhaus: Johanna Roth wird den Roten Faden weiter schreiben, ab sofort mit Wochenrück­blicken aus den wahlkämpfenden Südstaaten.

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Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.

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