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Kleine Kneipe in NeuköllnDas Wirtsehepaar und ihr Coach

Uschi und Ansgar machten eine Kneipe auf: Im Fuchsbau waren Gäste und Wirte nicht unterscheidbar. Doch dann kam der Unternehmensberater.

Bier trinken geht in der Kneipe – und im Kulturverein – und eigentlich immer und überall Foto: picture alliance/epa Andy Rain/EPA/dpa

G rob gesagt kann man bei den Existenzgründern zwischen sich verwirklichen und verwirken unterscheiden. Erstere werden zumeist vom Arbeitsamt gefördert und mit einem Coach versehen, man spricht deswegen auch von „Staat-Ups“. Letztere suchen sich Investoren, die ihnen einen Projektmanager vor die Nase setzen, der sie marktwirtschaftlich fit macht. Von diesen „Start-Ups“ kommt einer von zehn in die Gewinnzone.

Unsere Kneipe in Neukölln war ein Staat-Up, das Wirtsehepaar Uschi und Ansgar war arbeitslos gewesen und hatte beim Jobcenter einen Projektantrag gestellt, der genehmigt worden war. Normalerweise muss sich jeder irgendwann entscheiden, ob er vor oder hinter der Theke stehen will, für unseren „Fuchsbau“ hinterm Comenius-Garten traf das nicht zu, das heißt Gäste und Wirte waren nicht unterscheidbar. Weswegen die Einnahmen nicht mit den Ausgaben für Getränke und Knabberzeug Schritt hielten: Es wurde großzügig eingeschenkt und die Deckelführung lax gehandhabt, während den „Aushilfen“ anständige Stundenlöhne gezahlt wurden.

Irgendwann führte der vom Jobcenter auf das „Projekt“ angesetzte „Coach“ ein ernstes Gespräch mit Uschi und Ansgar: Der Umsatz könnte besser sein, sagte der, der selbst eine Art „Staat-Up“ war: ein Unternehmensberater. Einst hatte er in der Hochschule für Ökonomie sozialistisches Wirtschaften gelernt, dann hatte er als Selbständiger Firmen beraten. Diese hatten seine Wirtschaftskonzepte jedoch meist abgelehnt und waren „deswegen wieder vom Markt verschwunden“.

So war es dann auch beim „Projekt“ von Uschi und Ansgar, denen er vorschlug, mehr Touristen anzulocken und zum Beispiel „Cocktails“ und „Happy Hours“ einzuführen, sowie mit „Flyern“ draußen für ihre Veranstaltungen zu werben. Aber dazu fand sich niemand und das ganze „Hawaii-Gelumpe“ mit den Happy-Hours lehnten alle ab, zumal sie befürchteten, dass dann plötzlich Englisch im „Fuchsbau“ gesprochen wurde. Nicht dass sie generell was gegen Fremde hatten, Polen und Russen waren beispielsweise willkommen, es standen acht Wodka-Sorten im Kühlfach.

Verluste auf viele Schultern verteilen

Als der Coach sich mit der Anökonomie das „Fuchsbaus“ vertraut gemacht hatte, schlug er vor, mit den Stammgästen einen Kulturverein zu gründen, das würde die Verluste auf viele Schultern verteilen, wenn nicht gar dazu führen, endlich Gewinn zu machen. Denn hinter einem solchen altruistischen Verein stünden viele Egoisten, die nicht draufzahlen wollen auf Dauer.

Der Coach argumentierte gerne biologisch, in diesem Fall bemühte er eine Drosselart, bei der die ledigen Vögel den Brutpaaren bei der Aufzucht helfen, wodurch sie an Ansehen gewinnen. Desungeachtet wurde sein Rat angenommen und schon bald waren alle Mitglieder im Verein der Freunde des klassenlosen Fuchsbaus. Da die Höhe des Mitgliedsbeitrags jedoch von jedem selbst bestimmt wurde und man auch nichts zu zahlen brauchte, änderte der Verein wenig an der finanziellen Misere.

Den „e.V.“ gibt es noch heute, aber Uschi und Ansgar übergaben die Kneipe einem anderen Wirtsehepaar. Dennoch blieb alles so wie es war, nur dass die neue Thekencombo etwas strenger wirtschaftete und die Gläser nicht mehr so voll schenkte.

Sich selbständig machen – mit Coach

Zu den Vereinsmitgliedern gehörte Malgorzata, eine Fotokünstlerin. Da sie selten ein Foto verkaufte, war sie arbeitslos gemeldet. Irgendwann legte das Jobcenter ihr nahe, sich selbständig zu machen mit einer Förderung – und einem Coach. Bei diesem handelte es sich um einen Westberliner, der eine Künstleragentur hatte, aber es sei ihm damit nach der Wende so ergangen wie Woody Allen in „Broadway Danny Rose“.

Malgorzata fotografierte vor allem Leute in U- und S-Bahnen. Danny Rose riet ihr, sich auf Hochzeiten, Betriebsfeiern und Firmenjubiläen zu werfen und dazu zum Beispiel bei Kapitänen von Ausflugsschiffen und Betreibern von Hochzeitssälen vorzustellen – mit Visitenkarten.

Seine Vorschläge machten Malgorzata regelrecht krank. Oft hatte sie sich vorgestellt, wenn sie mal wieder einen hupenden türkischen Hochzeits-Konvoi auf der Straße sah, hinzurennen und die Braut aus dem Auto zu zerren, um sie zu retten. Das war also alles nichts für sie, ihr Coach machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl und ihr Sachbearbeiter beim Jobcenter drohte: „Wir können auch anders!“

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Autor
geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.
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1 Kommentar

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  • Hmm. Also, aus eigener Erfahrung hier mal eine ganz interessante Erkenntnis: Man muss mindestens genauso viel einnehmen, wie man ausgibt, wenn man nicht untergehen will. Das ist aber ein Hochseilakt, denn etwas weniger als genau richtig ist dann schon zu wenig und es ist aus, und meist merkt man das erst dann, wenn es viel zu spät ist.

    Viel einfacher ist es, entweder deutlich mehr auszugeben als man einnimmt (dann ist man sofort pleite und merkt das auch) oder deutlich mehr einzunehmen als man ausgibt (dann kann man sich beliebig lange halten und hat einen gesunden Puffer). Das ist also nur exakt eine Option von dreien gibt, wenn man sich halten will, ist letztlich der tiefere Grund dafür, dass jedes auch noch soziale Unternehmen am Besten damit fährt, die Ausgaben zu minimieren und die Einnahmen zu maximieren.

    Das klingt banal, aber die letzte "soziale" Kneipe hier um die Ecke ist mit einem Selbstmordversuch des Betreiberpaares geendet, bei dem er es geschafft hat und sie gerettet wurde. Das war auch wieder so ein Fall von "es gibt drei mögliche Ergebnisse und eines davon wollt ihr garantiert nicht, aber das tritt dann am Ehesten ein".

    Ich weiß auch nicht, warum mich das alles so fuchst. Vielleicht deshalb, weil ich zu viele engagierte Leute erlebt habe, die völlig naiv und denkbar schlecht beraten sehenden Auges vor die Wand gelaufen sind. Lieber tragfähige Preise nehmen, auch wenn sie einem als etwas zu hoch erscheinen, denn "gut gemeint" reicht nicht notwendigerweise für ein gutes Ende.