piwik no script img

Klima-Kampagne in Hochschul-MensenJede Mahlzeit eine moralische Entscheidung

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Schleswig-Holsteins Mensen stufen künftig alle Gerichte nach Klimafreundlichkeit ein. Damit wird, wer an der falschen Schlange steht, zum Klimasünder.

Neue Orientierung für Mensa-Gäste: Je weniger CO2 durch eine Essens-Portion entsteht, desto mehr Sternchen gibt es Foto: Timo Wilke/Studentenwerk SH

S chleswig-Holsteins Mensen haben hehre Vorsätze fürs neue Jahr: Alle Mahlzeiten, die an den zehn Hochschulen des Landes ausgeteilt werden, bekommen einen „CO2-Score“, der den Klimafußabdruck bewertet. Gemeinsam mit der schweizerischen Organisation „Eaternity“ startet das Studentenwerk Schleswig-Holstein die ­Kampagne am 6. Januar.

Gute Argumente dafür gibt es: Unsere Lebensmittelwahl ist für ein Drittel der menschengemachten Treibhaus­emissionen verantwortlich, schreibt „Eaternity“. Und die ließen sich mit cleveren Entscheidungen halbieren.

Ab Montag hat jedes Gericht ein, zwei oder drei Sterne: je weniger CO2-Emissionen, desto mehr Sterne. Nur einen Stern gibt es zum Beispiel für „Traditionelles Rindergulasch ‚Ungarische Art‘ mit Paprika und Zwiebeln“ oder die „Hähnchenbrust mit mediterranem Ratatouille und Gnocchi“.

Grundlage sind Analysen der „Eaternity“-Datenbank, die dort seit 2009 auf Basis von „Lebenszyklusanalysen von Lebensmitteln“ entwickelt wurden, wie das Studierendenwerk schreibt. Dabei fließen Faktoren wie „Saisonalität, Anbauverfahren, Transport und Verarbeitung“ in die Bewertung ein.

Zwei Sterne für Wurst mit Kartoffelsalat

Immerhin noch zwei Sterne bekommen Bockwurst mit Kartoffelsalat, Schweineschnitzel mit Pommes oder ein gebratenes Seelachs­filet mit Rahmspinat und Kartoffeln. Drei Sterne gibt es für den veganen „Cremigen Gemüseeintopf“, „Grünkohl mit Röstkartoffeln“ oder „Miso-Mie-Nudeln mit gerösteten Erdnüssen, Champignons und Pak Choi“. Dies sind meist auch die günstigen Speisen. Der aktuelle Preis für ein Essen liegt zwischen 2,35 Euro und 5,95 Euro.

Man wolle mit den Scores den Gästen die Möglichkeit geben, ihre Speisenwahl „bewusster zu treffen und den eigenen Einfluss aufs Klima im Blick zu behalten“, sagt die Leiterin der Hochschulgastronomie des Schleswig-Holsteinischen Studierendenwerks, Meike Gallert. Ergänzend ruft das Studierendenwerk zu einem Rezept-Wettbewerb auf, um den Speiseplan der Mensen klimafreundlich aufzufrischen.

Ist die Aktion sinnvoll? Oder vielleicht auch ein bisschen zu viel des Guten? Wer bitte stellt sich noch bei der Ein-Stern-Schlange an, um dann beim Mahl am Mensatisch als Klimasünder zu gelten? Klimapolitik wird hier sehr persönlich. Guten Gewissens Appetit auf „Cheese Burger mit Tomate, Eisbergsalat und Pommes“ – ein Stern – kann hier keiner mehr haben. Oder er hat es eben doch, wenn einem gerade weder Grünkohl noch Gemüsetopf noch die Miso-Mie-Nudel schmeckt.

Appetit ist etwas sehr Privates. Auf den eignen Appetit, sprich die Signale des Körpers, zu hören, auf das, was einen „ansummt“, galt einige Zeit als wichtige Haltung, um ein gesundes Essverhalten zu lernen –, die in den 1970er als Gegenbewegeung entstand, als Kinder noch zu essen hatten, was auf den Tisch kommt.

Appetit ist etwas sehr Privates. Auf den eigenen Appetit zu hören, galt einige Zeit als wichtige Haltung, um ein gesundes Essverhalten zu lernen

Vielleicht wäre es besser, die staatlichen Gastronomien zur Verpflegung in Bildungseinrichtungen würden sich in Summe um eine gute Klimabilanz bemühen. So ein Fleischgericht kann ja auch mal „aus“ sein oder eben nur an wenigen Tagen der Woche auf dem Speiseplan. So wie wir auch vom Staat erwarten, dass er mit Ausbau von Bus, Bahn und Straßenbahn den Menschen eine gute Alternative zur Fahrt mit dem eigenen Auto schafft und die Verantwortung für klimagerechtes Handeln nicht auf die Individuen abwälzt.

So aber wird von vornherein eine ungünstige Essenswahl angeboten und das Anstellen an der richtigen Mensa-Schlange moralisch und politisch aufgeladen. Dann sagt am Ende schon das, was ein Einzelner auf dem Teller liegen hat, etwas darüber aus, wie er tickt. Dabei ist das Bewusstsein, dass eine fleischarme Ernährung gesund und umwelt- und vor allem tierfreundlich ist, heute schon sogar unter Grundschulkindern weit verbreitet. Das funktioniert bisher eigentlich auch ohne solche Sternchen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • An dieser Stelle weiß ich gar nicht woher der Aufreger kommt. An vielen studentischen Mensen wird eine solche CO2 Kategorisierung schon lange angeboten. So auch an meiner Hochschule, der TH Wildau. Von dem Großteil der Studierenden wird diese schlichtweg grundsätzlich ignoriert. Ebenso wie bei vielen Studierenden der Veggitag als Komposttage bezeichnet und gemieden wird. Wie aber sonst möchte man in diesem Bereich beginnen für Einsparungen zu sorgen? Und für jene für die der Klimawandel weder egal noch unwahr ist, ist es eine gute Möglichkeit darauf zu achten und für sich sinnvolle Entscheidungen zu treffen.



    Bewertet wird im übrigen bei uns kein Mensch. Auch ist die CO2 Einteilung nur eine von vielen Informationen die zu dem Essen gegeben werden. Dort steht auch welches Fleisch enthalten ist, ob das Essen vegetarisch oder vegan ist, Allergene und verschiedene Nährwerte.

  • Wichtig in Deutschland ist:



    Auf jeden Fall kein Genuss.



    Schlechtes Gewissen ist puritanisch korrekt. Schön ist daran, dass man jetzt daran noch den Grad der Schuld dokumentieren kann.

  • Ich hoffe die Kalkulation dahinter wird offengelegt, damit man die Einteilung nachvollziehen kann. Nicht das da auch sachfremd subjektive und moralische Einflüsse eingebaut werden. Z.B. das Tierhaltung als moralisch schlecht abgewertet wird oder das bei Obst und Gemüse vergessen wird, dass wir davon den weit größen Teil importieren müssen und einfach so tun als wenn das alles regional vor Ort wächst

  • "Appetit ist etwas sehr Privates."



    Na ja Frau Kutter, das erzählen Sie mal einem Schwein. Oder einem Huhn.



    Klima-bewusstes Verhalten ist auch was sehr privates. Und so wie es aussieht, kommen wir in der Summe damit nicht von der Stelle.



    Jedes Kilo zählt, Wem das heute noch nicht klar geworden ist ...

    • @Andreas Lobe:

      In der Summe wird das höchste Gut, die persönliche Freiheit, durch klimaschädliches Verhalten ausgedrückt.



      In meinem Umfeld steigt der Umweltschweinfaktor bei den Großeltern mit der Anzahl ihrer Enkel. Die mit den meisten Enkeln lassen wirklich KEINE Gelegenheit aus, Dreck in die Luft zu blasen oder blasen zu lassen.



      Meine Hoffnung auf junge Generationen ist auch noch nicht so gefestigt, dass ich Land am Horizont sehen würde.

    • @Andreas Lobe:

      Auch ein Huhn und ein Schwein wollen essen, was ihnen schmeckt.

      Versuchen Sie mal einem Huhn zu erklären, dass sein Fressen klimaschädlich ist und es bitteschön lieber was anderes fressen hat.

      So ein Huhn ist auch nur ein Mensch.

  • Das Private ist politisch.



    Wer CO2 Ausstoß reduziert, macht das Richtige für's Klima.



    Die Kritik an dem Angebot ist unklar.



    Es ist ein Angebot, kein Verbot, keine Pflicht. Es ist ja auch zu erfahren, welche Zusatzstoffe im Essen sind.



    Es dürfte klar sein, dass die KritikerInnen nicht bei Denen zu finden sind, die schon zuvor beim Essen die bessere Wahl für das Klima getroffen haben.



    Schön ist , dass die günstigsten Gerichte somit aufgewertet werden. Es ist also auch möglich, arm und klimafreundlich zu sein.



    Nachdem in der schwarz- grünen Landesregierung der Naturpark Ostsee scheiterte, gibt es offenbar doch noch Menschen in Schleswig Holstein, denen Klima und Umweltschutz wichtig sind.



    Gut so, Weitermachen!

  • Ist das wirklich ein Bericht aus der Nord-Redaktion und nicht von der Wahrheit?



    Sind die Studenten und Studentinnen nach Meinung ihrer Studierendenwerke heute so dumm, dass sie sogar betreutes Essen brauchen?



    Schon vor vierzig Jahren gab es an meiner Uni immer auch ein vegetarisches Gericht, aber extra darauf hinzuweisen, dass dies auch besonders gesund und umweltfreundlich ist, und die anderen Gerichte "bäh", da wäre damals keiner drauf gekommen - wir konnten aber auch noch was mit Inhaltsangaben und Kilokalorien anfangen und für uns selbst interpretieren.

  • Schon aus Datenschutzgründen darf es nur eine Schlange geben und das Essen muß abgedeckt ausgegeben werden, eine ausreichende Anzahl nichteinsehbarer Einzelessplätze ist vorzuhalten.

  • Also statt den Besuchern der Mensa in Form von Sternen zu verraten, welches Menü die Klimabilanz der Mensa besser aussehen lässt, soll einfach am Ende der Schlange die Auswahl gestrichen werden?



    Oder was bedeutet: "kann ja mal aus sein"?



    Wenn ich als Mensabetreiber, die ursprünglich beliebten Gerichte nur noch für 15% der Gäste anbieten möchte, muss ich irgendwie dafür sorgen, dass nur noch 15% der Gäste die Gerichte wollen.



    Am einfachsten geht das natürlich mit leckeren Alternativen. Am dreckigsten geht es durch eingeschränkte Vorratshaltung. Dann ist das Fleisch halt "aus".



    Mit den Sternen zu zeigen, was ich am liebsten verkaufen würde, ohne mich auf einen zwingend niedrigeren Preis einlassen zu müssen, halte ich nicht für die schlechteste Idee.



    Irgendwie müssen die Kunden ja auf die leckeren Alternativen aufmerksam gemacht werden.



    Wenn die nicht da sind, helfen auch die Sternekonten nichts mehr. Dann wird jedem Esser egal sein, welche Schlange moralisch aufgeladen wurde.

  • Jede Mahlzeit ein performativer Akt von Moralität. Das passt doch perfekt in den Zeitgeist.