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Keine Reaktion auf Notrufe?WaldbesetzerInnen fordern Polizeischutz

Der Konzern RWE will das Sündenwäldchen in NRW roden. AktivistInnen wollen das verhindern – und klagen über Brutalität der beauftragten Sicherheitsfirma.

Protestcamp im Sünden­wäldchen Foto: Ralf Rottmann/Funke Foto/imago

Manheim taz | Alles rasiert, abgeholzt, niedergemäht. Kein Refugium für gefährdete Tiere mehr, keine Klima­schutzwirkung, kein Ort mehr für ein ökologisches Trittsteinbiotop nach Ende der Braunkohlezeit. Vier Tage lang haben Kettensägen und Harvester Ende vergangener Woche ganze Arbeit geleistet im sechs Hektar großen Sündenwäldchen am Rand des weitgehend ent­siedelten Braunkohle­dorfs Manheim.

Energie­konzern RWE will hier baggern – allerdings nicht mehr nach Kohle, stattdessen geht es um Kies und Abraum. RWE braucht Boden als Material, um die steilen Abhänge seiner Tagebaue flacher zu machen und zu stabilisieren.

Jetzt sieht es im Sündenwäldchen aus wie nach einem Bombeneinschlag: Baumstümpfe, Astberge, vereinzelt Schrottteile dazwischen. Männer in blauen Warnwesten häckseln die Holz­ernte zusammen und verladen sie auf Lkws. Auch meterdicke makellose Eichenstämme, Traumexemplare jedes Schreiners, liegen zum Schreddern bereit.

Eine kleine Fläche Bäume ist geblieben. Darin hängt ein Dutzend Baumhäuser, nach wie vor bewohnt von rund zwei Dutzend Leuten, die den Wald schützen wollen.

Räumung durch private Sicherheitsfirma

Alles also ganz anders als im Hambacher Wald 2018. Da waren zuerst Tausende Polizeikräfte zur Räumung angerückt, militant Stück für Stück vorrückend. Nach der Zerstörung von gut 80 Baumhausstrukturen, dem fürchterlichen Todessturz von Filmemacher Steffen Meyn und der gewaltsamen Vertreibung Hunderter WaldbesetzerInnen sollte die Rodung beginnen. Die verhinderte dann das Oberverwaltungsgericht Münster. Der Hambi blieb.

Im Sündi hingegen: keine Räumung. Und vor allem: keine Polizei, nirgends. Nur die Sicherheitskräfte der Firma Mundt aus Frechen, seit Jahren Security-Partnerin von Auftraggeber RWE Power.

Geschätzt 500 Kräfte, heran­gekarrt in zehn Reisebussen, wieselten hier tagelang herum. BesetzerInnen berichten: Es habe Schläge, Fußtritte, Übergriffe, Schubsereien sowie andauernd sexualisierte Bemerkungen gegeben. Und vor allem: Das Fällen der Bäume sei hochgefährlich verlaufen, bis nah an die bewohnten Baumhäuser heran, an die Traversen und Sicherheitsseile. Zumindest ein Seil sei auch gekappt worden. Es sei eine Katastrophe möglich gewesen.

Polizei: „Keine Hinweise auf Gefahrensituationen“

Und nirgends Polizei. Eine Sprecherin der zuständigen Dienststelle Rhein-Erft-Kreis bestätigt: „Wir hatten keinen Einsatz vor Ort.“ Wieso? „Es gab keine Hinweise auf potenzielle Gefahrensituationen.“ Die Vorwürfe der AktivistInnen vor Ort hätten die Polizei nicht erreicht, heißt es. „Wenn die Hinweise nicht zu uns durchdringen, können wir nichts machen.“

Ein Aktivist aus dem Sündi, der sich als Dirk vorstellt und seinen Nachnamen nicht öffentlich nennen will, berichtet der taz, er habe am dritten Tag morgens noch bei Dunkelheit in den Wald gewollt. „Plötzlich war da eine Wand von Sicherheitskräften vor mir. Und schon hatte ich eine Faust im Gesicht. Dann bin ich aus dem Wald geschleift und in eine Pfütze geschmissen worden.“ Sein Begleiter sei zusätzlich getreten worden. Beide seien ins Krankenhaus gefahren. „Zum Glück hatte ich nur eine leichte Gehirnerschütterung.“

Schon das Wegtragen von Menschen ist für private Sicherheitsleute nicht legal. Eine Baumhausbewohnerin berichtet der taz zudem davon, von einem Mundt-Trupp durchs Gehölz gejagt worden zu sein, auch sexualisierte Kommentare habe es gegeben. Zudem liege eine Strafanzeige der Filme­macherin Carmen Eckhardt vor. Sie wurde demnach vor Ort gewaltsam angegangen und zu Boden geschubst.

AktivistInnen der Mahnwache im Sündenwäldchen berichten, sie hätten den Polizei-Notruf gewählt. Niemand sei gekommen. Die Polizei behauptet, es habe keine solchen Anrufe gegeben. Ein RWE-Sprecher hält alle Gewaltberichte für „frei erfunden“. Ein RWE-Amtshilfeersuchen? Gab es auch nicht.

Mahnwachler Dirk sagt: „Es ist absurd: Im Hambi haben wir die Polizei verflucht. Hier würden wir uns eine Einsatz-Hundertschaft wünschen.“

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14 Kommentare

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  • An dieser Stelle möchte ich noch kurz Gregor Golland, CDU, erwähnen.



    Der Kollege sitzt im Landtag und im Kreistag des Erftkreis - Kerpen ist im Erftkreis - und (Pointe!) arbeitet halbtags bei RWE für 100.000 € p. a. .



    Natürlich hat der Typ keine Interessenskonflikte, natürlich ist das Geld von RWE fur geleistete Arbeit, welche auch immer das sei.

  • Die Schlägerbanden der Firma Mundt sind ja schon im Hambi übelst aufgefallen. Das sind Gestalten, denen frau Abends nicht im Dunkeln begegnen will. Das RWE um jeden Preis das "Sündenwäldchen" abholzen wollte, obwohl es andere Möglichkeiten gegeben hätte, hat meiner Ansicht nach auch damit zu tun, daß dieser rachsüchtige Konzern es noch immer nicht verwunden hat, daß er damals beim Hambi eine Niederlage erlitten hat. RWE weiß genau, daß das Wäldchen wichtig für die Gesundheit des Hambi wäre. Deshalb handeln sie nach dem Motto: Wenn ich nicht direkt zerstören kann, dann zerstöre ich rundum. Das wurde von diesem üblen Konzern übrigens schon damals versucht, als die Bagger nach dem Gerichtsurteil noch so dicht an den Hambi ranbaggerten, daß die Bäume unter enormen Hitze- und Wassermangeldruck kamen und der eigentlich ja schon geschützte Wald an den Rändern kaputt ging. Ich hoffe deshalb darauf, daß in Zukunft diese Umweltverbrecher für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden.

  • Aber um einen popeligen Schubser in die Matsche wird ein Riesentheater gemacht. Gleichbehandlung in D ??? Das erkenne ich nicht - auch wenn die Demonstranten keine Polizisten sind - sie sind Menschen, Mitbürger*innen und sie werden offensichtlich brutalst behandelt, nicht nur in den Matsch geschubst...

  • Wer darauf hofft, die Polizei helfe gegen die "Brutaltrupps" eines Konzerns, versteht nicht, dass die vier Gewalten Teil des Wirtschaftssystems sind.

  • Begleiteter Landfriedensbruch und "Defund the police" scheint nicht so gut zusammen zu passen.

  • Mich beschleicht Eindruck dass es eher um die ausbleibende Macht der Bilder geht.

    Die Auseinandersetzung mit der Polizei gehört doch zur Folklore.

    Jetzt ist sie nicht vor Ort und es ist auch wieder nicht recht.

  • Warum wurden keine Anzeigen wegen Körperverletzung erstattet, dann muss die Polizei tätig werden ? Das ist eine Straftat.

  • Vllt bessr, dass keine Polizei vor Ort war.

    Denke da nur an Brokdorf, Würgassen usw.

  • ...wenn man sie denn mal braucht - sind sie gerade auf Mönchsjagd...

  • Wer es noch nie tat: Deutschland als Satellitenbild aufrufen, Google Maps oder andere. Sie finden links von Köln und von Neuss jeweils Flächen wie eine größere ausradierte Bildstörung - das sind aber die Braunkohlewüstungen des Rheinischen Reviers, die vorher Wald und außergewöhnlich fruchtbare Ackerfläche waren oder alte Dörfer.



    Diese Schäden werden teils auf die Allgemeinheit geschoben, Entscheidungsträger gesalbt und Geld zu den Aktionären und Managern geschaufelt.



    Jetzt nicht mal den Kies aus existierenden Abbaugebieten zu holen oder halt kleiner auszugraben, um wenigstens etwas Wald dort am Leben zu lassen, ist nur der letzte Stein. Das sind auch keine "Sicherheitskräfte", sondern als Bullies Eingekaufte.

  • spontan würde ich sagen, fehlt da Personal auf der Seite der Aktivisten und geeignete Mittel zur Umkehr der Machtverhältnisse. wenn da Busse voller Schläger angekarrt werden, sollten sich mehr Aktivisten finden lassen die die Leute da unterstützen. Man kann sich gut vorstellen welche Freude solche Sicherheitsfirmen verspüren wenn sie freie Hand bekommen und die Polizei nicht hinsehen will.

  • taz: *Energiekonzern RWE will hier baggern – allerdings nicht mehr nach Kohle, stattdessen geht es um Kies und Abraum. RWE braucht Boden als Material, um die steilen Abhänge seiner Tagebaue flacher zu machen und zu stabilisieren.*

    RWE muss gar nicht mehr so tun als ob sie für uns Bürger nach Kohle buddeln, damit es uns im Winter 'wohlig warm' wird, denn jetzt darf der Energiekonzern RWE machen was er will. Wenn RWE ein kleines Wäldchen wegen Kies platt machen möchte, dann fragt RWE auch gar nicht mehr, sondern lässt einfach die Bagger anrollen. Und wenn AktivistInnen von angeheuerten Sicherheitskräften ('oder was diese Leute auch immer sind') physisch angegriffen werden, dann ist ihr Notruf merkwürdigerweise nicht zur Polizei vorgedrungen.

    taz: Ein RWE-Sprecher hält alle Gewaltberichte für „frei erfunden“.

    Zuerst wird ein Wäldchen mit Gewalt 'abgeholzt' und dann werden Aktivisten von RWE-"Sicherheitskräften" 'umgeholzt', aber der RWE-Sprecher hält sich strikt an seinen RWE-Text, den er der Presse bravourös vorträgt. Es ist nur noch erbärmlich und erschreckend was in diesem Land vor sich geht. Und über unsere Polizei muss man ohnehin nicht mehr sagen, denn die kennt man ja.

  • Aber wehe ein unbewaffneter Mönch schubst.



    Dann hat die Polizei direkt "Panik" und der Staat verfolgt aus Rache...

    Es liegt halt auch 2025 daran, auf welcher Seite man steht. Grüße von Benno O.

    • @Tz-B:

      Ja, da muss man wirklich aufpassen. Schließlich haben Religionen schon Kriege in Gang gesetzt.