piwik no script img

Kind oder politische Karriere?Kinderfreie Zone

Zum ersten Mal lehnten zwei aussichtsreiche KandidatInnen es aus familiären Gründen ab, Hamburgs BürgermeisterIn zu werden. Politische Karriere und aktive Elternschaft gehen noch immer nicht zusammen.

Bürgermeister mit Kleinkind: In Hamburg scheint dies nicht möglich Foto: Nicolas Armer/dpa

HAMBURG taz |Zwei PolitikerInnen sagen Nein. Nein zum nächsten Karrie­reschritt – der Kinder wegen. Als über die Nachfolge von Bürgermeister Olaf Scholz entschieden wurde, haben Andreas Dressel und Melanie Leonhard, die ersten beiden AnwärterInnen auf das Scholzsche Erbe, ein klares und starkes Signal gesetzt. Sie haben das Amt abgelehnt, um sich weiter um ihre Kinder kümmern zu können, so sagen sie, haben sich dem nächsten Karriereschritt und einer Chance, die vielleicht nie wiederkommt, verweigert. Davor gilt es den Hut zu ziehen.

Dass Dressel, der Scholz-Kronprinz, sich wegen seiner drei kleinen Kinder und seiner kranken Mutter schwertat, das Amt jetzt schon zu übernehmen, war bekannt. Dass jedoch alle Parteifreunde und politischen Beobachter trotzdem ganz selbstverständlich davon ausgingen, Dressel würde natürlich zugreifen, spricht für eine problematische Prioritätensetzung.

Ein Politiker darf heutzutage schon mal über die Doppelbelastung lamentieren, die Familie und Amt mit sich bringen, um sich dann aber letztendlich doch bitte für das Amt zu entscheiden. Die Kinder vor die Karriere zu stellen, das kommt praktisch nicht vor. Genau das aber haben Dressel und Leonhard getan und damit einen Tabubruch begangen, für den man ihnen dankbar sein muss.

In diesem Jahrhundert nahmen fast nur Männer auf dem Hamburger Bürgermeistersessel Platz, die kinderlos waren: Olaf Scholz, Christoph Ahlhaus, Ole von Beust. Sein Vorgänger, Ortwin Runde hatte bei Amtsantritt einen volljährigen und einen schon fast erwachsenen Sohn. Der verstorbene Henning Voscherau war somit der letzte Familienvater der Hamburg regierte und Kinder erzog, die noch nicht aus dem Gröbsten raus waren.

Stets informiert

Erzog? Bruder Eggert sagte bei Voscheraus Trauerfeier, er sei auch als Bürgermeister zumindest „über alle Entwicklungen und Ereignisse im Leben der Kinder (…) stets informiert gewesen“. Mehr ging da nicht, aktive Vaterschaft aber fühlt sich anders an. Andreas Dressel lehnt nun ab, weil er mehr als nur informiert sein will, Leonhard, weil Kindersitz plus Bodyguard im Dienstwagen für sie kein harmonisches Bild ergeben. Die Botschaft lautet: Wir haben kleine Kinder, wir sind raus.

Peter Tschentscher hat einen erwachsenen Sohn. Doch wenn faktisch nur auf dem Rathaus-Chefsessel Platz nehmen kann, wer kinderlos ist, oder wessen Söhne und Töchter schon eigene Wege gehen, verbaut das jede Chance auf einen Generationswechsel im Rathaus, etabliert den Ü50-Bürgermeister. Tschentscher ist 52, Dressel wäre 44, Leonhard 40 gewesen.

Tatsächlich lässt sich das Bürgermeister-Amt nicht mit einer aktiven Elternschaft vereinbaren. Der Tag des Bürgermeisters beginnt am frühen Morgen und endet – wenn der Amtsinhaber seine Repräsentationspflichten ernst nimmt – am späten Abend. Handy aus am Wochenende ist unvorstellbar. Wer Hamburg regieren will, muss immer verfügbar sein. Für Parteifreunde, Interessengruppen oder Medien; nicht aber für seine Kinder. Das gehört nicht zur Kernkompetenz eines Bürgermeisters.

Die Entscheidungen von Dressel und Leonhard zeigen: PolitikerInnen von heute stellen ihre Karriere nicht zwangsläufig über alles. Das ist gut so. Das System aber lässt ihnen keine Chance. Und das ist schlecht.

Doch wozu gibt es eigentlich eine Zweite Bürgermeisterin, einen Zweiten Bürgermeister? Der ChefInnen-Job im Rathaus ist so zeitintensiv, dass man ihn teilen könnte, ja müsste. Parteien werden heute oft mit einer Doppelspitze geführt. Warum soll dass bei einer Stadt, einem Land, prinzipiell unmöglich sein?

Engagierte Eltern fördern

In einer politischen Landschaft, in der Familienpolitik, Kitabetreuung, Kinderarmut und Schulentwicklung immer wichtiger werden, ist es nicht ganz verkehrt, jemanden auf dem Bürgermeistersessel zu wissen, der auf dem Spielplatz eine genauso gute Figur macht wie in der Senatsrunde.

Hamburg muss darüber nachdenken, was zu tun ist, um es auch jungen Eltern zu ermöglichen, die Stadt zu regieren. Politikerinnen werden glaubwürdiger, wenn sie nicht nur beklagen, dass in der Wirtschaft noch immer Frauen und engagierten Eltern der Weg in die Führungsspitze verbaut ist, sondern Lösungen finden würden, dass es im eigenen Laden anders läuft. Die Entscheidung von Dressel und Leonhard verdient deshalb nicht nur Respekt, sie mahnt auch Veränderung an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich finde es gut, dass diese Thematik aufgegriffen wird, denn ich empfinde Hamburg nicht als eine kinderfreundliche Stadt und viele, was für Kinder gedacht oder gemacht wird, hat einen schalen Beigeschmack.

     

    Aber bei Dressel und Leonhard ist nicht ganz ausgeschlossen, dass sie das Risiko dieser Amtsübergabe vermeiden wollten, schließlich müssten beide in zwei Jahren eine Wiederwahl der SPD mit mindestens 40 Prozent schaffen - sehr schwer, wenn man in Rechnung stellt, dass die SPD das Thema Wohnungsnot nicht richtig verstanden hat.

     

    Es ist nämlich nicht alle super, wenn wohlhabende Menschen wählen können, ob sie eine Eigentumswohnung in Langenhorn oder Barmbek-Nord oder aber ein Haus in Elmshorn kaufen können.

     

    Wichtig wäre gewesen: Was kann ein Polizist, eine Arzthelferin, eine Verkäuferin oder ein Student eigentlich an Miete bezahlen?

     

    Das bewegt natürlich im echten Leben weder Tschentscher, Dressel noch Leonhard, noch trieb es Olaf Scholz um, aber die SPD gackt bei ihren Normalo-Wählern bald ab. Das ist abzusehen und niemand schafft 15.000 oder 20.000 Sozialwohnungen in zwei Jahren.

     

    Und der Bedarf könnte bei über 40.000 oder mehr liegen. Die Folge wird sein, dass die Mieten überall steigen genauso wie die Kaufpreise, aber wer wirklich keine Probleme hat, eine Wohnung für €300.000 oder €400.000 zu kaufen, der braucht Politik und Politiker nicht, jedenfalls nicht in diesem Bereich.

     

    Und wie sieht das eigentlich aus, wenn eine OP-Schwester und ein Landschaftsgärnter zwei Kinder haben und in Ottensen in einer kleinen Wohnung leben und stetig Kontakt mit dem Vermieter haben - hat die SPD dann eine andere Wohnung in Ottensen oder Bahrenfeld für diese Familie zur Hand? Interessiert sich die SPD wirklich für diese beiden Kinder, die letztlich in Elmshorn, Norderstedt oder Tornesch am Ende leben werden?

     

    Deswegen glaube ich diese Argumente nicht. Und man muss Tschentscher viel Glück und der CDU maximales Pech wünschen, alles andere läuft nicht.