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Klage der „KlimaSeniorinnen“Schweiz ignoriert Klimaurteil

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte den „KlimaSeniorinnen“ Recht gegeben. Doch jetzt weist der Schweizer Bundesrat das Urteil zurück.

Die Schweiz weist das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurück. Laut For­sche­r:in­nen zu Unrecht Foto: Christian Hartmann/reuters

Der Schweizer Bundesrat – also das wichtigste Regierungsorgan der Schweiz – hat am Mittwoch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zum Schweizer Klimaschutz kritisiert. Der Gerichtshof hatte im April nach einer Klage der Klimaschutzgruppe „KlimaSeniorinnen“ geurteilt, dass die Schweiz nicht genug getan habe, um ältere Menschen vor dem Klimawandel zu schützen.

Nun stellt die Schweizer Regierung infrage, ob der EGMR über dieses Thema hätte urteilen dürfen und ob der Gerichtshof Befugnis dazu hat, sich in der Schweiz einzumischen.

In dem am Mittwoch veröffentlichten Statement betont der Bundesrat, dass die Schweiz den EGMR zwar achte. Dieser habe jedoch mit dem Urteil im April seine Kompetenzen überschritten. „Die Rechtsprechung darf nicht zu einer Ausweitung des Geltungsbereichs der Europäischen Menschenrechtskonvention führen“, heißt es in der Stellungnahme.

Das Urteil hat laut Reto Knutti, Klimaphysiker an der ETH Zürich, nur dazu geführt, dass über die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes diskutiert wurde – und nicht über konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz in der Schweiz. „Dabei ist das am dringendsten“, sagt Knutti. „Die Schweiz hat für den Zeitraum nach 2030 keinen Plan, um klimaneutral zu werden.“

Die Schweiz hatte am 15. März dieses Jahres ein erneuertes Klimagesetz präsentiert, das die Klimaschutzmaßnahmen bis 2030 definiert. Im vergangenen Jahr setzte die Regierung das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien in Kraft.

Diese Gesetze hat der EMGR in seiner Rechtsprechung nicht beachtet. „In der Vergangenheit hat die Schweiz nicht genug getan, um das Ziel netto-null Treibhausgase zu erreichen“, sagt Klimaphysiker Knutti. „Die neuen Gesetze ändern daran aber wenig.“

Auch Greenpeace Schweiz kritisiert den Bundesrat: „Würden alle so handeln wie die Schweiz, würde sich die Erde um bis zu 3 Grad erwärmen.“ Das Statement sei ein Schlag ins Gesicht der KlimaSeniorinnen und damit aller älteren Frauen, die besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden. Der Bundesrat greife mit seiner Position die Menschenrechte an.

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11 Kommentare

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  • Es gibt sicherlich viele Lösungsmöglichkeiten, um Senioren vor Hitze zu schützen. Klimaanlagen in allen öffentlichen Gebäuden und im öffentlichen Nahverkehr. Zuschüsse für Klimaanlagen daheim und im Auto.

    Evtl. könnte die Schweiz so auch die im Sommer weiter zunehmenden Überschüsse an Solarstrom aus Deutschland gegen Geld entsorgen. Es könnten etliche EUR je Klimaanlage an Einnahmen generiert werden.

  • taz: *Nun stellt die Schweizer Regierung infrage, ob der EGMR über dieses Thema hätte urteilen dürfen und ob der Gerichtshof Befugnis dazu hat, sich in der Schweiz einzumischen.*

    Das kennen wir ja auch in Deutschland, denn bei uns wird ja auch alles "infrage" gestellt, was den klimaschädlichen Wirtschaftswachstumswahnsinn beenden könnte; und das Wort 'Menschenrechte' kennt der Kapitalismus ohnehin nicht. Der Klimawandel hat aber auch etwas Gutes, denn er zeigt der Bevölkerung sehr anschaulich, auf welcher Seite unsere "Volksvertreter" stehen. Nun ja, eigentlich sitzen Politiker ja eher, und zwar auf dem Schoß der Großkonzerne, die keinen Klimaschutz mögen, da Klimaschutz die Gewinne schmälern und das Wirtschaftswachstum gefährdet. Das klimaschädliche Monopolyspiel der Reichen und Mächtigen soll schließlich ungestört weitergehen, und da stören die 'jungen Klimaschützer', aber auch die 'alten Klimaschützer', den Kapitalismus mit ihrer Forderung nach Klimaschutz natürlich sehr.

    Reto Knutti, Klimaphysiker an der ETH Zürich: „Die Schweiz hat für den Zeitraum nach 2030 keinen Plan, um klimaneutral zu werden.“

    Die Schweiz hat bekanntlich immer nur einen Plan: 'Geldgeschäfte'.

  • Sehr gut. Solche Entscheidungen gehören in die Parlamente und nicht vor ein Gericht.



    Parlament werden gewählt und sind gegenüber den Bevölkerung Rechenschaft schuldig.



    Richter nicht.

    • @Dromedar:In:

      Dachte Richter werden auch gewählt ...

  • @FRAUKE Z

    Gratuliere! Gleich zwei der Klimaverneinungsvarianten in einem Beitrag:

    1. Ablenken: "alles andere wichtiger als Klimawandel"



    2. Die anderen sind's: "Aber unser Beitrag ist doch nur 2%, sollen die anderen" [1]

    Hauptsache, wir schieben das alles so weit hinaus, dass wir nichts mehr machen müssen.

    [1] Sie waren bestimmt diejenige in der WG, die nie Geschirr gespült hat, weil "die anderen machen ja den meisten Dreck".



    So wird es nix.

  • Das Urteil ist auf vielen Ebenen ziemlich fragwürdig - und die Zuständigkeit ist da ein wichtiger Aspekt.

    Vor allem aber:

    Wie warm die Schweiz in den nächsten Jahrzehnten wird, hängt äußerst wenig von der Schweiz ab ...

    • @Frauke Z:

      Ja, und mit dieser Ausrede macht die Schweiz zu wenig, Deutschland zu wenig, alle zu wenig.



      Die Schweiz sollte als mutmaßlich eher stark von der Klimakatastrophe (Stichworte: schwindender Permafrost im Hochgebirge, Felsstürze, Sturzfluten, schmelzende Gletscher, Erdrutsche und alle damit in Zusammenhang stehende Folgen) betroffenes Land beispielhalft handeln.

      • @J. Straub:

        Ich glaube, Sie haben das Argument bzgl. eines vermeintlichen Rechtsanspruchs nicht verstanden:

        Wenn die Klimaseniorinnen einen *Anspruch* gegen die Schweiz haben sollen, dann müsste die Schweiz eben auch etwas an der Gesamtlage ändern können (das politische Argument, jemand muss anfangen, greift rechtlich nicht).

        Nur *kann* die Schweiz die Lage gar nicht entscheidend beeinflussen ...

      • @J. Straub:

        *... und mit dieser Ausrede macht die Schweiz zu wenig, Deutschland zu wenig, alle zu wenig.*

        Richtig, denn wenn keiner mit Klima- und Umweltschutz anfängt und immer nur sagt, "die anderen Länder sollen doch erst mal anfangen", dann wird der Klimawandel den Homo sapiens in absehbarer Zeit von diesem Planeten fegen.

        „Treffen sich zwei Planeten im Weltall. Sagt der eine zum anderen: Siehst schlecht aus. Sagt der andere: Ja, ich habe Homo sapiens. Sagt der Erste: Hatte ich auch mal. Keine Angst, das geht vorbei.“

  • Warum sollte die Schweizer Regierung anders handeln als die anderen Regierungen. Akzeptiert wird nur das, was uns passt. Kritisch darf vom EGMR nicht geurteilt werden. Toll, zeigt liebe Schweizer, zeigt uns allen, dass ihr besser seid und über dem EGMR steht. Machen nicht nur die Schweizer, auch andere europäische Regierungen machen es ähnlich.