Klage gegen Andreas Scheuer: Die Latte liegt höher
Ex-Verkehrsminister Scheuer ist wegen Falschaussage zur PKW-Maut angeklagt. Sollte er verurteilt werden, sollten sich andere Politiker:innen wappnen.

A uf Gedächtnislücken berufen sich PolitikerInnen gerne, wenn sie sich aus der Affäre ziehen wollen. Dem ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will die Berliner Staatsanwaltschaft diese Ausflucht jetzt nicht mehr durchgehen lassen. Sie hat Anklage wegen Falschaussage im Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut 2020 erhoben. Das Verfahren könnte Signalwirkung für ähnliche Fälle entfalten.
Die CSU wollte die Pkw-Maut auf Autobahnen, die ausländische Fahrzeuge benachteiligt hätte, in der Regierungszeit von Angela Merkel ab 2013 unbedingt durchsetzen. Doch der Europäische Gerichtshof (EuGH) beerdigte das Vorhaben 2019. Die Betreiberunternehmen des Mautsystems erhielten 243 Millionen Euro Schadenersatz aus Steuermitteln. Eine Frage im folgenden Untersuchungsausschuss des Bundestags lautete: Unterschrieb Scheuer die Verträge mit den Mautfirmen vor der EuGH-Entscheidung, obwohl die Unternehmen das Urteil abwarten wollten?
Letzteres sagten die Manager aus. Der CSU-Politiker erklärte im Ausschuss, sich an dieses Angebot nicht zu erinnern. Unklar ist bislang, ob die Staatsanwaltschaft ihren Vorwurf ausreichend belegen kann. Dem Ex-Verkehrsminister mag dann sogar eine Gefängnisstrafe drohen. Wobei es sich bisher um eine Anklage, kein Urteil handelt. Fehlende Erinnerung zu widerlegen und darauf basierend eine bewusste Falschaussage zu beweisen, ist schwierig.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
In jedem Fall sendet diese Anklage eine Warnung an PolitikerInnen. Denn ähnliche Fälle gibt es immer wieder. Olaf Scholz (SPD), Ex-Hamburger Bürgermeister und Bundeskanzler, erinnerte sich in Untersuchungsausschüssen zu Steuerhinterziehung zunächst nicht an Gespräche mit betroffenen Bankeigentümern, dann, als man sie ihm nachgewiesen hatte, nicht an deren Inhalt. Vermeintliche Erinnerungslücken und Lügen verhindern die Aufklärung politischer Fehler und Rechtsverstöße. Mit ihrer Anklage versucht die Staatsanwaltschaft, diese Taktik zu erschweren. Hat sie Erfolg, liegt die Latte höher. Nicht nur MinisterInnen müssten dann gewahr sein, zur Rechenschaft gezogen zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Einwanderung und Extremismus
Offenheit, aber nicht für Intolerante
Nicht-binärer Geschlechtseintrag
Zweitpass gegen Diskriminierung auf Reisen
CDU-Länderchefs gegen Bundestagsfraktion
Sexuelle Identität entzweit Union
Geflüchtetenhilfte mit Tauschaktion
Hamburgs Linke hebelt Bezahlkarte aus
Verkehrswende in Paris
Blick in die Zukunft
Reaktionen zu Klöckners taz-Vergleich
„Medienpolitische Version der Hufeisentheorie“