piwik no script img

Klimakrise und ÜberfischungDeutschlands Abschied vom Dorsch

Die Population des Fischs vor der deutschen Ostseeküste hat wohl einen Kipppunkt überschritten. Dass sie sich wieder erholt, ist unwahrscheinlich.

Macht sich rar: der Dorsch Foto: Martin Zwick/Visum

Berlin taz | Der Dorschbestand in der westlichen Ostsee ist einer neuen Studie zufolge zusammengebrochen. Das Papier, das kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Science Report veröffentlicht wurde, kommt zu dem Schluss, dass diese Fischpopulation ihren Kipppunkt überschritten hat.

„Wird solch ein Kipppunkt erreicht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein befischter Bestand sich schnell erholt“, teilte die Universität Hamburg mit, deren Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) die Federführung hatte.

Für die Fischerei in der Ostsee gehört der Dorsch zum Brot-und-Butter-Geschäft. Neben dem Hering ist er wesentlicher Beutefisch für eine Handvoll Trawler und 1.100 kleine Kutter. Sie prägen das Ambiente der Ostseeküste, ihre Identität und stellen Arbeitsplätze.

All das ist bedroht. Die Fangmengen sind in den vergangenen Jahrzehnten im Vergleich zur Mitte der 90er Jahre um 80 Prozent zurückgegangen, wie es die Daten des Heinrich-von-Thünen-Instituts zeigen.

Zwar gab es wie 2016 immer mal wieder starke Jahrgänge, aber wie Studienleiter Christian Möllmann von CEN vermutet, war das ein letzter Ausreißer: Die Überfischung und der Klimawandel hätten das heutige niedrige Niveau verfestigt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft gute Jahrgänge kommen, ist gering“, sagt Möllmann.

Ökosystem noch weitgehend unerforscht

Zusammen mit Kollegen des Centers for Ocean and Society (CeOS) an der Uni Kiel und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig hat Möllmann Fischereidaten von Jahrzehnten mithilfe statistischer Modelle ausgewertet.

Sie stützten sich dabei auf die „Katastrophentheorie“, die sonst auch zur Vorhersage von Börsencrashs oder dem Kollaps von Gebäuden genutzt wird. Ihre Anwendung legt nahe, dass der Dorschbestand in der westlichen Ostsee einen neuen stabilen Zustand auf niedrigem Niveau erreicht hat.

Ursache hierfür sei das Zusammentreffen zweier Faktoren, sagt Möllmann: Die jahrzehntelange Überfischung habe die Elterngenerationen verkleinert. Und schlechtere Umweltbedingungen erschwerten es dem Bestand, sich zu erholen.

Möllmann räumt ein, dass das Ökosystem noch weitgehend unerforscht sei. „Keiner kann behaupten, dass er weiß, was passiert – außer dass die geringere Nachwuchsproduktion mit der Erwärmung korreliert.“

Möllmann kritisiert, dass die Umweltveränderungen bisher nicht in die Bestandsprognosen des Internationalen Rats für Meeresforschung (Ices) eingeflossen seien, an denen die EU ihre Fangquoten ausrichtet. Deshalb sei zu viel gefangen worden und der Bestand eingebrochen.

An der Studie gibt es aber auch Kritik. Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut, deutscher Vertreter beim Ices, findet die Kipppunkt-Theorie interessant. Letzlich sei sie aber ein alter Hut. „Früher haben wir das Regime-Shift genannt“, sagt er. „Das Problem ist, dass man das nur in der Rückschau sehen kann.“

Möllmann wirft er vor, dass er und seine Kollegen aus vier vergangenen stabilen Perioden mit unterschiedlichen Niveaus auf die Zukunft schließen würden. Das sei aber unseriös, weil sie nur einen statistischen, aber keinen funktionalen Zusammenhang feststellten. Auch der Ices berücksichtige Umweltveränderungen, behelfe sich beim Dorsch deshalb aber mit dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.

Und was sagt die betroffene Branche? Peter Breckling vom Deutschen Fischereiverband räumt ein, dass es grundlegende Veränderungen in der westlichen Ostsee geben könnte, sagt aber: „Die Reduzierung der Fangmenge ist nicht unbedingt die alleinige Schlüsselgröße.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Soso...der Dorsch vom Austerben betroht...nadann muß es ja einen enorme Nachfrage geben...in je 1000 Tonnen...mal im Fischgeschäft nachgefragt...wer isst Dorsch...?



    (ich nicht) wird exportiert?



    Lösungsansatz: Dorschzucht in Meeresbecken?

    • @HAHABerlin:

      Dorsche sind eine der absolut wichtigsten Speisefischfamilien. Die Unterart Atlantischer Dorsch/Kabeljau wird an der Ostseeküste Dorsch genannt, an der Nordseeküste tragen diesen Namen nur die Jungfische, sonst sagt man Kabeljau. Die Dorsche aus dem Nordpazifik werden unter dem Marketingbegriff Seelachs gehandelt. Schellfisch, Wittling, Pollock sind auch Dorsche und der getrocknete Stockfisch. (Und die meisten Fischstäbchen.)

  • Ok. Ok. But.

    Die ungebremste Industrialisierung der Anrainerstaaten der überschwemmten Wiese - vulgo - Ostsee seit Ende des 19./Anfang des 20. Jhdt. nicht vergessen.



    “Wenn wir so weitermachen. Wird der Hering noch ein begehrter Speisefisch werden!“



    Recht hat er behalten. Der olle Paulus Schiemenz irgendwann in den 20.ern.

    www.b-tu.de/fg-tec.../id/IGB_schiemenz3



    &



    www.b-tu.de/fg-tec.../detail?sache=foto

    Das Forschungsschiff des igb-berlin trägt zu recht seinen Namen



    www.igb-berlin.de/forschungsschiff



    & merkwürdig nur noch in dänisch =>



    sv.wikipedia.org/wiki/Paulus_Schiemenz



    &



    taz.de/Schadstoffe...ndwasser/!5324430/



    Leider funzen die links zur Gedenkstätte nicht mehr - Honi soit qui mal y pense -



    (entre nous only - Unsere alte Dame*04 kannte ihn gut aus berliner Tagen -einschließlich Sohnemann - noch in kurzen Hosen! & duzte diesen später fröhlich btw dieserhalb. Was dieser nicht verknusen konnte. Wat höbt wi lacht! 🤫 ;))

  • „Die Reduzierung der Fangmenge ist nicht unbedingt die alleinige Schlüsselgröße.“

    Was soll denn das heißen, "nicht unbedingt"? Also, vielleicht möglicherweise könnte es noch eine zweite Schlüsselgröße geben? Also weil es die vielleicht möglicherweise geben könnte, ändert ihr nichts an der ganz hundertprozentig ganz ganz wesentlichen zentralen hauptverantwortlichen systementscheidenden unwiderlegbar hauptrelevanten Schlüsselgröße?

    • @LeSti:

      Die zweite Schlüsselgröße wird genannt. Es ist die Klimaerwärmung. Der Dorsch ist die Fichte unter den Fischen. Die Ostsee (und südliche Nordsee) ist ihm mittlerweile zu warm. Dorsch/Kabeljau-Bestände gehen überall in ihren klassischen Fanggebieten zurück trotz Schonmaßnahmen.

      • @Konrad:

        "Schonmaßnahmen". Sie meinen eine Reduzierung der Überfischung von 100% auf 80%?



        Wir werden das Experiment ja so oder so erleben. Entweder reduzieren wir den Befischungsdruck jetzt auf Null. Oder das passiert in 10-15 Jahren, wenn alle Fischer pleite sind. Haken: Nur in einem der beiden Fälle gibt es vielleicht noch genug Dorsche, damit sich der Bestand evtl noch selbst erneuern kann.

        • @LeSti:

          Gibt ja ganz verschiedene Schonmaßnahmen, die Bestände brechen von Labrador bis zur Bretagne überall ein. Die Maßnahmen von Quotenreduzierung über Netzmaschenvergrößerung bis zum totalen Fangverbot in Labrador. Geholfen hat es wenig bis nichts. Den Dorsch gibt es weiter, der ist halt nur räumlich und/oder evolutionär woanders. Wenn das Umfeld passt, können Fische von nahezu null ihren Lebensraum besiedeln, siehe Neozoen. Und man erwischt ja nie alle Fische. Die drohende (oder zu erhoffende) Fischerpleite wird übrigens nicht die staatlichen Fangflotten z. B. Chinas betreffen.

          • @Konrad:

            Ah. Von der Bretagne bis Labrador. Alles Fanggründe. Klimatisch auch nicht alle gleich wie das Binnenmeer Ostsee. Ehrlich gesagt lässt das die Begründung Klimawandel als ziemlich belanglos erscheinen.



            Nö. Die Chinesen gehen nicht pleite. Aber wo nichts mehr ist, fangen die auch nichts mehr.

        • @LeSti:

          Gibt ja ganz verschiedene Schonmaßnahmen, die Bestände brechen von Labrador bis zur Bretagne überall ein. Die Maßnahmen von Quotenreduzierung über Netzmaschenvergrößerung bis zum totalen Fangverbot in Labrador. Geholfen hat es wenig bis nichts. Den Dorsch gibt es weiter, der ist halt nur räumlich und/oder evolutionär woanders. Wenn das Umfeld passt, können Fische von nahezu null ihren Lebensraum besiedeln, siehe Neozoen. Und man erwischt ja nie alle Fische. Die drohende (oder zu erhoffende) Fischerpleite wird übrigens nicht die staatlichen Fangflotten z. B. Chinas betreffen.