piwik no script img
taz logo

Klimapolitik der LinkenRevolution ohne höheren CO2-Preis

Die Linke hat das radikalste Programm gegen die Erderhitzung beschlossen: Netto-Null bis 2035 und keine höheren Sprit- oder Heizölpreise.

Klimapolitik ist ein schwieriger Balanceakt – auch für Die Linke Foto: DPA

Berlin taz | Viel mehr Symbolik geht nicht: Da fand der Wahlparteitag der Linken unter dem Motto „Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit“ am vergangenen Wochenende schon in der Berliner Rekordhitze statt – und dann fiel bei der kleinen Präsensveranstaltung auch noch die Klimaanlage aus. Das Resultat: ein klimapolitischer Forderungskatalog, der alle andere Parteien in diesem Wahlkampf in den Schatten stellen soll.

„Klima“ ist ein zentrales Thema vor der Bundestagswahl: Die Grünen verlangen härtere und schnellere Maßnahmen zur CO2-Reduktion, SPD, CDU und CSU verschärfen ihr eigenes Klimaschutzgesetz und verlegen das Ziel „Klimaneutralität“ um fünf Jahre nach vorn, auf 2045. Aber die Linke legt nun bei all diesen großen Versprechen noch eins drauf, zumindest bei den Zielen: Schon bis 2035 soll das Land klimaneutral sein.

Die Partei kämpft ums politische Überleben, ob ihre Pläne Realität werden können, ist völlig ungewiss. Trotzdem oder deshalb legt sie einen Gegenentwurf zu den anderen Parteien vor: Sie wollen eine „sozial gerechte Klimawende“, die schneller aus den Fossilen aussteigt. Dafür planen sie große Investitionsprogramme, massive Verschuldung und weitreichende staatliche Eingriffe. Zweiter Unterschied: Die Linken lehnen höhere CO2-Preise für Verkehr und Gebäude ab. „Das ist klimapolitisch unwirksam und unsozial“, sagt der Klimaexperte der Linksfraktion, Lorenz Gösta Beutin, zur taz.

Viele Vorstellungen ähneln den Ideen der Fridays-for-Future-Bewegung. Auch sie hatte 2020 in einem Gutachten des Wuppertal-Instituts für Netto-Null in 2035 plädiert. Die Partei will also einen jährlichen Zubau der Erneuerbaren von 7 Gigawatt Wind an Land, 2 Gigawatt auf See und mindestens 10 Gigawatt Solarstrom – zwei- bis viermal so viel wie in 2020 gebaut wurde und beim Wind an Land noch mal deutlich höher als selbst ambitionierte Ausbaupfade. Jährlich müssten 4 Prozent der Gebäude energetisch saniert werden, heute sind es nicht mal 2 Prozent. Pkw-Verbrennungsmotoren sollen nach 2030 verboten sein. Auf alle Neubauten müsse eine Solaranlage, „Ökozid“, also Umweltzerstörung, solle strafbar und Klimaschutz Staatsziel werden.

Kohleausstieg schon 2030

Den Kohleausstieg wollen die Linken auf 2030 vorziehen, bis 2035 wollen sie 100 Prozent Ökostrom erreichen und die Akzeptanz dafür vor Ort durch mehr Bürgerenergie und Beteiligung erreichen. Im Wahlprogramm fordern sie allerdings auch, den Neubau von Kohlekraftwerken zu verbieten, die Braunkohleregionen mit 40 Milliarden Euro zu stützen, die CO2-Abscheidung CCS zu verbieten oder alle Atomkraftwerke abzuschalten – was alles bereits geregelt ist.

Anders als bei der EEG-Umlage, die alle gleich und dadurch Arme prozentual höher belastet, wollen die Linken Klimaschutz sozialverträglich gestalten: etwa durch eine verbilligte Sockelversorgung mit Strom und Wärme, höhere Mobilitätspauschalen statt Pendlerpauschalen und einer Verbrauchsobergrenze für elektrische Geräte. „Der Klimawandel wird nicht von den Menschen gemacht“, heißt es im Wahlprogramm, „sondern von den Reichen“. Das „größte Marktversagen der Geschichte“ fordere eine „sichtbare und spürbare Hand der Politik“.

Massive Staatsinvestitionen

Die soll dann auch viel Geld bekommen. 87 Milliarden soll der Staat jedes Jahr etwa für öffentlichen Verkehr, Stromnetze in Staatshand, eine Wasserstoffindustrie oder den sozialen Ausgleich ausgeben, Schluss soll sein mit der schwarzen Null. Finanzieren will die Linke das über Vermögenssteuern, Abbau von Subventionen, Anleihenkäufe der EZB und aus dem ungeliebten CO2-Preis. Den dürfe man nicht erhöhen, wie es etwa Union und Grüne planen, „solange es zum Autofahren keine Alternative gibt“, sagte Beutin. Da müssten große Investitionen in Bahn und Bus, aber auch eine sozialökologische Steuerreform diese Bedingungen schaffen. „Wenn man nur die Preise erhöht, verliert man die Akzeptanz für den Klimaschutz“, so Beutin.

Für Greenpeace-Sprecher Tobias Austrup setzt die Linke „mit einem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, einem schnelleren Kohleausstieg und deutlich mehr erneuerbaren Energie auf die richtigen Weichenstellungen.“ Wie stark der ökologische Anspruch aber sei, müsste die Linke in einer Regierungsbeteiligung beweisen. „Die Erfahrung aus einigen Landesregierungen zeigte leider öfter fehlende Standfestigkeit.“

Realisierung wird kompliziert

Es bleiben Widersprüche: Netto-Null schon in 14 Jahren und ohne höhere CO2-Preise zu erreichen, wird kompliziert. Denn die favorisierten Maßnahmen wie ÖPNV-Ausbau und Steuerreform brauchen lange, ehe sie wirken. Wie realistisch ihre Forderungen sind, wenn die Linke auch wegen innerer Grabenkämpfe um den Einzug in den Bundestag kämpft, beantwortet Beutin so: „Realistisch ist es, alles zu tun, um das 1,5-Grad-Ziel umzusetzen. Unrealistisch ist es, so zu tun, als hätten wir dazu noch viel Zeit.“

Allzu revolutionär sollen die Forderungen dann aber doch nicht sein. Ein Änderungsantrag der Linksjugend, die einen CO2-Preis von 180 Euro durchsetzen wollte, der „durch radikale Umverteilungsmaßnahmen sozial gerecht gestaltet werden muss“, wurde nicht berücksichtigt. Die 180 Euro sind schon lange eine Forderung der Fridays-for-Future-Bewegung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "abwandern werden sie trotzdem nicht."

    doch werden sie.sowohl ein höherer co2-preis als auch die von mir vorgeschlagene mengenabhängige und einkommensabhängige progressive individuelle besteuerung von c02-emissionen als auch die notwendigen verbote von besonders schädlichen wirtschaftlichen aktivitäten werden die unternehmen vermeiden wenn sie es können.genau dass ist ja der zentrale grund dafür warum der klimaschutz jahrzehntelang verzögert wurde und auch heute nicht konsequent realisiert wird.



    staaten die am weltmarkt teilnehmen und auf diesem um kapital und arbeitsplätze und steuereinnahmen konkurrieren können das klima nicht wirksam schützen -weil sie keine kontrolle über diesen haben und mit der drohung des abzugs von kapital und dem entzug von arbeitsplätzen und steeuereinnahmen erpresst werden können

    für die schnelle senkung der co2 emissionen sind auch eine sehr viel weniger ungleichmässige einkommensverteilung und mehr soziale sicherheit erforderlich

    beides treibt die wirtschaft in die flucht-

    ohne eine grundsätzliche beendigung der globalisierten dauererpressung durch den markt wird klimaschutz nicht gelingen

    wer keine kompromisse mit der wirtschaft machen will muss diese staatlicher kontrolle unterwerfen

    • @satgurupseudologos:

      Sie haben durchaus vollumfänglich recht. Drücken wir uns für die ganze Welt die Daumen, dass es nicht zu spät ist oder sein wird.

  • Da wird es dann sicher auch kene Geschwindigkeitsbegrenzungen geben, damit der gehetzte Arbeitnehmer n seinem SUV die Schicht bei Mercedes auch noch pünktlich erreicht.

  • Der Ansatz der Grünen die CO2 Reduktion über Preisanreize zu erreichen ist letztlich der Marktgläubigkeit geschuldet. Wie immer wird bei dieser Art der versuchten Steuerung das Tor für Tricks und "Grünrechnerei" ganz weit aufgemacht. Die soziale Ungerechtigkeit dabei, wird nicht durch Steuererleichterungen kompensierbar sein. Das geplante "Bürgergeld, die direkte Rückzahlung an die Bürger ist ein bürokratisches Ungetüm, das, sollte es tatsächlich kommen, sehr schnell wieder durch andere Rechentricks ausgehebelt werden kann. Ich würde mich da nicht drauf verlassen.



    Wenn CO2 reduziert werden soll, dann muß man Ansagen machen, "Aus für den Verbrenner bis 20xx", "keine Kohle mehr", und so weiter, klare Ziele, klare Daten, dann kann auch die Wirtschaft damit planen. Heulen wird sie trotzdem, abwandern werden sie trotzdem nicht.



    Wird dagegen der CO2 Preis heraufgesetzt, fängt die Wirtschaft an (oder besser die Lobbyorganisationen) ein Heer von BWLern, VWLern und andere Zahlenjongleure zu beschäftigen, die nach Schlupflöchern suchen und sie auch finden werden.



    Klare Worte, klare Entscheidungen.



    Durch "Wasch mich, aber mach mich nicht nass" ist noch niemand sauber geworden.



    Am Autosteuer (von mir aus auch Fahrrad) sage ich auch nicht ich lenke nur 10 Grad nach links und 10 Grad nach rechts, dazwischen lass ich es laufen, so kommt man nicht zum Ziel.