piwik no script img

Klage gegen Auswärtiges AmtBei Schweigen Projektor

Das Recherchebüro „Correctiv“ wirft dem Auswärtigen Amt vor, sein Wissen zum Abschuss der MH17 über der Ukraine zu verschweigen.

Die Projektion am Auswärtigen Amt in Berlin. Bild: correctiv

BERLIN taz | Am Montagabend prangte eine Frage an der Fassade des Auswärtigen Amtes: „Warum haben Sie uns nicht gewarnt, Herr Steinmeier?“, stand in großen Buchstaben über Wand und Fenstern des Berliner Gebäudes. Mitglieder des Recherchebüros „Correctiv“ hatten sie auf die Mauer projiziert. Seit Monaten recherchieren sie zum Abschuss der Passagiermaschine MH17 am 17. Juli 2014 über dem Osten der Ukraine, bei dem alle 298 Insassen starben.

„Unsere neuesten Recherchen haben ergeben, dass die Bundesregierung drei Tage vor dem Abschuss über die Gefahr im ukrainischen Luftraum informiert wurde“, sagt Marcus Bensmann, einer der beiden Hauptrechercheure von Correctiv.

Laut dem Protokoll eines niederländischen Diplomaten, das Correctiv vorliegt, wurden die EU-Staaten sowie die USA, Kanada, Brasilien und Japan auf einem Treffen in Kiew mit hochrangigen Vertretern der ukrainischen Regierung, darunter Außenminister Pawel Klimkin, am 14. Juli 2014 darüber unterrichtet, dass Russland die Separatisten militärisch unterstützt.

„Hunderte“ russische Panzer befänden sich auf ukrainischem Gebiet, so das Protokoll. Außerdem sei ein Telefongespräch vorgespielt worden, bei dem der Stellvertreter des Separatisten-Kommandanten von Donezk um den Einsatz von russischen Flugzeugen auf dem ukrainischen Staatsgebiet gebeten hat.

Panzer und Luftabwehr

„Wenn sich so viele Panzer in der Ostukraine befinden, muss den Militärexperten in den europäischen Hauptstädten klar gewesen sein, dass Gefahr für alle Flugzeuge über diesem Gebiet besteht“, sagt Bensmann. Laut Correctiv hätte die Bundesregierung die zivilen Fluggesellschaften wie die Lufthansa sogar schon einen Monat vor dem Abschuss warnen müssen. Die Nato veröffentlichte damals Fotos von russischen Panzern im Separatistengebiet. Und die kommen nun einmal nicht ohne ihre Luftabwehr zum Einsatz. „Mir ist unbegreiflich, warum die Bundesregierung nicht gewarnt hat.“

Correctiv hat eine Anfrage an das Auswärtige Amt (AA) gestellt: Was wusste der deutsche Teilnehmer der Konferenz in Kiew? Warum wurde nicht gewarnt? Das Auswärtige Amt antwortet auf die Fragen von Correctiv nicht, weder nach dem Informationsfreiheitsgesetz noch nach dem Presserecht. Es bestünde kein Anspruch auf Information, so das AA, „wenn das Bekanntwerden nachhaltige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen haben kann“. Die Vermittlerrolle Deutschlands könne gefährdet werden, wenn die ukrainische Seite durch die Herausgabe solcher Berichte ihr Vertrauen verlöre.

Deswegen griff das Recherchekollektiv am Montag zum Projektor. „Wenn unsere Fragen weder per Telefon noch per Mail beantwortet werden, müssen wir sie eben projizieren“, so Bensmann. Eine Reaktion kam am Montagabend erst einmal nur von der Polizei, die die Personalien der Journalisten aufnahm.

Bereits im Januar hatten die Journalisten des gemeinnützigen Recherchebüros Correctiv in Kooperation mit Spiegel Online und dem holländischen Algemeen Dagblad vor Ort Zeugenaussagen, Fotos und Videos zum Fall MH17 geliefert. In einer aufwändigen Multimedia-Reportage auf Deutsch, Englisch, Russisch und Französisch konnten sie den Weg der BUK-Abschusseinheit vom russischen Kursk bis zum Absturzort, dem ukrainischen Snischne, verfolgen und beweisen, dass der Panzer auf dem Rückweg mit einer Rakete weniger unterwegs war.

In den kommenden Tagen will Correctiv gegen das Auswärtige Amt Klage einreichen. Das Auswärtige Amt selbst beantwortete eine Anfrage der taz zu den Vorwürfen nicht.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Natürlich wusste die Ukraine von der Gefahr. Siehe auch:

    https://youtu.be/5emChKmmkLQ?t=1278

     

    Keine Ahnung warum die da Passagierflugzeuge längs geschickt haben. Wahnsinn.

  • Zu der Analyse von der Gruppe Correctiv gibt es ebenfalls gute Analysen. Ich denke nicht, dass Correctiv gelungen ist, den Absturz von MH17 hinreichend zu erklären. Auch um den Flugschreiber ist es noch immer verdammt ruhig. Die Flugschreiber von der German Wings Maschine waren in wenigen Tagen komplett ausgewertet und die dürften ähnlich beschädigt gewesen sein, wie die der MH-17. Es scheint kein Interesse an der wirklichen Aufklärung zu existieren. Wenn die Flugschreiber eine Beteiligung Russlands belegen würden, dann hätten die Republikaner in den USA aber mir fast hundertprozentiger Sicherheit nicht geschwiegen, dann das würde alle Ihre Forderungen vorantreiben und die Falken sind nicht grade für Ihre Diskretion bekannt, wenn es um das Umsetzen von Zielen geht.

    Hier eine sehr gute Analyse zu der Bericht von Correctiv:

    https://www.freitag.de/autoren/gunnar-jeschke/correct-v-korrigiert

    • 6G
      6020 (Profil gelöscht)
      @René Sodtke:

      In dem Blog, den der „Freitag“ anbietet, tummeln sich zahlreiche, bzgl. des Ukraine-Krieges ausschließlich prorussische Protagonisten, weswegen ich die Zeitung nicht mehr kaufe!

       

      So auch dort der verlinkte Beitrag eines EX-NVA Offiziers, welcher den Correctiv Journalisten entweder Dummheit oder gezielte Fälschungen unterstellt, in seinem Beitrag aber bzgl. der russischen Darstellungen zum Abschuss von MH17 ohne solche Unterstellungen auskommt! Von Neutralität kann da nicht die Rede sein ..

       

      Interessant ist auch, wie angeblich detailliert in dem Forum dort die Kommentatoren Bescheid zu wissen vorgeben, entweder haben die den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als diesen Fall – vorwiegend auf (pro)russischen Seiten zu „recherchieren“ - oder sind gar vor Ort in den Kampfgebieten unterwegs, oder aber Teil des ja zumindest teilweise aufgedeckten Indoktrination-Stabes mit Sitz in Skt. Petersburg, oder anderswo, auf Putins Gehaltsliste, oder halt „linke“ Mitläufer.

       

      Ich hab weder Zeit noch Lust auf Einzelheiten einzugehen, sicher bleiben auch bei mir noch Fragen offen, aber zu behaupten MH17 sei nicht höchstwahrscheinlich von (pro)russischer Seite abgeschossen worden fällt in die gleiche Kategorie wie die immer noch vorhandene dümmliche, wenn nicht gar niederträchtige Behauptung, in der Ukraine seien keine von Putin abkommandierte russ. Soldaten kriegerisch tätig!

       

      Zu dem Versäumnis des AA eine entspr. Überflug-Warnung auszusprechen, so war dies wohl ein Fehler, ähnlich wie auch Correctiv dies bzgl. die Ukraine beschuldigte, nur ist dies nichts im Vergleich zur bewussten Führung eines Angriffskrieges in Europa, der Annektierung fremden Staatsgebietes und der in Kaufnahme von Tausenden von zivilen Toten, incl. des wohl versehentlichen Abschusses eines Zivilflugzeuges, wer da immer noch die Schuld bei der EU sieht, ist nicht besser als die ideologischen Brandstifter von Asylheimen!

  • Sehe ich das richtig? Alle Aussagen dass Russland zu dem Zeitpunkt in der Ukraine tätig waren wurden damals als "nicht belegbare Spekulationen" und "Öl ins Feuer gießend" abgewertet und jetzt wird hier das Bild einer Regierung erzeugt die der nichtsahnenden Bevölkerung verschwiegen hat dass man ein russische Einflußnahme in der Ukraine vermutet?

    Dieses Zurechtdrehen der Geschehnisse hat ja schon fast tea-party-Niveau

    • @Questor:

      Warum kann man das nicht liken? :-)