Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD: So schwarz sieht Berlin
Tempelhofer Feld, Religionsunterricht, Neubau: Langsam zeigen sich die Differenzen zu Rot-Grün-Rot – wobei CDU und SPD auch einiges übernommen haben.
Daran hatte es auch schon vor dieser voraussichtlich letzten inhaltlichen Verhandlungsrunde kaum Zweifel gegeben. Zu glatt liefen seit drei Wochen die Gespräche, zu euphorisch klangen die Kommentare von beiden Seiten – etwa, was die Atmosphäre angeht. Es gebe, betont Wegner erneut, eine „Einigung im Grundverständnis“, wie diese Koalition funktionieren könne: Man wolle „kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander“.
Das ist zwar erst einmal nicht mehr als eine klassische politische Phrase, die angesichts ihrer Selbstverständlichkeit kaum belastbar ist, zugleich aber auch ein Seitenhieb auf Rot-Grün-Rot. Dort lief es zuletzt vor allem zwischen Grünen und SPD und den beiden Spitzenfrauen Franziska Giffey (SPD) und Bettina Jarasch (Grüne) alles andere als rund.
Auf der Zielgeraden der Verhandlungen an diesem Freitag müssen wie üblich noch die Finanzen geklärt werden – was angesichts der bisher angekündigten milliardenschweren Ausgaben von Schwarz-Rot noch zu Reibungen führen könnte. Personalfragen, sprich: wer die zehn Senator*innen sein werden, will man erst am Samstag regeln. Derweil gilt bereits als sicher, dass CDU und SPD je fünf Regierungsposten bekommen – ein Sieg der Sozialdemokrat*innen, die bei der Wiederholungswahl am 12. Februar immerhin mit nur 18 Prozent glatte zehn Prozentpunkte hinter der CDU lagen. Dieser große Vorsprung der Union drückt sich im Senat dann nur darin aus, dass sie mit Wegner zudem den Regierenden Bürgermeister stellt.
Derweil belegen mehr und mehr Details aus den Verhandlungen, dass der Koalitionsvertrag in weiten Teilen aus dem SPD-Programm entnommen sein könnte, inklusive Wortwahl. So kündigt Wegner ein „Schneller-Bauen-Gesetz“ an, was an Giffeysche Wortschöpfungen wie das berühmte „Gute-Kita-Gesetz“ aus ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin erinnert – ein „Langsamer-Bauen-Gesetz“ würde wohl kaum jemand als Name wählen.
Jetzt doch: 20.000 Wohnungen
Ziel soll es sein, die schon unter Rot-Grün-Rot gewünschten 20.000 neuen Wohnungen endlich zu errichten – ein Anspruch, den SPD-Bausenator Andreas Geisel und Giffey, die das Bauen zur „Chefinnensache“ gemacht hatte, zuletzt deutlich verfehlten. Angesichts der lahmenden privaten Bauwirtschaft halten Expert*innen die Zielzahl weiterhin für sehr ambitioniert.
Um sie zu erreichen, sollen Auflagen für Investor*innen gestrichen, die Bauordnung ausgemistet und das unter Rot-Grün-Rot vor allem von der Regierenden vorangetriebene Wohnungsbaubündnis mit landeseigenen und privaten Wohnungsbauunternehmen weiterentwickelt werden. Letzteres wird von Grünen, Linken und Mieter*innenverbänden schon lange als symbolische Luftnummer kritisiert.
Was die Auflagen, etwa für Klimaschutz, angeht, wolle man wegkommen vom Fordern und „übermäßigen Regelungen“ hin zum Fördern, betont CDU-Generalsekretär und Mitverhandler Stefan Evers. Er spricht gar von einer „neuen Dimension von Beschleunigung.“ Auch will man vor allem Familien mit Kindern und einkommensschwachen Berliner*innen durch finanzielle Unterstützung ermöglichen, Eigentumswohnungen zu erwerben; ein Teil der neu zu bauenden Wohnungen soll dafür reserviert sein. Wer mag, kann hier die Handschrift der CDU lesen.
Das ebenfalls gewünschte Wohnungskataster – also ein Verzeichnis aller bestehenden Wohnungen dieser Art – steht wiederum bereits im rot-grün-roten Vertrag, ohne dass der Bausenator zuletzt besonderes Engagement zeigte, darauf hinzuarbeiten. Zugleich kündigen CDU und SPD ein Ankaufprogramm für weitere 15.000 Wohnungen an; derzeit sind rund 400.000 landeseigen. Auch das ist nicht neu. Und wie bisher soll der Schutz der Mieter*innen „im Mittelpunkt“ stehen.
Angriff auf die Nachbarkieze
Klar ist inzwischen der Umgang mit dem Tempelhofer Feld, seit der Schließung des Flughafens ein großer Park, auf dem es laut erfolgreichem Volksentscheid von 2014 verboten ist, etwas zu verändern. CDU und SPD wollen dennoch seit Langem gern die Ränder mit Wohnungen bebauen, wohl wissend, dass das vor allem ein symbolischer Angriff auf die benachbarten, stark alternativ geprägten Altbau-Kieze wäre. Platz für mehr als 200.000 Wohnungen gäbe es ausgewiesenermaßen bereits an anderer Stelle.
Um doch noch voraussichtlich rund 5.000 neue Wohnungen an dieser Stelle durchzudrücken, will das Land laut Franziska Giffey einen „internationalen städtebaulichen Wettbewerb“ auf den Weg bringen, in der Hoffnung, dass die Entwürfe soziale Elemente und Klimaschutz vereinbaren und so die Berliner*innen überzeugen. Denn das Ergebnis soll „der Bevölkerung“ erneut zur Abstimmung vorgelegt werden.
Wie genau das funktionieren soll und ob es sich um ein bindendes Votum handelt, wofür die Verfassung geändert werden müsste, ist bislang unklar – vielleicht sogar noch am Montag. Genauso ist offen, wann und ob es zu einer Abstimmung überhaupt noch in der laufenden Legislaturperiode kommen könnte. Die endet, weil es sich am 12. Februar um eine Wiederholungs- und keine Neuwahl gehandelt hat, bereits im Herbst 2026.
Hinter dem Zeitplan zurück hängt die Koalition offenbar auch bei einem Lieblingsprojekt der SPD, dem 29-Euro-Ticket für den ÖPNV auf Berliner Tarifgebiet. Die bisherige Regelung läuft Ende April aus. Eine weitere Verlängerung haben CDU und SPD zwar beschlossen, allerdings stellt sich der Tarifverbund von Berlin und Brandenburg VBB quer. Auch die BVG sieht sich derzeit wegen der Einführung des Deutschlandtickets nicht imstande, ein weiteres Ticket vor 2024 einzuführen.
Ja zum Auto
SPD-Parteichef Raed Saleh hat im taz-Interview eine „schnelle Lösung“ mit Blick auf den VBB gefordert, passiert ist bisher offenbar nichts. So heißt es denn am Freitag auch lapidar, man wolle vor allem Anreize schaffen, auf den ÖPNV umzusteigen. Wegner kündigt zudem dessen Ausbau nicht nur jenseits des S-Bahn-Rings an, betont aber zugleich, dass man auch „Ja sage zum Individualverkehr“, sprich: Autos. Man wolle sich für „smarte Lösungen und grüne Wellen“ einsetzen. Insgesamt werde im Verkehrsbereich „richtig viel passieren“.
Für Wirbel sorgen derweil Pläne, an weiterführenden Schulen ein benotetes Wahlpflichtfach „Weltanschauung und Religion“ einzuführen. Bisher wird Religion nicht bewertet, ab Klasse sieben ist Ethik verpflichtend. Giffey ist am Freitag sichtlich bemüht, dem Eindruck entgegenzuwirken, dass damit zum Beispiel christlicher Religionsunterricht gestärkt werde. „Das Fach Ethik bleibt in seiner bisherigen Form erhalten“, betont sie und fordert zugleich eine „Richtigstellung“ von den Medien – ein eher ungewöhnlicher Vorgang, zumindest in dieser Öffentlichkeit.
Das deutet darauf hin, wie unsicher man in der SPD ist, ob der Koalitionsvertrag von den eigenen Mitgliedern angenommen wird. Sie müssen ihm in einer nächste Woche startenden Befragung zustimmen. Zwar hat die SPD durchaus viele inhaltliche Punkte durchgesetzt. Bei Sitzungen der Kreisverbände zeigte sich zuletzt dennoch eine große Skepsis bis hin zu offener Ablehnung grundsätzlicher Art. Trotz großer Einigkeit in den Verhandlungsteams besteht also weiterhin die Möglichkeit, dass die Koalition vorbei ist, bevor sie begonnen hat. Am 23. April soll das Ergebnis der SPD-Urabstimmung vorliegen.
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