Klimacamp Bremen: Zelten ist gut für die Revolution
Nach 175 Tagen steht das Klimacamp auf der Kippe. Neue Unterstützer*innen werden gesucht. Eine Nacht vor Ort mit Tee, Gitarrenspiel und einer Bilanz.
Erstaunlich viele Menschen hört man nachts in der Einkaufszone der Stadt. Zwei Leute draußen flüstern und kichern; was machen die da? Können sie etwas stehlen im großen Hauptzelt? Das gerettete Brot, die veganen Aufstriche? Die Campinglampe oder die Pflanze, die von der Zeltdecke hängen? Das Glas mit ein paar 50-Cent-Stücken, für den Toilettengang im Parkhaus? Oder den improvisierten Kühlschrank, zwei tönerne Blumentöpfe mit einer Sandschicht dazwischen? Eher nicht. Der Dom läutet noch einmal, zur vollen Stunde: Es ist vier Uhr, na also. Weiterschlafen.
Das Klimacamp braucht mehr Unterstützer*innen
Zelten auf dem Marktplatz fühlt sich seltsam und ungemütlich an in der ersten Nacht, für die Aktivist*innen vom Bremer Klimacamp ist es längst Normalität. Seit fast einem halben Jahr halten sie hier die Stellung. Doch „Wir bleiben, bis ihr handelt“, genau das ist gar nicht mehr so sicher an Tag 174. Shu und Spinne, Paul und Minze, Taumel und Anne und wie sie alle heißen überlegen, wie es weitergeht.
Am Montagabend hatte die Gruppe über alle Kanäle noch einen Hilfeaufruf abgesetzt. „Wir brauchen JETZT dringend Unterstützung, damit das Klimacamp weiterleben kann“, heißt es dort. „Aktuelle Camp-Bewohnis müssen entlastet werden.“ Bis Sonntag will man sehen, ob sich Unterstützer*innen finden, Menschen, die Schichten übernehmen können. Mindestens drei Menschen müssen immer vor Ort sein, damit das Camp als Versammlung durchgeht. Und das 24 Stunden am Tag, seit nun 175 Tagen.
Wie viele Supporter*innen es gibt, das ist nicht ganz klar. Jemand sagt, es dürften 30 sein, eine andere glaubt an noch ein paar mehr. Viele von ihnen helfen im Hintergrund: Menschen, die kochen, Menschen, die ihre Duschen zur Verfügung stellen. „Alle sind wichtig“, stellt „Ananas“ im Plenum am Dienstagabend klar. „Aber manche sind Bausteine und andere sind Säulen“.
Einige Aktivist*innen engagieren sich jetzt anderswo
Shu gehört zu den Säulen, tagelang am Stück ist er da, übernimmt eine Schicht nach der nächsten. Ähnliches galt für Simon – aber der geht jetzt, er will in Westfalen den Steinhausener Wald retten. So wie Arbor, der auch so eine Säule war, und jetzt den Wald besetzt. Und so wie Taumel, die deshalb bald nur noch halbe Kraft fürs Klimacamp geben kann.
Gründe gibt es mehrere: Da ist zum einen der Steinhausener Wald, der es sicher verdient, gerettet zu werden. Im Hintergrund schwebt dazu leise noch ein anderer Konflikt: Wer hat was zu sagen im Camp? Haben alle immer genug Raum?
Plötzlich jedenfalls gibt es viele leere Schichten, die gefüllt werden müssen. Zum Plenum am Dienstag haben ein paar Neue zumindest mal vorbeigeschaut, der Hilferuf wurde gesehen. Es könnte noch mal was werden mit einer Verlängerung.
Jetzt, am Mittwochabend, ist neben der taz-Journalistin auch Carsten erstmals zum Übernachten vorbeigekommen, er ist Hausmeister und bald im Vorruhestand, will die Gruppe unterstützen und bringt auch selbst etwas „Sehnsucht nach dem gemeinsamen Ziel“ mit. Erst einmal sitzt er am Rande, im Hauptzelt, und beobachtet, wie die Camper*innen ihre Zeit gestalten, Tee trinken, quatschen.
Draußen ist es schon dunkel, Minze beginnt, Gitarre zu spielen, das klingt schöner als die verwischten Fetzen von Orgelmusik aus dem Dom, die unablässig herüberschallen. Yassin macht sich ein riesiges Porridge und singt zur „Tally me-Banana“-Melodie: „Energie ist wichtig für die Revolution.“ Es wirkt vertraut wie ein WG-Abend, ein guter.
Das Leben am Rathausplatz ist anstrengend
Es gibt auch die andere Seite. Das Anstrengende, das ist, dass kein Feuer gemacht werden darf, auch nicht zum Kochen. Das Anstrengende, das sind die Kälte und auch der Lärm: Das Plenum am Dienstag wurde alle paar Minuten unterbrochen, immer wenn die Straßenbahnen vorbeigerattert sind.
Das Anstrengende ist die Unsicherheit: Walkie-Talkies wurden angeschafft, nachdem Betrunkene nachts an den Zelten gerüttelt hatten. Das Anstrengende sind die Passant*innen, erzählt Minze, manche mit sexistischen Sprüchen, viele mit verärgerten Blicken. Das Anstrengende, das ist auch der Mandel-Arsch, der an seinem Stand an Zecken nichts verkaufen wollte.
Das Anstrengende, findet Spinne, sind die cis Männer, auch im Camp, die dazwischenquatschen, wenn Frauen was sagen, aber sich zurückhalten, wenn sie sexistisch angequtscht werden. Auch interne Konflikte hat es gegeben im Camp; an diesem Abend ist das gar nicht mal so leicht vorstellbar, wenn man sieht, wie betont achtsam alle miteinander umgehen. Vor einer Umarmung wird gefragt, ob sie gewünscht ist. „Wir haben total viel hier gelernt“, sagt Paul. „Egal, was wir erreicht haben, das kann uns keiner nehmen.“
Die große Frage: Warum weitermachen?
Eine große Gruppe angetrunkener Erstsemester steht vor dem Dom, eine Kennenlernrallye. Yassin schnappt sich das Megafon und gibt den Animateur. „Ihr habt alle gewonnen“, ruft er, der Rest geht im Jubel unter. Eine Studentin kommt rüber zum Zelt. „Richtig nice, was ihr hier macht“, sagt sie und meint das ganze Klimacamp. Paul und Ca lächeln freundlich zurück. „Die Anerkennung gibt mir nicht so viel“, sagt Paul später auf Nachfrage. „Am Anfang hatte ich großen Weltschmerz und war eher wütend auf die, die’s toll finden, aber selbst nicht mitmachen“, so der 18-Jährige.
Was genau aber soll es bringen, weiterzumachen mit dem Camp? Die Politik drängen, die Ziele des Camps zu erfüllen? „Bremen klimaneutral bis 2032“ steht auf einem Schild, neben konkreten Wegen dahin. Die Aktivistis winken ab. Ein paar Politiker*innen seien vorbeigekommen, alle mit viel Lob für die Ziele – und der Versicherung, ihnen seien die Hände gebunden.
Menschen erreichen, das ist schon eher greifbar. „Veränderung kann nur von unten kommen“, sagt Paul. Und Taumel macht wieder Pläne für Workshops, für mehr Öffentlichkeit. Andererseits: Menschen erreichen um jeden Preis, das wollen sie nicht. Ein älterer Mann kommt an und will erklären, warum die wahren Probleme in Thailand liegen, nicht in Bremen. Er wird weggeschickt, und er bleibt nicht der Einzige. Man muss haushalten mit seinen Kräften.
Ein Sinn des Klimacamps ist das Klimacamp selbst
Warum also Klimacamp – und warum weitermachen? „Egal, mit was für Vorstellungen du in das Camp kommst“, sagt Yassin, „du kommst bestimmt verändert heraus.“ Dann erzählt er wie wichtig es ist, seine Seele zu finden, und dann erzählt er, wie er selbst hier gelandet ist. Was er erzählt, ist nicht lustig, aber Yassin ist ein guter Erzähler und er will unterhalten. Yassin kam vor Monaten hier vorbei. Man hatte ihn rausgeworfen, dort wo er lebte, und so lief er durch die Nacht, von Polizeiwache zu Polizeiwache, damit man ihm eine Zelle geben möge bis zum nächsten Morgen, alles ohne Erfolg.
Dann traf er auf Shu, der vor dem Zelt saß, und sprach ihn an. Bis 5 Uhr morgens hätten sie auf den Stufen vom Dom gesessen und geredet, dann kam das Angebot, „schlaf doch hier“. Ganz fassen konnte Yassin das Vertrauen nicht: „Ich war komplett am Ende, kein Geld, keine Wohnung“, erzählt er. „Ganz ehrlich, hätte ich keine Moral gehabt, hätte ich sie abziehen können.“ Yassin schüttet Pulver aus einer Dose in seine Tasse mit heißem Wasser. „Ohne Cappuccino keine Revolution“, singt er.
Warum also Klimacamp? Für viele im Camp ist das gar keine Frage – ja, was denn bitte sonst? „Ich will meine Utopie leben“, sagt Spinne, „gemeinsam Ziele verfolgen und gut miteinander umgehen.“ Und: „Wir haben den Auftrag, diese Gesellschaft irgendwann neu aufzubauen“, sagt die 21-Jährige. „Hier üben und hier zeigen wir schon mal, wie das aussehen kann.“
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