Koalitionsverhandlungen in Hamburg: SPD tritt auf wie zu Scholz’ Zeiten
Bei den rot-grünen Verhandlungen in Hamburg werden alle schwierigen Themen ausgeklammert – auch wer die Rechnung bezahlt.
Und auch wenn die TeilnehmerInnen von beiden Seiten offiziell betonen, die Stimmung sei „gut und vertrauensvoll“, die Gesprächskultur „konstruktiv“ – so ganz hinter vorgehaltener Hand heißt es, alles sei schon sehr „angestrengt und distanziert“. Und das liege nicht nur am Abstandsgebot.
Seit knapp drei Wochen verhandeln SPD und Grüne, nach Corona-bedingter Pause, die Eckpfeiler ihrer zukünftige Koalition. Die SPD, so sagen einige Grüne, „könne vor Kraft kaum laufen“ und tue alles, um sich selbst zu erhöhen und den Koalitionspartner kleinzuhalten. Seit Wochen inszeniert sie sich als alleiniger Krisenmanager, weil sie die Ressorts in den Händen hält, die nun relevant sind: Das Bürgermeisteramt, Haushalt, Wirtschaft, Inneres, Soziales, Bildung, Gesundheit und Kultur.
Es ist lauter SPD-Personal, das den HamburgerInnen die Notwendigkeit im Umgang mit der Krise erklärt – die Grünen wurden am Katzentisch abgesetzt. Und auch wenn man mit SozialdemokratInnen spricht, die derzeit die Koalition verhandeln, hört man selten etwas von einer Gestaltung der Zukunft Hamburgs auf Augenhöhe, sondern eher etwas über „grüne Lieblingsprojekte, wo wir denen noch entgegenkommen müssen“.
Es klingt schon wieder nach „grünem Anbau“
Die Scholz’sche Metapher vom „grünen Anbau“ an das sozialdemokratische Haupthaus aus einer Zeit, als die SPD noch fast viermal so viel Wahlstimmen wie der grüne Koalitionspartner auf sich vereinigte, bestimmt noch immer das „Wording“ vieler GenossInnen. Bei der Bürgerschaftswahl im Februar hatte die SPD 39,2 Prozent der Stimmen erhalten, die Grünen holten mit 24,2 Prozent fast doppelt so viele wie fünf Jahre zuvor.
Dass es in den Koalitionsverhandlungen bislang trotzdem recht reibungslos läuft, hat zwei Gründe: „Die dicken Dinger kommen erst noch“, sagt eine grüne Verhandlungsteilnehmerin und meint damit die Komplexe Wirtschaft, Verkehrswende und Klimaschutz. Bei der Schul- und der Hochschulpolitik etwa hatten beide Seiten kaum Probleme damit, sich miteinander auf die Verlängerung des Schulfriedens, forcierten Schulbau für wachsende SchülerInnenzahlen und mehr Geld für die Wissenschaft zu vereinbaren.
Und genau hier liegt der zweite Hauptgrund, warum es zwischen Rot und Grün noch wenig knatscht: Obwohl auch Hamburg wegen Corona vor der größten Haushaltskrise der vergangenen Jahre steht, spielt Geld quasi keine Rolle auf dem rot-grünen Basar. Zwar sah sich Bürgermeister Peter Tschentscher bemüßigt, am Anfang der Verhandlungen den Delegationen ins Stammbuch zu schreiben, dass die Stadt laut Tilgungsplan noch mindestens 20 Jahre unter der bereits beschlossenen Neuverschuldung von 1,5 Milliarden Euro zu leiden habe.
Zudem – so die aktuellen Zahlen der Finanzbehörde – muss Hamburg allein in diesem Jahr noch einmal 1,65 Milliarden Euro Steuerausfälle verkraften. Doch die Verhandlungen laufen bislang nach dem Motto: Ist erst der Haushalt ruiniert, regiert sich’s völlig ungeniert.
Die SenatorInnen aller Ressorts, die schon verhandelt wurden, gingen am Ende mit der Botschaft an die Öffentlichkeit: Bei uns wird in der Krise nicht gespart; wir werden sogar investieren, um den Motor wieder anzuwerfen. Fast scheint es, als seien angesichts der fehlenden Milliarden ein paar Millionen mehr oder weniger auch egal. Damit das Ganze redlich wirkt, sind alle Verhandlungsbeschlüsse, die etwas kosten, unter einen „Finanzierungsvorbehalt“ gestellt. Konkret heißt das: Wir schauen erst später – bei den Haushaltsverhandlungen – was überhaupt bezahlbar ist.
Der Bund soll für Bauprojekte zahlen
Beide Seiten hoffen etwa Bauprojekte wie die U5 und die S4, aber auch ein „Haus der digitalen Welt“ oder auch weitere Hochschulbauten von den Investitionsprogrammen zur Wirtschaftsankurbelung des Bundes bezahlt zu bekommen – Programme, die es noch nicht gibt und die niemand kennt. Mögliche Konflikte zwischen Rot und Grün werden damit in die Zeit der Haushaltsberatungen im Herbst und Winter verschoben. „Da wird es schwieriger zusammenzukommen als jetzt“, sagt eine SPD-Verhandlerin.
Da Geld derzeit keine Rolle spielt, wird für das werte Publikum momentan nur über Symbolpolitik gestritten, etwa über das grüne Anliegen, zahlreiche Straftatbestände zu entkriminalisieren. Den Plan, das Vermummungsverbot zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, ließen die Grünen schon vor der Wahl fallen, bei der Entkriminalisierung des Schwarzfahrens und des Cannabiskonsums bissen sie sich während der Verhandlungen an den Sozis die Zähne aus.
Allein das Containern – die Entwendung noch genießbarer, weggeworfener Lebensmittel aus Abfallbehältern – wollen die Sozialdemokraten mit vorantreiben – der bislang größte grüne Verhandlungserfolg.
Doch der besteht eigentlich hauptsächlich in der Erlaubnis für den grünen Justizsenator Till Steffen, sich – wenn er sein Amt denn behalten darf – erneut eine blutige Nase zu holen. Denn die wirkliche Entkriminalisierung des Containerns bedarf einer bundesweiten Strafrechtsreform, für die Steffen bereits in der JustizministerInnenkonferenz eine deutliche Abfuhr erhalten hatte. Er hat nun von der SPD offiziell die Erlaubnis erhalten, erneut zu scheitern.
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