Klage wegen sexuellen Missbrauchs: Erzbistum beantragt Klageabweisung
Vor dem Traunsteiner Landgericht klagt ein Missbrauchsbetroffener. Die Richterin sieht eine Mitschuld des Ex-Papstes.
Andreas Perr, der Mitte der 1990er Jahre im Pfarrhaus von Garching an der Alz von Priester H. missbraucht wurde, klagt nun gegen ihn und das Bistum München-Freising vor dem Traunsteiner Landgericht.
In dem am Dienstag eröffneten Verfahren am Landgericht Traunstein forderte er eine Entschädigung in Höhe von 300.000 Euro vom Erzbistum. Zuvor hatte er auch von den Erben des im April gestorbenen Papstes Benedikt XVI. Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro gefordert. Denn als Erzbischof Kardinal Ratzinger war er mit seiner Tätigkeit in München 1980 in die Vertuschung des Missbrauchs durch Priester H. verstrickt. Das Verfahren gegen ihn wurde allerdings einen Tag vor dem Start des Prozesses abgetrennt, weil auch ein halbes Jahr nach dem Tod des emeritierten Papstes unklar ist, wer seine Rechtsnachfolge antritt. Eine Cousine hatte das Erbe zuvor ausgeschlagen.
Die vorsitzende Richterin Elisabeth Nitzinger-Spann sah es am Dienstag als bewiesen an, dass Kardinal Joseph Ratzinger eine Mitschuld an dem Missbrauch treffe. Er habe „entsprechend Kenntnis von dem Vorleben“ des Priesters gehabt, so die Richterin.
Erst die Missbrauchsaufdeckung bringt Konsequenzen
Denn in Essen reagierte man 1979 auf die Vorwürfe gegen Priester H. mit Vertuschung: Es wurde eine Anfrage ins Bistum München und Freising gestellt. Könne H. dort als Priester eingesetzt werden, wenn er sich einer „Therapie“ unterziehe? Nach einer Recherche der New York Times aus dem Jahr 2010 soll dieser „Deal“ direkt zwischen den beiden zuständigen Bischöfen gemacht worden sein: Bischof Kardinal Franz Hengsbach in Essen und Erzbischof Kardinal Ratzinger in München – der spätere Papst Benedikt XVI. Auch soll Ratzinger einen Brief unterzeichnet haben, in dem er gestattete, dass Priester H. seine Messen mit Traubensaft statt Messwein feiern dürfe. Diese Regelung wurde vom Münchner Erzbistum erbeten, mit dem Hinweis, dass H., wenn er trank, Kindern gegenüber übergriffig wurde. Details dazu gibt es in einer Recherche von Correctiv.
Nach seiner Versetzung konnte Priester H. in mehreren bayrischen Gemeinden Kindern unbehelligt sexuelle Gewalt antun. Erst 1986 wurde er nach Anzeigen von Eltern zu einer Bewährungsstrafe wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Zu einem Zeitpunkt, an dem seit Jahren Kirchenverantwortliche von seinen Taten wussten. 2010 wurde er dann im Zuge des Bekanntwerdens des Missbrauchskandals in den Ruhestand geschickt.
Erst 2016 wurde Priester H. „kirchenintern“ verurteilt. „In einem geheimen kirchlichen Gerichtsverfahren wurde er wegen des Missbrauchs von sieben Jungen zu einer Geldstrafe und zum Verbot, das Priesteramt auszuführen, verurteilt“, schreibt Correctiv. Der Fall von Priester H. ist das schaurige Paradebeispiel der Vertuschungstaktik in der katholischen Kirche und der funktionierenden Männerbündnisse, die nur eines wollten: die Institution Kirche und das Ansehen des Papstes schützen.
Hoffnung auf höhere Entschädigungen
Andreas Perr wird auf eine Entscheidung über die Entschädigungszahlung noch warten müssen. Der Anwalt des Erzbistums München-Freising beantragte, die Klage auf Schmerzensgeld von Perr abzuweisen. Es gebe aber eine Bereitschaft, sich mit dem Kläger zu einigen. Dass dem Kläger Schmerzensgeld und Schadenersatz zustehen, sei klar, sagte zuvor auch die Richterin bei der Erläuterung ihrer vorläufigen Rechtsauffassung. „Es stellt sich nur noch die Frage nach der Höhe des Anspruchs.“ Perr und seine Anwälte haben nun zwei Wochen Zeit, um die Folgeschäden, die der Missbrauch bei dem Kläger auslösten, darzulegen. Wie das Verfahren weitergehen wird, soll am 14. Juli bekannt gegeben werden.
Hoffnung auf eine angemessenere Entschädigungszahlung brachte für viele Missbrauchsopfer eine Entscheidung des Landgerichts Köln am Dienstag vor einer Woche: Gerichtlich wurde entschieden, dass das Erzbistum Köln dem Missbrauchsbetroffenen Georg Menne 300.000 Euro Schmerzensgeld zahlen soll. Der Kläger hatte ursprünglich rund 750.000 Euro gefordert.
Er war laut Klageschrift in den 70er Jahren in mehr als 300 Fällen von einem katholischen Priester missbraucht worden. Das Kölner Urteil ist noch nicht rechtskräftig, könnte aber, wenn dagegen keine Rechtsmittel eingelegt werden, danach auf andere Anerkennungsleistungen an Opfer sexueller Gewalt in der katholischen Kirche Einfluss nehmen. Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) hatte zuvor nur wenigen Betroffenen mehr als 50.000 Euro zugesprochen. Die Betroffenen können ihre Fälle nach dem Abschluss des Verfahrens in Köln neu prüfen lassen. (mit dpa)
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