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Kein Himmel voller Geigen

In die Charts und auf die Bühnen schaffen es vorwiegend Männer – trotz vieler Musikstudentinnen

Von Lotta Drügemöller

An Jugendmusikschulen liegt der Anteil der Mädchen bei 70 Prozent, in den Musikwissenschaften sind etwa 50 Prozent der Studierenden weiblich. Und dann kommt der Knick: Popmusikmachende sind zu 17 Prozent Frauen; bei Rockmusik sind es elf Prozent. Und DJs sind gerade einmal zu gut sechs Prozent weiblich.

Die Absolventinnen der Musikhochschulen verschwinden natürlich nicht einfach. „Aber sie landen vor allem im Bereich Pädagogik und Soziales, wo weit weniger verdient wird“, erklärt Andrea Rothaug. Sie ist Geschäftsführerin von Rockcity Hamburg, ein Zentrum für Popularmusik. Von dort aus gründete sie 2017 auch das Projekt „musicHHwomen“, das helfen soll, Frauen in der Musikbranche weiterzuqualifizieren und zu vernetzen. Anlass war die Studie „Frauen in Kultur und Medien“ von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, aus der auch die oben genannten Zahlen stammen.

Eines der Probleme für Frauen liegt laut Rothaug in den Strukturen der Musikindustrie: Es gibt viele Überstunden, viele Nachtschichten, keine stabilen Arbeitsverhältnisse, sondern nur projektbezogene Beschäftigung auf Zeit. Dazu kommt der hohe Wettbewerbsdruck.

Die Bedingungen sind für alle gleich – aber da Frauen häufiger den Löwinnenanteil der Kindererziehung übernehmen, kollidiert der Beruf bei ihnen stärker mit dem Familienleben als bei Männern. „Die Musikbranche spiegelt hier die gesellschaftlichen Umstände wider,“ so Rothaug. „Geschlechtergerechtigkeit suchen wir auch in anderen Berufszweigen.“

Mehr weibliche Festivals

Die Keychange-Initiative, die 2017 auf dem Reeperbahnfestival gegründet wurde, will der ebenfalls männlich dominierten Festival-Szene etwas entgegenstellen und setzt sich für paritätische Festival-Line-ups ein. Mit Erfolg: Knapp 300 Festivals weltweit haben sich mittlerweile zu einer 50/50-Besetzung bekannt.

Eine ähnlich große Bewegung für Radiosender gibt es bisher nicht. Dabei sind die Probleme laut einer Datenanalyse des Radioprogramms Puls und der Gema von 2016 ähnliche: Der Anteil der Interpretinnen in den deutschen Top 100 Singlecharts – die nun einmal im Radio gespielt werden – liegt im Schnitt bei 26 Prozent. Nur bei elf Prozent der Songs sind Frauen Urheberinnen von Texten oder Musik.

Nun soll zumindest am Weltfrauentag auch an diesen Zahlen gedreht werden. Die ARD nimmt mit mehr als 30 Radiowellen an einer Aktion der Europäischen Rundfunkunion teil. NDR Kultur etwa wird am Weltfrauentag nur Komponistinnen, Dirigentinnen und Solistinnen im Programm berücksichtigen. N-Joy, NDR 2, und NDR Info beteiligen sich, ebenso Radio Bremen: Ab 6 Uhr spielt Bremen 2 schwerpunktmäßig Musik von und mit Frauen.

Mit der Aktion will man das „Bewusstsein schärfen“ und „zu einem Umdenken anregen“, heißt es. Ob das mit dem Umdenken auch abseits des Frauentags klappt, wird sich zeigen. Der private Sender Radio Hamburg teilt auf Nachfrage mit, dass man für gewöhnlich keine Aufzeichnungen über das Geschlecht der Interpret*innen führe; genauso wenig die öffentlichen Rundfunkanstalten NDR und Radio Bremen. „Wir spielen das, was den Hörern gefällt“, meint Axel vom Bruch, Teamleiter Musik vom NDR-Jugendsender N-Joy. Man ist sich trotzdem recht sicher, dass Ausgewogenheit herrscht – schließlich sollen sich, etwa bei Radio Bremen, die Geschlechter der Interpret*innen möglichst abwechseln.

Datenbank für Musikschaffende

Rothaug ist sich dagegen sicher, dass die Radiobranche noch viel Arbeit vor sich hat. „Radiomacher sind oft männliche Gatekeeper. Nicht allen ist präsent, dass sie eigentlich gemischte Teams, Charts und Produzentnnen brauchen.“.“

Das „musicHHwomen“-Netzwerk versucht deshalb mit eigenen Konzerten dafür zu sorgen, dass es mehr Vorbilder für junge Musiker*innen gibt. Das Netzwerken von Frauen fördern sie über Workshops, vor allem aber auch über digitale Vernetzung. „Music Women Germany“, das nach dem Hamburger Netzwerk gegründet wurde, hat eine Datenbank aufgebaut. Mittlerweile sind dort knapp 700 Frauen verzeichnet – Produzentinnen, Managerinnen, Songwriterinnen, Musikerinnen. Rothaug sagt: „Wer Frauen aus der Musikbranche finden möchte, kann sie dort finden“

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