Kölner Silvesternacht 2015: Polizeichef zu Unrecht entlassen
Kölns Polizeipräsident konnte 2016 nur entlassen werden, weil er politischer Beamter war. Das sei unzulässig, so das Bundesverfassungsgericht nun.

In der Silvesternacht 2015/16 kam es zu massiven sexuellen Übergriffen auf der Kölner Domplatte. Es gab mehr als 500 Strafanzeigen. Die Mehrheit der wenigen Tatverdächtigen, die ermittelt werden konnten, hatten eine ausländische Staatsbürgerschaft, meist aus Ländern Nordafrikas. Das löste eine bundesweite Debatte aus.
Massive Kritik gab es auch am Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers. Er habe in der Nacht die angebotene Verstärkung nicht genutzt, zunächst von einem „friedlichen“ Jahreswechsel berichtet und später die Herkunft der Täter verschleiert.
Nach einer Woche wurde Albers vom damaligen Innenminister Ralf Jäger (SPD) in den einstweiligen Ruhestand geschickt. Begründung: Man müsse das Vertrauen in die Kölner Polizei wieder herstellen. Möglich war dies, weil die 18 Polizeipräsidenten in großen NRW-Städten gesetzlich als „politische Beamte“ eingestuft sind und daher jederzeit entlassen werden können.
Klage gegen Rauswurf
Albers klagte gegen seinen Rauswurf. In zweiter Instanz setzte das Oberverwaltungsgericht Münster das Verfahren aus und legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor. Nun wurde die Karlsruher Antwort veröffentlicht. Die Einstufung der 18 NRW-Polizeipräsidenten als politische Beamte verstoße gegen das Grundgesetz und sei nichtig, erklärte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Grundsätzlich gelte für Beamte nämlich die Einstellung auf Lebenszeit, das gehöre zu den im Grundgesetz geschützten „Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ und schütze die Unabhängigkeit der Beamten.
Politische Beamte, die leicht in den Ruhestand geschickt werden können, könne es nur auf Posten geben, bei denen die fortdauernde Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung und das „politische Vertrauen der Staatsführung“ erforderlich sind, so die Vorgabe aus Karlsruhe.
Für die 18 NRW-Polizeipräsidenten gelte das nicht, entschied das Gericht, weil ihre Aufgaben in den 27 NRW-Landkreisen von gewählten Landräten wahrgenommen werden, die oft sogar Oppositionsparteien angehören, also gerade nicht regierungsnah sind. Auch sei nicht ersichtlich, dass die 18 städtischen Polizeipräsidenten in die politische Beratung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens eingebunden sind.
Das OVG Münster wird nun wohl Albers’ Entlassung aufheben. Er könnte dann die entgangene Besoldung einklagen. Für eine Wiedereinstellung ist er mit 68 Jahren inzwischen zu alt.
Mit Interesse wird der Karlsruher Beschluss wohl in Thüringen analysiert. Dort hat das Thüringen-Projekt vorgeschlagen, den Landespolizeipräsidenten zum normalen Beamten zu machen, damit er nach einem AfD-Wahlsieg nicht einfach entlassen werden kann. Eine Pflicht zu dieser beamtenrechtlichen Umwandlung besteht aber auch nach dem Karlsruher Beschluss nicht. Denn der Thüringer Landespolizeipräsident ist deutlich regierungsnäher als die 18 lokalen Polizeipräsidenten in NRW und daher wohl zu Recht politischer Beamter.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen