Klimabewegung und Nachhaltigkeit: Die 1,5-Grad-Grenze verläuft hier
Die Klimaproteste schrumpfen. Und jetzt? Manche in der Bewegung setzen auf radikaleren Protest – doch es gäbe einen anderen Weg.
H aben Sie auch schon den Ampelblues? Draußen ist es kalt und stürmisch, in den Nachrichten reden sie immer nur von Fortschritt. Ernüchterung macht sich breit. Als erste echte Wahl nach 16 Jahren Merkel wurde einem die Bundestagswahl angepriesen, und jetzt soll nach den ersten Verhandlungen doch alles mehr oder weniger so bleiben, wie es war.
Falls es Ihnen auch so geht, schauen Sie sich das Video an, das Anfang der Woche herumgereicht wurde. Es wird Ihnen gute Laune machen. Greta Thunberg ist darin zu sehen, wie sie auf einer Bühne tanzt und vor kreischenden Zuschauern ein Lied singt: „Never Gonna Give You Up“.
Niemals aufgeben, das ist das Motto der Klimabewegung in diesem Herbst. Dabei könnte man versucht sein, alles hinzuwerfen. Bei der vermeintlichen Klimawahl gab es keine Mehrheit für eine realistische Klimapolitik, das Ampelprogramm entspricht bislang nicht dem Pariser Klimaabkommen. Und bei den Koalitionsverhandlungen sitzen in der Arbeitsgruppe Klima für die SPD der niedersächsische Autohändler Stephan Weil und der brandenburgische Kohlekönig Dietmar Woidke.
Aber die Klimabewegung gibt nicht auf. Für Freitag wurde wieder zum Streik aufgerufen. Doch der Klimastreik schrumpft. Er ist längst kein Streik mehr, kein Regelübertritt, sondern fester Bestandteil des Politikbetriebs. Wie kann die Klimabewegung darauf reagieren?
Es gibt verschiedene Antworten: Am Donnerstag stellte sich Luisa Neubauer für eine Pressekonferenz vor ein Dinosaurierskelett im Berliner Naturkundemuseum, um deutlich zu machen, welche Zukunft der Menschheit blüht. Aber reicht es, immer neue, immer stärkere Bilder zu produzieren?
Die 1,5 Grad-Grenze sichtbar machen
Ein anderer, kleinerer Teil der Klimabewegung setzte schon im Wahlkampf aus lauter Verzweiflung auf Hungerstreik. Man kann davon ausgehen, dass sich mehr Protestierende radikalisieren werden. Manche sprechen davon, das Mittel der „friedlichen Sabotage“ anzuwenden: Wenn die Politik nicht den Kohleausstieg vorzieht und unsere Zukunft zerstört, so der Gedanke, haben wir das Recht, in die Grube zu gehen und die Bagger kaputt zu machen. Doch je radikaler der Protest wird, desto weniger Menschen machen mit, desto stärker wird die moralische Selbstgerechtigkeit.
Es gibt aber noch einen dritten Trend, der mir am erfolgversprechendsten scheint: Es geht um die Dörfer im rheinischen Braunkohlerevier, die den Baggern weichen sollen. Bauern und Dorfbewohnerinnen müssen umgesiedelt und enteignet werden. Noch ist der Widerstand klein, ein paar Protestierende haben sich dort eingenistet und sagen: Hier, auf dem Feld vor diesem Dorf, verläuft die 1,5-Grad-Grenze.
Das Kalkül, eine unsichtbare Bedrohung sichtbar zu machen, kennt man aus der Anti-AKW-Bewegung. Auch dort hätte man fragen können: Was macht es für einen Unterschied, ob die Castoren einen Tag später ihr Ziel erreichen, weil noch ein paar Tausend Menschen die Gleise blockieren? Trotzdem war der Atomausstieg nicht allein Rot-Grün und auch nicht dem Unglück von Fukushima zu verdanken. Sondern dem Erfolg der ausdauerndsten Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik.
Das Gute ist: Auch der Kohleausstieg wird nicht allein von der Ampelkoalition bestimmt, sondern maßgeblich von der Klimabewegung. Aufgeben ist also keine Option.
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