Klimawandel in Deutschland: Der Wald stirbt leise
Im zweiten Dürresommer in Folge vertrocknen Lärchen, Buchen und Eichen – das Ökosystem Wald kann nicht mehr. Selbst Förster sind hilflos.
Einzelne Fichten stehen noch. Sie ragen aus dem grünen Blättermeer der jungen Buchen, hüfthohe Fichten wachsen unter ihnen nach. Aus dem buschigen Jungbaumgewirr schießt hier und dort eine Buche in die Höhe, ähnlich einem Pubertierenden inmitten einer Schar Grundschüler. Dürr ist der Wald von Götz Freiherr von Rotenhan in den vergangenen Wochen geworden, die einzelnen Baumkronen von Fichten, Lärchen, Kiefern, Eichen, Buchen ausgedünnt, das Kronendach in 20, 25 Meter Höhe löchrig. Bäume, die noch vor wenigen Wochen mächtig dastanden, liegen am Weg. Ihre Stämme stapeln sich entrindet am Waldrand, ragen astlos aus dem Unterholz, türmen sich abholbereit zugeschnitten hinter der Scheune auf dem Familiengut. Der Wald stirbt.
„Ich komme mit dem Auszeichnen gar nicht mehr hinterher“, sagt Förster Simon Schuon, der den 600 Hektar großen Wald von Götz von Rotenhan in Unterfranken, zwischen Bamberg und Coburg, betreut. Die Fichten, Lärchen und Kiefern vertrocknen schneller, als er sie mit der signalroten Farbe kennzeichnen kann. Damit zeigt Schuon den Sägern, welche Bäume sie fällen sollen. Meckern würden die, erzählt Schuon, dass er nicht alle ausgezeichnet habe, wenn sie mit der Arbeit beginnen wollen. Die Borkenkäfer haben zwischen Schuons Gang durch den Wald und dem Eintreffen der Säger wieder Fichten befallen. „Und die Lärche steht auf einmal ohne Rinde da“, sagt Schuon.
100.000 bis 120.000 Hektar Forst hat die Dürre seit dem Sommer 2018 in Deutschland dahingerafft – das entspricht in etwa der Fläche von Hamburg und Bremen zusammen. Im Thüringer Wald sind 5 Prozent der Bäume abgestorben, etwas weiter nördlich im Nationalpark Hainich platzt die Rinde der Rotbuchen wie die Kruste am Pizzarand. Am schlimmsten trifft die Trockenheit die flächendeckend gepflanzten Kiefern und Fichten. Die Kiefern brechen und brennen, wie in Brandenburg. Hektarweise fallen die Fichten durch die plagenden Borkenkäfer im Harz, in Sachsen, im Fränkischen Wald. Stehen Fichten voll im Saft und haben ausreichend Wasser, produzieren sie Harz und können sich so gegen den Borkenkäfer wehren. In der Trockenheit schaffen sie das nicht, da ihr Organismus zum Erliegen kommt.
Die Hälfte des deutschen Waldes sind Kiefern und Fichten. Baum an Baum, eine 5,2 Millionen Hektar große Wirtschaftsfläche verteilt auf alle Bundesländer. Die Forstbesitzer spüren neben den Landwirten als Erstes die Auswirkungen der Erderwärmung auf ihre Produktionsflächen und ihre Wirtschaftsweise. Das seit 200 Jahren gepflegte Geschäftsmodell Forst droht im Klimawandel zu versagen, die Preise für Holz fallen immer mehr. Denn Waldbesitzer ernten seit Herbst 2018 mehr Bäume, als der Markt zu betriebswirtschaftlich vertretbaren Preisen aufnehmen kann. Die Forstbesitzer wollen retten, was geht, bevor ihre Bäume absterben, von Pilzen zersetzt oder von Borkenkäfern befallen werden. Teures Buchenholz wird so zu Brennholz, das aber allenfalls die Hälfte des Preises bringt.
Am stärksten verfällt der Preis für die Fichte, den „Brotbaum der Forstwirtschaft“, der lange als sichere Einnahmequelle galt. Mancherorts ist der Preis für Fichtenholz auf ein Drittel gesunken. Das von Borkenkäfern angenagte, bläulich verfärbte Holz ist in manchen Gegenden unverkäuflich. Gleichzeitig steigen die Kosten: Holzsäger sind rar und lassen sich sehr gut bezahlen. Ihre Stundenlöhne sind um 50–70 Prozent gestiegen – innerhalb der vergangenen Wochen. „Die Marktlage ist katastrophal“, sagt Götz von Rotenhan, der 600 Hektar Mischwald in Unterfranken bewirtschaftet und als Vizepräsident des Bayerischen Waldbesitzerverbandes 700.000 Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer vertritt.
Manche Böden sind bereits irreparabel
Seit 200 Jahren pflanzen Förster in Deutschland massenhaft Kiefern und Fichten. „Das Symbol kraftvoller, ertragsorientierter und selbstbestimmter Forstwirtschaft“ nennt Christian Kölling von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft die Fichte. Fichten wachsen schnell und gerade, Forstbesitzer verdienen gut an ihnen, die Sägeindustrie hat sich auf die langen Stämme eingeschossen. Aber Fichten wurzeln auch flach, ihre Wurzeln dringen daher nicht bis zur Feuchtigkeit in die unteren Bodenschichten. Und in diesem Sommer können selbst Tiefwurzler wie die Eiche kein Wasser mehr aus dem Boden ziehen. Die Böden sind metertief trocken.
„Eine intensive Waldbewirtschaftung macht den Wald wahrscheinlich anfälliger für die Folgen des Klimawandels“, sagt Andreas Fichtner, Ökologe an der Leuphana Universität Lüneburg. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des globalen Wandels auf die Funktionalität der Wälder. „Problematisch ist der Verlust der Bodenfunktionen durch die vielen Rückegassen, also Wege, auf denen die Erntefahrzeuge fahren, oft alle 20 Meter, und den Einsatz von tonnenschweren Erntemaschinen.“ Schätzungsweise die Hälfte des Bodens in deutschen Wäldern ist geschädigt, mancher Boden irreparabel. „Der Unterboden in 1,50 Meter Tiefe erholt sich dann meist nicht mehr, der ist dermaßen verdichtet, da sind alle Poren zerdrückt“, sagt Fichtner.
Ein gesunder Waldboden ist keine kompakte Masse, sondern ein offenes System, eine lockere, nährstoffreiche Masse, die von unzähligen Poren durchzogen ist. Die feinsten Wurzeln von Bäumen wachsen dort hindurch und gelangen je nach Baumart auch sehr weit in die Tiefe. Die Wurzeln bilden Netzwerke, über die Bäume miteinander Nährstoffe austauschen. „Es wird vermutet, dass Bäume über die Wurzelnetzwerke in Stresssituationen auch Wasser austauschen können“, erklärt Fichtner. „Ganz viel von dem, was wir oberirdisch sehen, passiert unterirdisch.“
Bislang haben Förster mit dem Verkauf des „Brotbaums Fichte“ auch die Verluste ausgeglichen, die die Forstwirtschaft produziert. Sie finanzieren Pflanzungen und seit einigen Jahren auch Mischwälder, die in der Natur kostenlos entstehen. Eicheln, Bucheckern, die Samen von Ahornen, Birken, Ulmen, Kiefern und auch Fichten verbreiten sich von Natur aus selbst. So verjüngt sich auch ein Wald von selbst und Bäume jeden Alters wachsen heran. Stehen nur Fichten in einer Monokultur, verbreitet sich nichts, die Naturverjüngung bleibt aus.
Die übelsten großflächigen Fichten- und Kiefernmonokulturen gehören oft den Bundesländern. Die Landesforstverwaltungen treiben mal mehr, mal weniger den Waldumbau voran, je nach Kassenlage und politischem Druck. So will das Kiefernland Brandenburg jedes Jahr 12.500 Hektar Kiefernforste in einen Laubmischwald verwandeln, schafft jedoch seit Jahren nicht mehr als 1.500 Hektar. Im Jahr 2015 wandelten die Landesförster 18 Hektar in Laubmischwald – von 735.000 Hektar Kiefernforst. Nur die kleinen Waldbauern übertreffen die Staatsförster in ihrer Fichten- und Kiefernfixiertheit. Sie beackern 5, 3 oder manchmal nur einen halben Hektar, pflanzen je nach Region Fichten oder Kiefern, die dann 20 Jahre lang dicht wie Maisstängel stehen, durch die kein Reh und kein Spaziergänger passt.
Dann durchforsten sie, sägen einen Teil raus, warten noch 10, 20 Jahre und schlagen dann alles auf einmal. Oder sie setzen auf einen Sturm, der ihnen die Arbeit abnimmt, und freuen sich über steuerliche Abschreibungen. Aufforsten kostet 6.000 Euro pro Hektar, mit Zaun gegen die Rehe kommen die Waldbauern auf 9.000 Euro pro Hektar. Die Kleinstforstbesitzer lassen ihre Flurstücke deswegen oft liegen, bis Gras zwischen den Baumstümpfen wächst. „Gras, Maus, aus“, sagt ein ökologisch arbeitender Förster in Bayern. Stehen die Grasbüschel zu dicht, graben nur noch Wühlmäuse ihre Gänge unter den Grasmatten und sorgen dafür, dass einfliegende Baumsamen nicht aufgehen können.
Waldsterben 2.0
„Willst du den Wald bestimmt vernichten, so pflanze nichts als reine Fichten“, hat ein Förster 1921 am Roggenburger Forst bei Ulm in Stein meißeln lassen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben Förster immer wieder versucht, Waldbesitzer und Forstverwaltungen vom Fichtenwahn abzubringen und stattdessen natürliche Wälder zu schaffen. Meistens vergeblich.
Was also tun? Ist das Waldsterben noch aufzuhalten? Die Förster wissen, dass Fichten und Kiefern die wärmeren und trockeneren Zeiten in Deutschland nicht ertragen. Sie suchen daher weltweit nach schnellwachsenden Baumarten und hoffen auf die amerikanischen Douglasien und Küstentannen. Die beiden Baumarten haben sich nicht im europäischen Ökosystem entwickelt und haben deshalb hierzulande weder Borkenkäfer noch andere Feinde zu fürchten.
Bislang wachsen die amerikanischen Bäume prächtig. Doch kanadische Forschungen zerstreuen zu viel Hoffnung auf die Forsttauglichkeit der Küstentanne im Klimawandel. Die Zellproduktion der Küstentanne sei nicht für trockenere Zeiten geeignet, schreibt Waldbiologin Miriam Isaac-Renton von der Universität Alberta. Jede Baumart sei zudem an die in ihrer Region auftretende Trockenheit gewöhnt, hat Steven Jansen von der Universität Ulm herausgefunden. Mehr Trockenheit als in ihrer Heimatregion vertragen die Bäume also nicht.
„Wir sehen eine neue Art des Waldsterbens“, sagt Kai Frobl, Naturschutzreferent und stellvertretender Landesbeauftragter des Bund Naturschutz Bayern. Anfang der 1980er Jahre hat auch er das Waldsterben im Erzgebirge unter dem sauren Regen öffentlich gemacht. Entschwefelungsanlagen für die Braunkohlekraftwerke und der Zusammenbruch der DDR haben damals die Luft sauberer gemacht. Der Wald hat sich regeneriert. Jetzt sprechen Frobl und die Naturschutzverbände vom „Waldsterben 2.0“. Förster und Waldbesitzer stimmen zu, was das Ausmaß des Baumsterbens in der Dürreperiode deutlich macht. „Wir haben eine völlig neue Dramatik reinbekommen“, sagt Frobl. Es sterben nicht mehr nur die Fichten, sondern auch die Buchen, Ahorne, Eichen. Es sterben die Mischwälder.
Selten waren sich Naturschützer und die Forstleute so einig in der Analyse des Zustands. „Mehr und besseres Personal in den Forstämtern, bessere Beratung der kleinen Waldbesitzer, forcierte Bejagung“, fordert Frobl. Spricht man mit Waldbesitzer Götz von Rotenhan, hört sich das in Teilen gleich an. „Waldumbau und Aufforstung zusammendenken und personell und finanziell unterstützen, effizienter jagen, die strukturschwachen Kleinwaldbesitzer stärken“, fordert von Rotenhan von der Bayerischen Staatsregierung. Er wünscht sich, dass „ideologische Grenzen“ überwunden werden, was unter den Wald- und Forstleuten in Deutschland so schwierig werden könnte, wie die USA und den Iran zu versöhnen. Seit Jahrzehnten wird in der Szene darüber gestritten, wie viel Bewirtschaftung der Wald verträgt.
Klimawandel zerstört den Generationenvertrag
In Wäldern bilden unterschiedliche Bäume, Gräser, Sträucher, Flechten, Kräuter die jeweils an Boden und Klima angepassten Ökosysteme, die mit Störungen wie Trockenheit oder Überschwemmungen leben können. Nach einem Blitzeinschlag, Hochwasser, Dürre verändern sich die Lebensbedingungen, eine Pflanzenart verschwindet, eine andere Art findet einen neuen Lebensraum in der freigewordenen ökologischen Nische. Je mehr Pflanzen- und Tierarten in einem Ökosystem leben, desto stärker und widerstandsfähiger ist es. Alte Wälder kommen besser mit dem Klimawandel klar. Sie haben mehr Biomasse, die mehr Wasser speichern und dadurch auch besser kühlen kann. Doch den meisten Waldbesitzern nützen diese Erkenntnisse im zweiten Dürresommer in Folge nichts. Ihre Wälder sind nicht alt, die meisten Wälder in Deutschland kommen auf 60 bis 120 Jahre. Und sterben nun vorzeitig ab.
Als Vertreter von 700.000 Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern in Bayern fordert Götz von Rotenhan auch Geld – allerdings nicht nur für Aufforstungen, sondern auch für eine „Vergütung der Ökosystemdienstleistungen des Waldes“. Schließlich sorgen die Mischwälder für sauberes Trinkwasser. Bäume reinigen die Luft von Schadstoffen, Wälder speichern Wasser in humusreichen Böden, schützen vor Überschwemmungen nach starken Regenfällen. Im Klimawandel haben Wälder daher nicht nur eine besondere Bedeutung, weil sie große Mengen CO2 speichern. Wälder könnten zu den Rettungsinseln der Menschheit werden, die sich an die Hitze anpassen muss.
„Wir wussten, dass der Klimawandel kommt – aber nicht in dieser Geschwindigkeit“, sagt Götz von Rotenhan. Er kennt seinen Wald seit seiner Kindheit. Als Junge hat er seinen Vater in ihren Wald begleitet, der damals noch zu zwei Dritteln aus Fichten bestand. Er erinnert sich, als der Orkan „Wiebke“ 1990 in einer Nacht das Zehnfache des Jahreseinschlags an Fichten umwarf. Sein Vater habe Tränen in den Augen gehabt beim Anblick des geknickten Waldes. Von Rotenhan senior ist Förster und begann nach dem Orkan mit dem Umbau des Forstes. Er hat nicht mit schnell wachsenden Fichten aufgeforstet, sondern Eichen gesät, Tannen gesetzt, Lärchen, Buchen, Kiefern, Ahorne, Douglasien und Küstentannen drunter gemischt. Er hat eigentlich alles richtig gemacht.
„Das Ziel sind gemischte Bestände“, sagt Götz von Rotenhan. Ein Drittel Fichten hat er noch, 15 Prozent Kiefern, Douglasien, Lärchen, Weißtannen. Die andere Hälfte seines Waldes besteht aus Buchen, Eschen, Ahornen, Birken und Eichen, deren Früchte der Eichelhäher im Wald verteilt. Behutsam geht von Rotenhan in braunen Wildlederschuhen über einen Teppich aus knöchelhohen Eichenschösslingen. Er will „Wertholz“ produzieren, also 200 Jahre alte Eiche heranwachsen lassen, die noch die Enkelin seines jüngsten Sohnes wachsen lässt.
„Für einen guten Wald muss man hervorragende Großeltern und noch bessere Enkel haben“, sagt von Rotenhan. Doch in den Zeiten der Dürre wanken die menschlichen Regeln. „Der Klimawandel macht den Generationenvertrag kaputt“, sagt von Rotenhan, der 90 Jahre alte Eichen fällt, bevor sie in der Trockenheit sterben. Die Erfahrungen im Forst reichen nicht aus, um zu erklären, was da passiert. „Weil es nicht aufhört“, sagt Förster Simon Schuon. Die Trockenheit hört einfach nicht auf.
Er hat alles so gemacht, wie er es gelernt hat: Er hat wenig Holz aus dem Wald geholt, dafür öfter, und er baut den Wald so um, dass aus Sicht der Waldbesitzer „nie eine Durststrecke“ entsteht. Als im Herbst 2018 die Lärchen frühzeitig die Nadeln fallen ließen, war ein älterer Förster genauso ratlos wie der Mittdreißiger Schuon. Beide fragten sich, wann die Lärche wieder austreibt. Nun weiß Schuon: Die Lärche bildet keine neuen Nadeln. Sie bleibt kahl.
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