Kita-Streik ab Freitag: Am Ende vielleicht nur Verlierer
Die ErzieherInnen wollen mehr Geld, doch die kommunalen Arbeitgeber sind blank und sagen nein. Beide haben gute Gründe für ihre Forderungen.
BERLIN taz | Lena hat Hunger, Ella läuft die Nase, Klaus heult schon wieder – Geduld ist die höchste Tugend, die KitaerzieherInnen für gewöhnlich auszeichnet. Doch die ist erschöpft.
Nach wochenlangen ergebnislosen Tarifverhandlungen mit den kommunalen Arbeitgebern haben über 90 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für Streik gestimmt. Am Mittwoch haben die Gewerkschaften Verdi und Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Ergebnisse der Urabstimmungen bekannt gegeben. Schon ab Freitag werden ErzieherInnen in kommunalen Kitas, genauso wie ihre Kollegen in den Schulhorten, den Jugendhilfe- und Behinderteneinrichtungen, nach und nach in den Ausstand treten. Unbefristet. Bundesweit.
Über 12.000 kommunale Kitas könnten wochenlang geschlossen bleiben, die Gewerkschaften peilen zunächst eine zweiwöchige Schließzeit bis Pfingsten an. „Das hat eine ganz neue Qualität, die Dynamik und die Kraft ist enorm“, frohlockt der Kitaexperte der GEW, Norbert Hocke. Vor sechs Jahren streikten die ErzieherInnen ebenfalls mehrere Wochen – allerdings nur tageweise und nicht am Stück.
Niemand widerspricht
Beschäftigte: Bundesweit gibt es etwa 53.000 Kitas, 12.000 davon in kommunaler Trägerschaft. 240.000 KindergärtnerInnen, SozialarbeiterInnen und ErzieherInnen sind von den Gehaltsforderungen betroffen.
Gehalt: Derzeit verdienen Kita-ErzieherInnen ein Einstiegsgehalt von 2.311 Euro brutto. Eine zehnprozentige Erhöhung, wie von den Gewerkschaften gefordert, würde einen Sprung auf 2.528 Euro bedeuten. Zum Vergleich: GrundschullehrerInnen erhalten je nach Bundesland Einstiegsgehälter zwischen knapp 2.800 und gut 4.200 Euro. Die ebenfalls streikenden LokführerInnen verdienen in der untersten Gehaltskategorie knapp 2.000 Euro brutto. (tma)
Die Gewerkschaften wollen durchsetzen, dass ErzieherInnen und Sozialpädagogen in der Gehaltstabelle mehrere Stufen überspringen und im Ergebnis ähnlich viel verdienen wie GrundschullehrerInnen. Sie argumentieren, dass die Anforderungen an den Beruf enorm gewachsen seien.
Und es gibt niemanden, der widerspricht. Er habe hohes Verständnis für die Forderungen, denn es gebe eine Schieflage zwischen Einkommen und Arbeitsleistung, meint etwa der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Marcus Weinberg. „Der Streik ist nachvollziehbar, man muss aber auch die Folgen für Familien mitdenken.“
Der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach, spricht im Zusammenhang mit der Aufwertung des Berufs von einer nachholenden Modernisierung. „Die Lernprozesse von Fünfjährigen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen sechsjähriger Kinder. Wenn wir den Kindergarten als Teil des Bildungssystems ansehen, müssen wir auch dieselben Kriterien anlegen.“ Auch bei der Entlohnung also.
Selbst Kommunen, die die Gehaltserhöhungen zahlen müssten, zeigen Verständnis. „Die Erzieherinnen haben eine Riesenverantwortung – sie verdienen auch ein gutes Gehalt“, sagt die Sprecherin der Stadt Essen, Nicole Mause.
Mit über drei Milliarden Euro ist Essen die am höchsten verschuldete Stadt Deutschlands. Der Kita- und Jugendbereich ist der zweitgrößte Haushaltsposten. Wenn die Gewerkschaften ihre geforderten Gehaltserhöhungen von zehn Prozent durchsetzen, dann belastet das die städtische Kasse zusätzlich. „Wir können das nicht so einfach kompensieren“, räumt Mause ein. „Die Forderungen der Gewerkschaften sind bei der derzeitigen Finanzlage der Kommunen völlig illusorisch“, spitzt Ursula Krickl zu, Sprecherin beim Deutschen Städte- und Gemeindebund.
Bund beteiligt sich mit „embryonalem Anteil“
Der Arbeitskampf offenbart ein Dilemma: Die Politiker von Bund und Ländern beschlossen 2008, dass jedem Kind ab dem ersten Geburtstag ein Kitaplatz zusteht. Doch die Hauptlast der Kosten für Kindertagesstätten liegt mit rund 60 Prozent bei den Kommunen. Sie stellen die ErzieherInnen ein, bezahlen Strom, Wasser und Reparaturen. Etwa 20 Prozent der Ausgaben tragen die Länder und der Bund, für den Rest kommen die Eltern auf, die je nach Wohnort und Einkommen zwischen null und 800 Euro Kitabeiträge zahlen.
„Eine völlig unsinnige Finanzierungsarchitektur“, urteilt der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Denn wenn Eltern ihre Kinder in der Kita abgeben können und dann weiter zur Arbeit eilen, profitieren von ihren Steuern und Abgaben vor allem der Bund und die Sozialversicherungskassen. Derzeit beteiligt sich der Bund mit knapp einer Milliarde Euro pro Jahr an den laufenden Kosten – angesichts der öffentlichen Gesamtausgaben von 20 Milliarden Euro ein „embryonaler Anteil“, meint Sell.
Steigende Ausgaben müssten deshalb künftig vor allem durch den Bund und die Sozialversicherungskassen aufgefangen werden, sagt Sell und hat schon mal durchgerechnet, was das kosten würde: 10 Milliarden Euro pro Jahr müsste Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) an das Ressort von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) austeilen, damit die Kommunen ordentlich entlastet würden.
Qualitätsgesetz? Zu teuer
Bisher ließ Schäuble seine Kollegin jedoch mit allen kostenintensiven Vorschlägen auflaufen. Ihren Plan, die Qualität der Kindertagesbetreuung zu verbessern und etwa gesetzlich vorzuschreiben, wie viele Erzieher mindestens für eine Gruppe von Kindern zuständig sind, musste Schwesig auf Eis legen. Denn nach dem Konnexitätsprinzip – wer bestellt, der bezahlt – müsste der Bund die Kosten eines Qualitätsgesetzes tragen.
Auf dem Kitagipfel, den die Familienministerin im November ausrichtete, hielten Bund und Länder in einem gemeinsamen Kommuniqué lediglich fest, dass die Finanzierung der Kindertagesbetreuung zu sichern sei. „Die Länder erwarten insbesondere vom Bund ein stärkeres und dauerhaftes Engagement“, heißt es in dem Papier. Eine Arbeitsgruppe soll bis zum Herbst Vorschläge erarbeiten.
Bis dahin dürfte der Streik der ErzieherInnen beendet sein. Doch sollten sie erfolgreich sein, könnte ihnen das am Ende auf die Füße fallen, befürchtet Sell: „Dann würde die jetzt schon desaströse Personalausstattung weiter sinken.“ Die Kommunen würden wohl zunächst die Kinderanzahl pro ErzieherIn erhöhen, anstatt neues Personal einzustellen – um die gestiegenen Kosten aufzufangen. „Das wäre im Ergebnis fatal.“
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