Koalitionsverhandlungen in Berlin: Ist es Liebe?
Nicht nur im Bund muss sich eine Koalition finden, sondern auch in Berlin. Da setzt man bei der Partnerwahl wieder mal auf Rot-Grün-Rot.
D ie beiden werden wohl keine Freundinnen mehr. „Bekommt Berlin bald ein 'Schönes-Kostümchen-Gesetz?‘“, twitterte Monika Herrmann, scheidende Bezirksbürgermeisterin aus dem widerspenstigen Friedrichshain-Kreuzberg, Anfang November. Es war der zweite Tweet, in dem sich die streitbare Grüne über das Outfit der Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey lustig machte. Schon im August hatte Herrmann Giffey eine „Gouvernante“ genannt.
Freundinnen müssen die beiden allerdings auch nicht werden. Während sich Giffey am 21. Dezember zur ersten Regierenden Bürgermeisterin in Berlin wählen lassen will, schließt Herrmann bislang aus, einen Posten im Berliner Senat zu übernehmen. Giftige Blicke und spitze Wortwechsel der beiden Alphafrauen in der geplanten rot-grün-roten Senatskoalition fallen also aus.
Doch Herrmann war nicht die Einzige, die über Giffeys Äußeres spottete. „Politik, die sich in kein Kostüm zwingen lässt“, lautete der Claim eines im Wahlkampf in den sozialen Medien verbreiteten Fotos der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Jarasch und Giffey werden nun sehr wohl am Senatstisch im Berliner Roten Rathaus sitzen, sollten SPD, Grüne und Linke ihre Koalitionsverhandlungen erfolgreich abschließen. Kann das gut gehen?
Die Wahl Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 26. September 2021 kam die SPD bei den Zweitstimmen auf 21,4 Prozent, auf Platz 2 folgen die Grünen mit 18,9 Prozent, und als vierte Kraft – nach der CDU mit 18 Prozent – kam die Linke auf 14.1 Prozent.
Die Kür Zwei Monate nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus will sich Franziska Giffey (SPD) am 21. Dezember zur ersten Regierenden Bürgermeisterin in Berlin wählen lassen. Derzeit laufen die Koalitionsverhandlungen mit Grünen und Linkspartei. Der Koalitionsvertrag soll Ende November fertig sein. Dann müssen die Parteitage oder die Mitglieder (Linke) ihr Go geben.
Schon vor mehr als zehn Jahren hat der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin betont, dass die wichtigsten Akteure eines Regierungsbündnisses nicht nur politisch zueinander passen müssen. „Es wird bei Koalitionen immer unterschätzt, ob das Spitzenpersonal miteinander kann“, sagte Niedermayer vor dem Hintergrund des Scheiterns der Großen Koalition in Schleswig-Holstein 2009. Damals hatte CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen seinen Vize Ralf Stegner (SPD) unter anderem einen „notorischen Störenfried“ genannt. Zwar habe es in Kiel auch „riesige Sachprobleme“ gegeben, sagte Niedermayer damals dem Berliner Tagesspiegel. „Doch die gibt es immer, und die Koalition in Schleswig-Holstein ist vor allem daran gescheitert, dass sich die Spitzenleute nicht respektieren.“
Ganz anders war es ab 2017 bei der Jamaika-Koalition im Norden. CDU, Grüne und FDP respektierten einander, es gab so gut wie keine Fouls. Konflikte, hieß es immer, würden intern debattiert. „Handys bleiben draußen und Interna drinnen“, lautete das Rezept. Nicht Liebe also, aber eine faire Partnerschaft.
Es ist also kein Boulevard, nicht nur über die politischen Sollbruchstellen der geplanten Dreierkoalition in Berlin zu sprechen, sondern auch über die Chemie zwischen Giffey und Jarasch, die sich in den Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen erst kennenlernen mussten. Dass zu diesem Kennenlernen auch das Fremdeln gehört, war zu beobachten, als die Spitzen der drei Parteien nach der ersten Koalitionsrunde vor die Presse getreten waren. Teilnahmslos hatte SPD-Frau Giffey da in die Luft geschaut, als Jarasch sprach, hatte sich ihr weder zugewandt noch genickt oder gelacht.
Ganz anders war die Körpersprache Giffeys gegenüber Linken-Kultursenator Klaus Lederer. Ihm lächelte sie zu, beide duzten sich sogar. Das war umso erstaunlicher, als Giffey nachgesagt wird, dass sie eine Koalition mit der Linken unbedingt vermeiden wollte.
Grimmige Blicke hier, Lächeln dort. Nicht immer sind persönliche und politische Sympathien deckungsgleich. Oft sind es auch Emotionen, die politisches Handeln motivieren, weiß der Kulturwissenschaftler Timm Beichelt von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). „Sympathien und Antipathien gehören zur Politik“, sagt Beichelt, von dem gerade das Buch „Homo emotionalis. Zur Systematisierung von Gefühlen in der Politik“ erschienen ist. Das Gleiche gelte für den Hass und die Wut, die sich gegen Politikerinnen und Politiker richteten.
Beichelt prophezeit, dass die Konflikte zwischen den Parteien in Berlin zunehmen werden, weil SPD, Grüne und Linke, anders als etwa die ÖVP oder die Grünen in Österreich, keine Milieuparteien mehr seien. „Keine der drei Parteien kann mehr die verschiedenen Milieus derer, die sie wählen, abdecken“, sagt Beichelt der taz. „Das ist auch der Grund, warum Personen immer wichtiger werden.“
Wenn aber keine der in einer Koalition vertretenen Parteien mehr mit dem einen zentralen Politikfeld in Verbindung gebracht werden kann, ist die bisherige Ausbalancierung von Dreierbündnissen – jeder lässt den anderen auf seinem Feld machen – nicht mehr tragfähig für ein stabiles Verhältnis über eine fünf Jahre lange Legislatur.
Egal ob Liebe oder faire Partnerschaft: Wichtig ist der Umgang miteinander. Die Koalitionäre in spe haben das offenbar erkannt. Als sie nach der zweiten Runde der Koalitionsverhandlungen erneut vor die Presse traten, war zwar auch von einem „Gönnen können“ die Rede, etwa wenn Linken-Frontmann Lederer sagt: „Ich sehe bei den Zukunftsfragen bei den drei Parteien spezifische Stärken. Das zusammenzutragen, dafür sehe ich gute Chancen.“ Gleichwohl haben SPD, Grüne und Linke noch ein Sicherheitsnetz gezogen und einen „Kodex für gute Zusammenarbeit“ in der Präambel des Koalitionsvertrags verabredet. Wie dieser aussehen könnte, schilderte Klaus Lederer so: „Wenn Konflikte auftreten, wollen wir sie nicht laufen lassen und dann die Scherben zusammenkehren, sondern uns frühzeitig zusammensetzen“, sagte er. Das könne auch in „lockerer Atmosphäre sein“, ergänzte Giffey. Soll heißen: Erfolge können nur gemeinsam erzielt werden, und bei Rückschlägen soll man nicht mit dem Finger auf den anderen zeigen.
Regeln, die in jeder Wohngemeinschaft gelten, gelten nun, da die Dreierbündnisse die Zweierkoalitionen ablösen, auch in der Politik. Auch wenn es natürlich besser wäre, dass alles von alleine läuft und nicht immer auf den Putzplan verwiesen werden muss. Linken-Vertreter Klaus Lederer formuliert das so: „Wenn die Senatsmitglieder alle gemeinsam an einem Strang ziehen, sind die politischen Effekte besser.“ Er sehe dafür eine gute Grundlage.
Für Kulturwissenschaftler Timm Beichelt ist der „Kodex für gute Zusammenarbeit“ in der Berliner Präambel ein Hinweis auf die Professionalität der drei Partner. „Dass im Koalitionsvertrag Frühwarnsysteme für Konflikte implementiert werden, ist ein Hinweis darauf, dass die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse von Konfliktmanagement auch in die Politik Einzug halten“, sagt er der taz. „Man schämt sich nicht mehr dafür, das zu befolgen.“
Auf einem andern Blatt steht freilich, ob dieses Konfliktmanagement auch erfolgreich sein wird. Eine der großen Unbekannten dabei ist ausgerechnet die designierte Regierende Bürgermeisterin. Franziska Giffey ist für viele noch immer eine, zumindest landespolitisch, Unbekannte. Als eine „Blackbox“ beschreiben Grüne und Linke Giffey, eine, von der man noch immer nicht wisse, wofür sie stehe.
Auch Giffey selbst hat da in den vergangenen Monaten keine Klarheit schaffen können. Schon vor einem Jahr hatte die SPD-Rechte angekündigt, ihren Wahlkampf auf die Außenbezirke der Stadt konzentrieren zu wollen. Die Innenstadt falle ohnehin an die Grünen, lautete die dahinterstehende Analyse. In Spandau oder Marzahn-Hellersdorf könne man dagegen Wählerinnen und Wähler für die SPD zurückgewinnen oder auch Nichtwähler mobilisieren.
Die Themen, mit denen Giffey Punkte sammeln wollte, lauteten entsprechend innere Sicherheit, die Ablehnung der Vergesellschaftung privater Wohnungsbestände sowie die Warnung vor einer Verkehrswende, die das Auto verteufele. So sehr fischte Giffey im Lager von CDU und FDP, dass es dem CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner mitunter zu bunt wurde. „Frau Giffey hat in der Tat irgendwie gefühlt jeden Punkt übernommen“, sagte er nach der Wahl bei einer CDU-Basiskonferenz. Viele, auch in der eigenen Partei, unterstellten Giffey deshalb, auf eine Deutschland-Koalition mit CDU und FDP hinzusteuern.
Aber selbst als sich herauskristallisierte, dass SPD und Grüne entweder mit der FDP oder mit der Linkspartei koalieren würden, kämpfte Giffey auf eigene Faust. Am Tag, an dem der Landesvorstand der SPD einstimmig ergebnisoffene parallele Sondierungen mit FDP und Linkspartei beschlossen hatte, twitterte sie: „Die Präferenz liegt auf dem Ampelbündnis“.
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Es war Giffeys erster Fehler auf landespolitischer Bühne. Weil sich immer mehr SPD-Kreisverbände für eine Fortsetzung der Koalition mit der Linken ausgesprochen hatten, musste Giffey ihre Ampelpläne begraben. Sechs Stimmen Mehrheit wären für dieses Experiment auch nicht komfortabel gewesen. Denn selbst wenn sich die Spitzenleute in der Regierung näherkommen, können die Animositäten in den Regierungsfraktionen bestehen bleiben.
Hinzu kommt, dass Franziska Giffey auch der eigenen Partei nicht ganz geheuer ist. Als sie 2018 vom Bürgermeisterinnenposten in Neukölln in die Bundesregierung wechselte, übersprang sie die Landesebene der Partei, auf die sie nun als Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeisterin angewiesen ist. „Sie ist immer nur nach oben gefallen und musste nie moderieren“, sagt ein Sozialdemokrat. Dabei habe sie auch einen autoritären Führungsstil entwickelt. Nicht nur die Grünen fremdeln mit Giffey, sie ist auch der eigenen Partei fremd.
Nun muss Giffey also mit Jarasch und Lederer können. Die inhaltlichen Knackpunkte sind die aus dem Wahlkampf. Wie viele Parkplätze darf die Mobilitätswende kosten? Wie umgehen mit dem erfolgreichen Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen? Um mit den Streitpunkten anders umzugehen als CDU und SPD 2009 in Schleswig-Holstein, müssen sich die drei Partner nicht lieben, sondern vertrauen. Ob sie das schaffen? Ungewiss.
Die Aufregung über den Tweet der grünen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hat sich zumindest gelegt. Er sei eine ironische Reaktion auf einen Auftritt Franziska Giffeys in der RBB-Talkshow „Riverboat“ gewesen, erklärte Herrmann später. In der Talkshow hatte Giffey erklärt, dass ein politisches Amt für sie auch bedeute, „entsprechend adäquat“ daherzukommen. „Und nicht wie frisch vom Campingplatz.“
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