Kinotipp der Woche: Klang im Detail
Nick Cave bevor er Nick Cave war: Mit Dokus wie „Mutiny in Heaven“ folgt das Soundwatch Festival der Musikgeschichte bis in die feinsten Nerd-Ecken.
Es ist ja nicht so, dass Leben und Wirken von Nick Cave im Genre Dokumentarfilm bislang unterbelichtet geblieben wäre. Ganz im Gegenteil, Nick Cave als Goth-Ikone, als Buddy von Kylie Minogue, als Schmerzensmann, all das ist in gleich mehreren Portraits gut dokumentiert.
Aber bei einer derart schillernden und faszinierenden Figur kann es lohnenswert sein, immer noch mehr Details herauszuarbeiten. Und so dreht sich die Dokumentation „Mutiny in Heaven: The Birthday Party“ von Ian White nur um die Zeit, bevor Cave unter eigenem Namen zum Indie-Rockstar schlechthin wurde.
Erst war er der Kopf der Boys Next Door, die Ende der Siebziger eine Platte aufnahmen und dann ging es weiter als The Birthday Party, die heute als eine der einflussreichsten Postpunkbands überhaupt gelten.
Um wirklich etwas zu erreichen, zogen sie von Australien nach London, dem damaligen Zentrum der Bewegung. Der extrem schroffe Gitarrensound, Caves außergewöhnliche Live-Darbietungen, bei denen er sich die Seele aus dem Leib schrie und wie unter Elektroschocks auf dem Boden wälzte, verschafften ihnen schnell den Status einer Kultband.
Soundwatch #7, 9.–15.11. im Lichtblick-Kino; 16.11. fsk Kino; 22. 11. Kino Krokodil
„Mutiny in Heaven“ zeigt, dass diese nicht bloß von der Präsenz ihres Sängers zehrte, sondern vor allem auch von Rowland S. Howards einzigartig kaputten Riffs auf seinem Instrument. Es ist schön, dass der Gitarrist, der vor 14 Jahren gestorben ist, in Archivaufnahmen auftaucht und verdientermaßen als ebenso wichtiger Faktor für die Band beschrieben wird, wie Cave.
Die Doku zeigt den wilden Ritt der Combo, die immer mehr im Drogensumpf versank, dann nach Berlin zog, wo das Kokain billiger war als in London. Man befreundete sich mit den Einstürzenden Neubauten, war weiterhin kreativ und gleichzeitig kurz vor dem totalen Absturz. Und dann endet die Dokumentation und weist im Abspann darauf hin, was danach kommt. Und das kann man sich dann in all den anderen Filmen über Nick Cave ansehen.
Zu sehen ist „Mutiny in Heaven“ bei der siebten Ausgabe von Soundwatch, dem „Music Film Festival Berlin“, das im November im Lichtblick-Kino sowie im fsk Kino, im Kino Krokodil und in der Panke Gallery läuft. Rein auf das musikalische Spektrum bezogen, hat man sich bei diesem wieder ziemlich breit aufgestellt. Die Grande Dame des folkigen Protestsongs Joan Baez bekommt mit „I Am a Noise“ ein ihr gewidmetes Portrait.
Max Roach, der als stilprägender Be-Bop-Drummer nur sehr unzureichend beschrieben wäre, weil er auch ein großer Avantgardist und außergewöhnlich politischer Musiker war, wird mit „The Drum Also Waltzes“ gewürdigt. Parallel zum offiziellen Kinostart läuft auch „Tastenarbeiter“, eine überfällige Liebeserklärung an einen ganz Großen des europäischen Free Jazz, den 85-jährigen und in Berlin lebenden Alexander von Schlippenbach.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Wo „Mutiny in Heaven“ bereits belegt, wie man mit Musikdokus immer noch kleinteiliger und nischiger werden kann, beweist „What You Could Not Visualise“, dass das noch gar nichts ist. Wer bitte kennt Rema-Rema, um die sich dieser Film dreht? Die existierten gerade mal ein paar Monate und für mehr als eine EP, die 1980 erschienen ist, hat es nicht gereicht. Die Doku aber legt nahe: Rema-Rema sind trotzdem nicht vergessen.
Den Vogel aber bei der Spezialisierung und dem Herausarbeiten von nerdigem Wissen schießt „Crass: The Sound of Free Speech“ von Brandon Spivey ab. Wie der Titel bereits andeutet, geht es hier um die englischen Anarcho-Punks Crass. Im Vordergrund steht aber die genaue Analyse nicht etwa ihres ersten Albums, sondern ihrer Debütsingle „Reality Asylum“. Was belegt: Zumindest im Bereich Punk ist für die Form der Musikdoku an Aufarbeitung noch so einiges vorstellbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!