Koalition in der EU-Kommission: Showdown im Europaparlament
Am letzten Tag der Anhörungen der neuen EU-Kommission droht ein massiver parteipolitischer Streit zwischen Sozialdemokraten und Konservativen.
Platzt die große Koalition, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach der Europawahl im Juni zu einer zweiten Amtszeit verholfen hat? Oder hält das Stillhalte-Abkommen, das die etablierten Parteien im EU-Parlament geschlossen haben? In Brüssel wagt niemand eine Prognose. Immerhin ist klar, wie die Wackelkandidaten heißen.
Problemfall Nummer eins ist der ungarische Kandidat Olivér Várhelyi. Er hat zwar bereits eine Amtszeit als Erweiterungskommissar hinter sich. Doch ob er auch über die nötigen Qualifikationen verfügt, um sich in der neuen EU-Kommission um Gesundheit und Tierschutz zu kümmern, wie dies von der Leyen wünscht, ist umstritten.
Sozialdemokraten und Grüne haben Zweifel, Várhelyi musste deshalb nachsitzen. Wenn er abgelehnt werden sollte, müsste Ungarns rechtsnationaler Regierungschef Viktor Orbán einen neuen Kandidaten nominieren. Dies könnte nicht nur die Anhörungen verzögern, sondern auch den Start der neuen EU-Kommission, der im Dezember geplant ist. Die Entscheidung wurde auf Mittwoch verschoben.
Umstrittene Kandidaten für „exekutive“ Vizepräsidenten
Noch brisanter ist der Streit um die designierten neuen Kommissare Raffaele Fitto und Teresa Ribera. Beide sollen „exekutive“ Vizepräsidenten werden, also Topposten in der neuen Kommission bekleiden. Fitto wurde von der postfaschistischen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni nominiert, Ribera vom spanischen Sozialisten Pedro Sánchez.
Damit ist eigentlich schon alles gesagt: Es geht um einen parteipolitischen Streit zwischen Rechten und Linken, nur am Rande um die fachliche Qualifikation. Fällt Fitto am Dienstagmorgen als Regionalkommissar durch, dürften sich Konservative und Rechte am Abend rächen und auch die Klima- und Wettbewerbskommissarin Ribera „abschießen“.
Schon jetzt steht fest, dass die spanischen Konservativen, die der Europäischen Volkspartei um Manfred Weber (CSU) angehören, hart mit Ribera ins Gericht gehen werden. Sie wollen die immer noch amtierende und durchaus erfolgreiche Umweltministerin für die Flutkatastrophe in Valencia mitverantwortlich machen.
Umgekehrt planen die Sozialdemokraten, dem Rechtspolitiker Fitto die Flügel zu stutzen. Er könne zwar EU-Kommissar werden, jedoch nicht Vizepräsident, heißt es. „Uns Sozialdemokrat:innen stellt sich bis heute die Frage, warum Frau von der Leyen ausgerechnet jemanden der Rechtspopulisten Fratelli d’Italia zu einem Vizepräsidenten befördern will“, sagt der Chef der SPD-Gruppe, René Repasi.
Von der Leyens Deal mit Meloni
Die Antwort liegt auf der Hand: Die CDU-Politikerin ist einen Deal mit Meloni eingegangen. Um ihre Wiederwahl zu sichern, hat sie der Rechtspopulistin aus Rom einen einflussreichen Posten in Brüssel versprochen. Außerdem werden die Stimmen der rechtskonservativen Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) gebraucht, die de facto von Meloni geführt wird.
Alle angehenden Kommissare brauchen eine Zwei-Drittel-Mehrheit in den Fachausschüssen, um weiterzukommen. Für diese Mehrheit wird jedoch auch die EKR benötigt – von der Leyens große Koalition reicht nicht. Die „Brandmauer“ gegen rechts wird so klammheimlich durchbrochen – auch wenn im zweiten Wahlgang eine einfache Mehrheit reicht.
Streit gibt es auch um den Franzosen Stéphane Séjourné und die Estin Kaja Kallas. Beide sollen ebenfalls Vizepräsidenten werden. Séjourné wird zu große Nähe zu Präsident Emmanuel Macron und fehlende Erfahrung vorgehalten. Kallas ist wegen ihrer harten Haltung zu Russland umstritten.
„Sie steht für ein eindimensionales Denken und eine kompromisslose Kriegspolitik gegenüber Russland“, kritisiert der Europaabgeordnete und frühere UNO-Diplomat Michael von der Schulenburg (BSW). Damit werde sich die EU international weiter isolieren; „zu Friedenslösungen wird eine Kalla jedenfalls nicht beitragen können“.
Das sieht von der Leyens Koalition im Parlament völlig anders. Kallas sei „fit für die Welt von morgen“, sagte EVP-Chef Weber nach einer Vorbesprechung mit Kallas, die künftig als EU-Außenbeauftragte arbeiten und die Ukraine-Politik entscheidend mitbestimmen soll.
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