Kinder gegen Corona: „Bitte keine Patys mehr Machen!“
Die Kinder haben die Propaganda gegen die Partybösewichte schon verinnerlicht. Sie wollen in Urlaub fahren, dürfen aber nicht.
S eit mehreren Wochen haben die Kinder das schon: Immer wieder müssen sie auf dem iPad geradezu zwanghaft die Website des Erlebnisparks Tripsdrill besuchen. Sie betrachten dann versonnen die „über 100 originellen Attraktionen“, die „Spaß und Spannung für die ganze Familie“ versprechen: das Rafting im Waschzuber, die Achterbahn „G’sengte Sau“, die Weinkübel, Kaffeetassen, Suppenschüsseln und Guglhupf-Formen, in denen man sich da unten im lustigen Schwabenland herumfahren und -wirbeln lassen kann.
Sie stellen sich vor, wie wir in den Herbstferien für zwei Nächte einen Schäferwagen beziehen werden, nachts die Wölfe heulen hören und tagsüber Gaudi samt Pommes mit Ketchup haben.
Jetzt aber: Wir im Hotspot, Tripsdrill in Baden-Württemberg. Stichwort Beherbergungsverbot. Die Kinder weinen und schreien. Sie hören: Die Leute da draußen feiern zu viel. Sofort stürzen zu ihrem Maltisch. Wir verstehen nur: „Paklate! Paklate!“ Dann ist es für zehn Minuten ruhig. Schließlich hören wir den Drucker rödeln. Er spuckt Dutzende Kopien aus. Darauf steht in Kreuzberger Rechtschreibung-nicht-so-wichtig-Kinderschrift: „Bitte keine Patys mehr Machen! Wir wollen in den Urlaub Fahren!“ Die Zettel sollen jetzt im Görlitzer Park und an jeder Haustür im Block aufgehängt werden. Dann, so sind die Kinder sicher, sinken die Zahlen schnell und wir können los.
Wir glauben das nicht und hoffen auf die Kulanz von Brandenburg. Da aber auch die nicht gesichert ist, fahren wir lieber am Wochenende noch mal raus zum Bungalow. Es ist kalt, das Elektroöfchen muss angeworfen werden. Wir gehen Pilze suchen. Der Wald, den wir durchstreifen, hat zwar massenhaft Waldameisenhaufen, aber nur zwei Gemeine Riesenschirmlinge zu bieten.
Wir ergänzen das karge Mahl mit unserer Ernte aus dem Gärtchen: mit zweieinhalb winzigen Zucchini, einer Tomate und einem Kürbis, der von einer Hand umschlossen werden kann. Dafür haben wir während des Lockdowns 30 Pflanzen auf Fensterbänken vorgezogen, gepflegt und gewässert, für viel Geld Töpfe und Erden gekauft, gewerkt, geharkt, gemacht, getan? Ein niederschmetterndes Ergebnis.
Ich überlege ernsthaft, an der Hochschule in Eberswalde Ökologischen Landbau zu studieren oder an der „Wildnisschule Wildniswissen“ in Buckow den „Ancient Bushcraft“-Lehrgang zu belegen, um mir mehr von dem für eine präsentable Ernte offenbar notwendigen arkanen Wissen der Landbevölkerung anzueignen. Und ich hatte mir eingebildet, von Schlesien vertriebene bäuerliche Großeltern reichen.
Zurück in der Stadt müssen wir knurrende Mägen füllen. Wir sitzen bei Mama Shabz, dem pakistanischen Imbiss auf der Reichenberger Straße. Also natürlich nicht bei, sondern davor. Wir frösteln in unseren Jacken und freuen uns über die gut gewürzten Speisen, die den Körper natürliche Wärme produzieren lassen. Werden wir auch im Januar noch draußen essen? Vermutlich. Ich verspüre ein wenig Lust auf das wilde Wissen, wie es so sein wird, bei Minusgraden auf dem Klappstuhl, die Gabel ungelenk zwischen den steifen Fingern.
In diesem Moment zieht ein junges Pärchen vorbei, in taillenhohen Karottenjeans und spitz zulaufenden Creepers, die Boombox auf dem Schulterpolster des Blousons. Laut singen beide mit. Es ist „Never Gonna Give You Up“ von Rick Astley. Gestern ist heute und heute ist morgen.
Die Cantienica-Lehrerin schickt ein Rilke-Gedicht: „Man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann.“ Ich werde sitzen und warten, den dampfenden Linsen-Daal vor mir in frostkalter Luft, die Kapuze tief in der Stirn, die Maske unterm Kinn, und mich erinnern, wie wir 1987 gegen Aludosen demonstriert haben.
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