Klage gegen Volkswagen eingereicht: Ein neues Zeitalter für Verbraucher
Nach dem Abgasskandal haben Verbraucherschützer die erste Musterfeststellungsklage auf den Weg gebracht. Das Instrument ist ganz neu.
An diesem Donnerstag beginnt eine neue Ära im Verbraucherschutz. Ab nun können Verbraucherschutzverbände – ansatzweise – Schadenersatz für Betroffene einklagen. Instrument ist die neue Musterfeststellungsklage, die der Bundestag im Sommer beschlossen hat.
Die Musterfeststellungsklage zielt auf Fälle mit vielen Betroffenen, bei denen der Einzelne mit so wenig Schadenersatz rechnen kann, dass er dafür kein Prozesskostenrisiko eingeht. Bisher können Unternehmen, die Verbraucher massenhaft über den Tisch ziehen, die dabei erzielten Gewinne deshalb oft behalten.
Deshalb soll die Musterfeststellungsklage die Position der Verbraucher verbessern. Anerkannte Verbände sollen Grundfragen in einem Musterverfahren klären. Und wenn dies im Sinne der Verbraucher ausging, können diese mit relativ wenig Risiko ihren eigenen Anspruch einklagen oder auf einen Vergleich hoffen.
Erster Fall ist der VW-Dieselskandal. In der Nacht zu Donnerstag hat die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) eine Musterfeststellungsklage gegen VW eingereicht. Der ADAC hat die Klage mitorganisiert. Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig soll feststellen, dass Diesel-Käufer durch die Abgasmanipulationen vorsätzlich geschädigt wurden.
Auslöser für das Gesetz ist der Dieselskandal
Der Fall ist zwar untypisch, weil es hier durchaus um große Summen gehen kann, etwa wenn ein älterer Diesel-Kfz gegen volle Erstattung des Kaufpreises zurückgegeben werden soll. Tausende Diesel-Fahrer haben schon individuell geklagt. Dennoch ist es logisch, dass der vzbv mit seiner ersten Musterfeststellungsklage den Diesel-Fall aufgreift. Schließlich wäre das Gesetz ohne diesen Skandal nie zustande gekommen.
Weil VW in den USA betroffenen Käufern Tausende Dollar Schadenersatz zahlte, sich in Deutschland aber stur stellte, sah sich sogar die CDU/CSU in der Pflicht, die Position der Verbraucher gegen Unternehmen zu verbessern. Weil für zivilrechtliche Ansprüche die Verjährung Ende des Jahres abläuft, wurde das Gesetz im Sommer sehr schnell beschlossen.
Die VW-Klage ist zunächst die einzige Klage, die der vzbv einlegt. Es wird aber sicher nicht die letzte sein. Vermutlich werden der vzbv und seine sechzehn Landesverbände künftig den Großteil der Musterfeststellungsklagen einreichen.
Klagen können nämlich nur anerkannte Verbraucherschutzverbände. In der entsprechenden Liste befinden sich 78 Organisationen. Darunter ist die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die durch die Klagen auf Dieselfahrverbote bekannt wurde. Nach Einführung zusätzlicher Kriterien – unter anderem sind maximal 5 Prozent Unternehmensspenden erlaubt – wird die DUH aber keine Musterfeststellungsklagen starten können. „Damit sollen wir gezielt ausgeschlossen werden“, empörte sich Geschäftsführer Jürgen Resch.
Regierung prognostiziert etwa 450 Klagen im Jahr
Klageberechtigt sind dagegen der Deutsche Mieterbund (DMB) und 37 angeschlossene Vereine. Dort hat man noch keine Klagen gegen Wohnungsunternehmen vorbereitet. „Wir werden nicht vom Staat finanziert und müssten dafür Beiträge unserer Mitglieder einsetzen“, sagt Stefan Bentrop, Chefjustiziar des DMB. Der Verband müsse zunächst fünfzig Betroffene finden und diese davon überzeugen, sich in ein Klageregister einzutragen und später eventuell auch selbst zu klagen.
Der Betriebswirt Leon Heuser glaubt, dass viele Verbraucher nur darauf warten, eine Musterfeststellungsklage zu initiieren oder sich anzuschließen. Er hat mit einem Partner das Portal DeineKlage.de gegründet. Hier sollen Konflikte identifiziert werden, die von Verbänden übernommen werden können.
Einer der ersten Vorschläge: der Mobilfunkbetreiber O2 soll verklagt werden, weil sein Netz so schlecht sei. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war prognostiziert worden, dass es etwa 450 Musterfeststellungsklagen pro Jahr geben wird. Vermutlich wird die Zahl in den ersten Jahren deutlich niedriger liegen.
Dieser Text wurde am 1.11.2018 aktualisiert.
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