Kinoempfehlungen für Berlin: Der Druck der Gegenwart
Das „Berlin Minute Festival“ zeigt Filme für die ganz kurze Aufmerksamkeitsspanne. Und auch ganz schnell noch schauen: „Alcarràs – Die letzte Ernte“.
N ormalerweise muss man für ein Filmfestival schon einige Zeit mitbringen. Um auch nur die interessantesten Filme anzusehen, kann man oft locker eine ganze Woche einplanen. Das geht beim „Berlin Minute Festival“ mit deutlich weniger Aufwand: 25 Filme aus zwölf verschiedenen Ländern werden dort gezeigt – aber sie sind allesamt nur eine Minute lang.
Wie die Veranstalterin, die Videokünstlerin Vanessa Cardui, ganz zu Recht bemerkt, ist die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums in den letzten Jahren durch die Inhalte sozialer Medien eher gesunken, und man kann es sicher als Herausforderung begreifen, den oft genug nichtssagenden Schnipseln im selben Format etwas qualitativ Hochwertiges entgegenzustellen, sei es narrativ oder experimentell.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Der Fokus des Festivals liegt auf Animationsfilmen, es werden Preise in fünf Kategorien vergeben, und die Filmkünstler:innen Dina Velikovskaya, Ingo Panke, Bruno Persico und Louis Brückner sind zu Gast (29. 9., 18.30 Uhr, Lichtblick-Kino).
So langsam dünnen sich die Termine in Berlin aus – wer den bei der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete spanischen Spielfilm „Alcarràs – Die letzte Ernte“ noch nicht gesehen hat, sollte sich also langsam beeilen.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Regisseurin Carla Simón zeichnet in ihrem Film das Porträt mehrerer Generationen einer bäuerlichen Familie, die unter dem Druck einer Gegenwart auseinander driftet, die kaum mehr Raum für eine traditionelle Lebensweise bietet. Denn der Besitzer des Landes, auf dem sie ihre Pfirsichplantage betreiben, will dort nun einen Solarpark errichten lassen.
Sehr genau wird die Reaktion der verschiedenen Protagonist:innen auf die neue Situation beschrieben: Der Opa glaubt immer noch, er könne die Sache im zwischenmenschlichen Bereich regeln, der Vater negiert die Realität hartnäckig, und die Mutter lässt auch schon mal ins Gespräch einfließen, dass man als Solartechniker mehr Geld verdient und sich dafür auch nicht den Rücken krumm schuften muss.
Da bleiben Spannungen nicht aus. Und Carla Simón vergisst auch die Jüngsten nicht, die sich in ihrem Spiel Erinnerungen an eine Welt schaffen, die es bald nicht mehr geben wird. Der Bagger vom Beginn des Films bleibt keine leere Drohung (29. 9., 16.45 Uhr, 30. 9., 18 Uhr, 1. 10. & 4. 10., 21 Uhr, 3. 10., 19 Uhr, Acud Kino; 1.–2. 10., 16 Uhr, fsk-Kino, 29. 9., 3. 10., 16.50 Uhr, 1. 10., 20.20 Uhr, 2. 10., 13.50 Uhr, Il Kino, 1.10., 11.45 Uhr, Kino im Kulturhaus Spandau).
Liedermacher. Baggerfahrer. Stasi-Spitzel. Gundermann. Als in West-Deutschland sozialisierter Mensch wird man die DDR-Biografien zwischen authentischer Unangepasstheit und schnödem Verrat, zwischen Weltverbesserungsideen und kompletter Egozentrik vielleicht nie ganz richtig verstehen.
Der Gerhard Gundermann, den Andreas Dresen als Regisseur und Alexander Scheer in der Titelrolle in „Gundermann“ auf die Leinwand bringen, ist tatsächlich kein sonderlich sympathischer Charakter. Er wirkt auf nahezu grausame Weise eigensinnig, in einer Mischung aus Naivität und Egomanie, die schon fast ans leicht Autistische grenzt.
Gundermann schont nichts und niemanden – auch nicht sich selbst. Dass man ihm dabei trotzdem zwei Stunden lang gern zusehen mag, liegt in Dresens Kunst begründet, in seinen Filmen Menschen mit all ihren Fehlern zum Leben zu erwecken. Und am Ende ist es plötzlich gar nicht mehr so wichtig, ob man Gundermanns Beweggründe verstehen kann. Er versteht sie ja selbst nicht, ist vielleicht sogar derjenige, der von sich selbst am meisten enttäuscht ist (3. 10., 18 Uhr, Casablanca)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus