Kinderheim in Brandenburg: Neustart nicht gelungen
Dem Kinderheim „Neustart“ droht die Schließung. Nun stellt sich auch noch heraus: Ein Rechtsextremer arbeitete dort als Erzieher.
Während die Heimaufsicht in Potsdam darüber brütet, ob es den normalen Betrieb des Heims in den Forstwäldern bei Jänschwalde wieder erlauben kann, haben sich kurz vor Weihnachten erneut nach und nach mehrere Jugendliche bei der taz gemeldet, um die Zustände dort anzuprangern.
Mittlerweile hat die taz mit insgesamt acht Jugendlichen gesprochen, die in der Einrichtung des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Lübben gewohnt haben oder zum Teil noch wohnen. Laut Aussagen der Jugendlichen haben sich die Zustände dort nur geringfügig verbessert. Die Stimmung sei mies. Die Jugendlichen wollten, dass das Heim geschlossen werde – auch damit andere Kinder nicht das durchmachen müssen, was sie dort erlebt hätten. Zudem gewinnt man aus den Gesprächen den Eindruck, dass die Erzieher zunehmend Druck auf Jugendliche ausüben – auch um zu verhindern, dass diese sich an die Öffentlichkeit wenden.
Betten ohne Matratze
Zur Erinnerung: Der taz-Artikel „Hinter Milchglas“ vom 23. September führte zu sofortigen Auflagen des Ministeriums. Jugendliche waren in einer Eingangsphase in ihren Zimmern isoliert, hatten Milchglasfolie an den Fenstern und tagsüber keine Matratze auf dem Bett. Sie erzählten von strengen Frageritualen, abgeschlossenen Türen und einzelnen Übergriffen. Das Bildungsministerium von Britta Ernst (SPD) reagierte Anfang Oktober zudem mit einem Aufnahmestopp und weiteren Auflagen: ein Mitarbeiter wurde beurlaubt, die strenge Eingangsphase unterbunden. Es ging um die Sicherung des Kindeswohls.
Haasenburg Sechs Jahre ist es her, dass nach Recherchen der taz drei Heimen des privaten Betreibers Haasenburg GmbH die Betriebserlaubnis entzogen wurde, weil die dortigen Methoden nicht mit dem Kindeswohl vereinbar waren. Der Heimalltag sei von „überzogenen, schematischen und drangsalierenden Erziehungsmethoden geprägt gewesen“, sagte die damalige Jugendministerin Martina Münch (SPD) nach Lektüre eines Untersuchungsberichts und entzog die Betriebserlaubnis. Geschlossene Heime sollen seither in Brandenburg der Vergangenheit angehören.
Storkow Die taz berichtete kürzlich auch über das problematische Konzept einer anderen Brandenburger Einrichtung in Storkow-Wolfswinkel. Experten wie Holger Ziegler, Professor für Soziale Arbeit an der Universität Bielefeld, beurteilten die beschriebenen Methoden als entwürdigend, entautonomisierend und körperverletzend. Sie erinnerten an überwunden geglaubte Erziehungskonzepte wie die derJugendwerkhöfe der DDR mit teilweise menschenunwürdigen Bedingungen.
Aufs Land Auch Berliner Jugendämter bringen immer wieder Kinder und Jugendliche in Brandenburger Heimen unter: Zu Jahresbeginn 2019 befanden sich laut der Senatsverwaltung für Bildung über 1.200 Berliner Jugendliche in Brandenburger Einrichtungen.
Ethik Der Deutsche Ethikrat hat sich im Jahr 2018 eindeutig zu intensivpädagogischen Konzepten geäußert: „Intensivpädagogische Konzepte sind nicht zu rechtfertigen, weil sie aufseiten des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen zu Ohnmachtserfahrungen und zu äußerer Anpassung aus Resignation führen, sodass die eigentlich verfolgten wohltätigen Absichten konterkariert werden.“ (gjo, kaj)
Die Untersuchungen der Heimaufsicht in Potsdam dauern seither an. Laut Ministerium soll ein Bericht über die Geschehnisse bis Anfang Februar vorliegen. Ohne Aufhebung des Aufnahmestopps würde das Heim leerlaufen. Nach Berichten der Jugendlichen sind viele entlassen worden und nur noch knapp ein Dutzend Bewohner in dem Heim, das für 30 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren vorgesehen ist.
Sicher ist der Ausgang noch nicht, wie es kürzlich im Bildungsausschuss im brandenburgischen Landtag hieß. Volker-Gerd Westphal, Referatsleiter der Abteilung Kinder und Jugend, sagte dort, dass es nach der Prüfung, ob die erteilten Auflagen auch eingehalten wurden, „erneut Diskussionsbedarf mit der Einrichtung“ gegeben habe. „Wir sind mit der Einrichtung in Jänschwalde noch nicht durch. Da ist noch weiterer Prüfbedarf gegeben. Die Auflagen gelten fort“, sagte Westphal. Man werde nochmals „differenzierte Auflagen“ erteilen.
Angst vor Wildschweinen
Hinzu kommen nun neue Vorwürfe: Ehemalige und aktuelle Bewohner:innen berichten uns, dass es seit etwa zwei Monaten neue Schikanen gebe. So liegt das Heim mitten im Wald. Hätten die Betreuer jene Jugendlichen, die auswärts zu Schule gehen, früher mit dem Auto zum Bahnhof gefahren, müssten einige von ihnen diesen Weg nun morgens um 6 Uhr früh im Dunkeln zu Fuß gehen. Der Weg dauere 20 bis 25 Minuten. Bewohner hätten Angst, weil dort Wildschweine herumliefen und ihnen häufiger schon direkt begegnet seien. Die Kinder wie zuvor zu fahren, hätten die Betreuer allerdings abgelehnt – sie seien ja kein Taxi-Unternehmen, hätte es geheißen.
Zudem hätte sich die verbesserte Lage nach den ersten Auflagen durch die Heimaufsicht zum Teil wieder verschlechtert. Zwar ist die „Gruppe 1“ mit der strengen Aufnahmephase noch geschlossen. Doch die auch recht strenge „Gruppe 2“ gibt es noch. Die Bewohner dort hätten zwar kurzfristig Ausgang gehabt, aber das sei wieder verboten worden. Fenster könnten nicht von den Bewohnern geöffnet werden, die Jugendlichen würden im Heim beschult und kämen wenig raus.
Die taz befragte Anfang Januar das Ministerium zu diesen Vorwürfen, etwa ob die Wildschwein-Begegnung auf dem Schulweg zumutbar sei. Noch während wir auf die Antwort warten, spitzt sich die Lage vergangenen Sonntag zu: Eine ehemalige Bewohnerin berichtet darüber, dass ein Mädchen in der Einrichtung von einem anderen Bewohner verprügelt wurde. Das Mädchen habe Verletzungen und Schmerzen gehabt und noch am Abend zum Arzt gewollt, die Erzieher hätten das allerdings nicht unterstützt und sie sogar tags drauf zur Schule geschickt. Mittlerweile – auch dazu schickte die taz prompt eine Anfrage ans Ministerium – war das Mädchen wohl beim Arzt und soll von dort sogar ein paar Tage ins Krankenhaus gekommen sein.
Das Ministerium teilt nur knapp mit, auch diese neuen Vorgänge würden nun wiederum „geprüft“. Den dunklen Schulweg mit Wildschweinen findet man dort offenbar nicht so schlimm. Zu den anderen Vorwürfen äußert sich die Behörde nicht, bestätigt aber immerhin, dass es an besagtem Tag einen „Vorfall gab, der meldepflichtig ist“. Die Klärung durch die Heimaufsicht „dauert derzeit an“, so die Sprecherin.
Auch der Geschäftsführer des ASB-Lübben, Sven Meier, schreibt auf taz-Anfrage: Der „beschriebene Vorfall vom vergangenen Wochenende wurde, wie jeder Vorfall, dem Ministerium gemeldet“. Unklar bleibt, was genau passierte – abgesehen davon, dass das Mädchen erst spät zu einem Arzt kam und mehrere Tage im Krankenhaus blieb. Die durchaus heftige Beschreibung des mutmaßlichen Tathergangs durch die ehemalige Bewohnerin könne Meier jedenfalls nicht bestätigen, schreibt er.
Mitarbeiter beurlaubt
Ein anderes nicht unwichtiges Detail allerdings bestätigt der ASB-Geschäftsführer. Bei dem im Zuge der Prüfungen und Auflagen durch das Ministerium beurlaubten Mitarbeiter handelte es sich um einen Markus W., der zugleich eine Größe der Cottbusser rechten Szene ist, wie die taz nun erfuhr. Er ist führendes Mitglied der dortigen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung.
Um das zu erfahren, muss man nur seinen Namen googeln: Bilder von ihm finden sich auch auf der Website der Identitären. Er arbeitete bis September in dem Jugendheim „Neustart“ des ASB Lübben.
Geschäftsführer Meier sagt dazu: „Zum Zeitpunkt der Beurlaubung hatten wir keine Kenntnis von den privaten Aktivitäten des Herrn W.“. Mit dem jetzigen Kenntnisstand und Ws. politischer und gesellschaftlicher Gesinnung, sagt Meier, „ist eine Weiterbeschäftigung des Herrn W. unter keinen Umständen denkbar“.
Im Zusammenhang mit dem Heim bestätigt die Staatsanwaltschaft Cottbus Ermittlungen wegen des Verdachts auf Körperverletzung gegen W. Auch gegen einen ehemaligen Bewohner werde ermittelt – hier ebenfalls wegen Körperverletzung, diesmal zum Nachteil W.s. Die Ermittlungen in beiden Fällen dauerten an. Zudem warte man noch auf den Abschluss der Prüfungen durch das Bildungsministerium.
Dort fiel ebenso wenig auf, dass ein Identitärer mit der Erziehung von Jugendlichen betreut war. Immerhin jedoch hält das Ministerium Rechtsextreme nicht für geeignete Erzieher, wie es mitteilt: „Personen, die rechtsextremen Organisationen angehören oder diese nachweisbar unterstützen, sind für eine Tätigkeit in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe fachlich ungeeignet – Fachkräfte sollten sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung in Deutschland bekennen.“
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