Kläranlagen leiden unter Lieferengpässen: Phospor bedroht Gewässer
Um Abwasser zu säubern, brauchen Kläranlagen Eisensalze. Wegen Produktionsengpässen in der Industrie gibt es davon derzeit zu wenig.
Fällmittel sind Stoffe, mit denen die Klärwerke Schadstoffe aus dem Abwasser absondern. So filtern etwa Eisensalze Phosphor heraus. Laut einer repräsentativen Umfrage der DWA unter Kläranlagen ist derzeit ein Viertel von ihnen von Lieferengpässen betroffen; für den Oktober erwartet die Hälfte der Unternehmen Lieferausfälle. Ohne diese Betriebsmittel könnten die Einleitegrenzwerte für Phosphor nicht eingehalten und damit der Schutz der Gewässer vor Eutrophierung – also Überdüngung – nicht gewährleistet werden, warnt die DWA.
„Bund, Länder und die Wasserwirtschaft müssen alle Kräfte mobilisieren, um die Abwasserentsorger, aber auch Schlachthöfe und Molkereien, mit den nötigen Fällmitteln zu versorgen“, schreibt die Vereinigung in einer Mitteilung. „Höchste Priorität hat, die Knappheit schnellstmöglich zu beenden, um die betriebsübliche Phosphor-Elimination störungsfrei zu gewährleisten,“ fordert DWA-Präsident Prof. Uli Paetzel.
Laut DWA fehlen insbesondere Eisensalze, die als Nebenprodukte bei der Herstellung von dem Weißpigment Titandioxid für Farben und Lacke anfallen. Eine deutlich verminderte Nachfrage nach diesen Produkten sowie unterbrochene Lieferketten und Preisexplosionen unter anderem bei Salzsäure führten zu extremen Lieferengpässen für Eisensalze, warnt die DWA, auch alternative Fällmittel seien auf dem Markt kaum zu bekommen.
Chemieproduktion stark gesunken
Die Unternehmen seien wegen der extrem hohen Gas- und Strompreise gezwungen, die Produktion kräftig zu drosseln, teilt der Verband der chemischen Industrie mit. „Seit Jahresbeginn ist die Chemieproduktion um mehr als 10 Prozent gesunken“, heißt es weiter. Wenn einzelne Grundstoffe – wie etwa Ammoniak oder eben Titandioxid – nur noch eingeschränkt produziert werden, habe dies weitreichende Auswirkungen auf die nachgelagerten Wertschöpfungsstufen der Branche.
Die erhöhten Phosphor-Einleitungen seien „hochproblematisch für die Lebewesen in Flüssen, Seen und dem Meer“, sagt Diana Nenz, Gewässerreferentin des Deutschen Naturschutzbundes (Nabu). Zwar drohe im Herbst und Winter keine Algenblüte, weil es für ein vermehrtes Pflanzenwachstum, das Fischen und Insekten den Sauerstoff entzöge, zu kalt sei. Trotzdem sollten die Gewässer jetzt auf die übermäßige Phosphorzufuhr vorbereitet werden, fordert Nenz: „Sinnvoll wäre, Gewässerrandstreifen auszuweisen, die Düngeverordnung zu verschärfen oder Rieselfelder zu nutzen, sofern diese noch vorhanden sind“.
Ökosysteme sowieso unter Druck
Der – für Menschen nicht giftige – Nährstoff kann sich im Sediment von Seen binden oder in die Ost- und Nordsee gelangen. „Unsere Meere sind sowieso bedroht“, sagt Nenz, „und an der Oder haben wir gerade erst eine Katastrophe erlebt, die durch eine Häufung von Ursachen entstanden ist“. Dürre, Trockenheit, Niedrigwasser und zudem noch Schifffahrt und Wasserkraftwerke – all dies belaste die Gewässer. „Die Belastung durch Phosphor trifft auf Ökosysteme, die sowieso unter Druck sind“.
Die DWA fordert die Bundesländer und den Bund auf, die Kläranlagen zu unterstützen. „Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie Nordrhein-Westfalen haben bereits entsprechende Erlasse an die zuständigen Wasserbehörden geschickt“, teilt die Vereinigung mit. Die DWA begrüße die pragmatische Herangehensweise der Landesumweltministerien zur Duldung unter strengen Auflagen, zugleich sei der Bund gefordert, bundeseinheitliche Regelungen für die Krise zu initiieren. Mit einer Duldung unter strengen Auflagen müsse gleichzeitig auch eine drastische Erhöhung der vom Kläranlagenbetreiber zu entrichtenden Abwasserabgaben, die über die Abwassergebühren vom Bürger getragen werden, verhindert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin