Klima-Volksentscheid: Kann Berlin Klimaschutz?
Der Entscheid war hart erkämpft; die Debatte über den Abstimmungstermin ist skandalös. Jetzt muss es schnell auch um die Ziele der Initiative gehen.
D em Klimaentscheid gebührt schon jetzt – mehrere Monate vor der Abstimmung – ein besonderer Platz in der Geschichte der direkten Demokratie in Berlin. Aus zwei Gründen: Noch nie hat ein Volksbegehren auf den letzten Metern derart an Fahrt aufgenommen. Vier Tage vor Fristende meldete die Initiative Klimaneustart gerade mal 180.000 Unterschriften – das wären, wie wir seit Dienstag wissen, fast 70.000 zu wenig gewesen.
Und in der erbittert geführten Debatte um den Abstimmungstermin zeigt sich, welche politischen Kräfte den Souverän, also die Berliner Bevölkerung, wirklich ernst nehmen. Am kommenden Dienstag will der Senat final klären, ob der Entscheid am selben Tag wie die Wiederholungswahl stattfindet, also am 12. Februar 2023. Jede anderslautende Entscheidung wäre ein Affront; dennoch deutet derzeit alles darauf hin. Offenbar war die in Sachen Volksentscheide berüchtigte Blockadestrategie der SPD-geführten Innenverwaltung wieder mal erfolgreich.
Unabhängig vom Tag der Abstimmung muss daher nun endlich die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Zielen dieses Entscheids beginnen. Die ist nämlich bislang kaum geführt worden – weder während der Sammelphase, in der wohl auch viele Politiker*innen einen Erfolg als unwahrscheinlich betrachteten, noch nach der Übergabe der mehr als 260.000 Unterschriften Mitte November, weil schnell die Terminfrage alles andere überlagerte.
Dabei ist die Klimapolitik, übrigens nicht nur des Senats, sondern weltweit, voller Widersprüche und vor allem geprägt von Lippenbekenntnissen. So hat zum Beispiel Rot-Rot-Grün im Januar 2020 die Klimanotlage im Land ausgerufen und sich damit zum Ziel des Pariser Abkommens bekannt, die Erderhitzung auf 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen. Inzwischen gehen die meisten Expert*innen allerdings davon aus, dass schon eine Begrenzung auf 2 Grad schwierig wird. Aus diesem Grund haben etwa die Aktivist*innen der „Letzten Generation“ am Freitag die Fortsetzung ihrer kurzzeitig unterbrochenen Blockaden in Berlin und München angekündigt.
Bisher will Berlin bis 2045 klimaneutral werden. Dank des Volksbegehrens liegt nun ein Gesetzentwurf zur Abstimmung vor, der viel radikalere Ziele vorsieht: Bis 2030 müsste Berlin die klimaschädlichen CO2-Emissionen danach um 95 Prozent mindern, verglichen mit dem Niveau von 1990. Zu erreichen wäre das nur mit auch finanziell massiv verstärkten Anstrengungen etwa bei der Verkehrswende, bei der Dämmung von Gebäuden, bei der Wärmeversorgung der Stadt.
Eine Frage dabei: Was kann Berlin allein ausrichten? Global gesehen wenig; als Symbol und als deutschland- oder sogar europaweites Vorbild ist eine radikalere Klimapolitik allerdings sinnvoll.
Eine andere Frage lautet: Kann das vorgelegte Gesetz dabei helfen oder ist dessen Umsetzung schlicht völlig unrealistisch? Tatsächlich liegt Letzteres nahe, denn der erste Stichtag ist bereits 2025: Bereits bis dahin muss laut die Gesetz die Kohlendioxid-Reduktion schon 70 Prozent betragen. Da wäre das Gesetz – eine Zustimmung beim Entscheid vorausgesetzt – keine drei Jahre in Kraft.
Pokern auf eine geringe Beteiligung
Kein Wunder, dass Politiker*innen fürchten, von der Bevölkerung zu etwas verpflichtet zu werden, was sie nicht erfüllen können, weil es schlicht zu teuer ist und die Fachkräfte fehlen; wozu die Politik allerdings per Klage gezwungen werden könnte. Vor diesem Hintergrund wird offensichtlich, warum ein von der Wahl getrennter Abstimmungstermin der Politik gelegen kommt. Denn dabei ist, das zeigen frühere Beispiele, die Beteiligung deutlich geringer; dass der Entscheid am Quorum von 25 Prozent scheitern könnte, wird viel wahrscheinlicher.
Gleichwohl braucht es die Debatte dringender denn je. Denn die Frage, wie viel Klimaschutz wir uns leisten wollen, können, müssen, was das kostet und was wir bereit sind, dafür aufzugeben, muss jetzt geführt werden. Und so breit wie möglich.
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