piwik no script img

Katrin Göring-Eckardt zu Wolfram WeimerEs braucht mehr als schöne Worte

Gastkommentar von Katrin Göring-Eckardt

Wenn Rechtsaußen nach der Kultur greift, geht es uns alle an. Katrin Göring-Eckardt erwidert in diesem Gastbeitrag auf Kulturstaatsminister Weimer.

Wähnt sich im Kulturkampf von rechts und links: Wolfram Weimer spricht vor dem rekonstruierten Berliner Schloss Foto: Hannes P. Albert/dpa

W enn Kulturkämpfe ausgefochten werden, geht es selten um Kultur. Es geht um Macht. Es geht darum, wer die Regeln setzt, wessen Blickwinkel zählt, was ausgespart wird und wer bestimmt. Vor allem geht es immer mehr darum, ob mit Macht das Spalten oder das Beieinanderbleiben der Gesellschaft forciert werden soll.

Das zeigte sich erst kürzlich bei Markus Lanz. Ulf Poschardt und Boris Palmer trafen dort auf die Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Eigentlich sollte es in der Sendung um Meinungsfreiheit gehen. Am Ende kam davon beim Publikum wenig an. Die beiden Herren demonstrierten Macht. Mit „Ihre These ist absurd“ oder „Hören Sie einfach zu“ reagierten sie in der Sendung auf Ausführungen der Wissenschaftlerin, riefen dazwischen, stöhnten, erklärten Einzelfälle zum Allgemeinplatz und blieben unbeirrt bei ihrer anekdotischen Evidenz, selbst als Maren Urner mit ihrer Expertise differenzierte Einordnungen bot.

Diese Art des Auftretens ist nicht neu – und sie folgt einem bekannten Playbook: Freiheit soll nicht mehr für alle gelten – sondern nur für einige Wenige, die sich damit unangreifbar machen wollen. Wolfram Weimer, den ich für einen ehrlichen Freund der Freiheit halte, hat in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung darauf verwiesen, dass es Cancel Culture von rechts wie links gäbe. Geht es nach ihm, soll das mal wieder Thema werden. Ich hoffe inständig, wir kommen um diese erneute Debatte herum.

Was Weimer vergisst

Weimer verweist außerdem zurecht auf die Einflussnahme großer ideologiegetriebener Akteure in China und Russland, aber auch auf die Macht großer Tech-Konzerne und ideologischer Strömungen in den USA. Nur schade, dass ihm bei rechtem Kulturkampf nur ausländische Beispiele einfallen. Fraglos sprechen die jüngsten Entwicklungen in den USA eine eindeutige, beängstigende Sprache der Machtausübung. Vor allem, weil dort nicht nur die Freiheit der Meinung, sondern vielmehr die Freiheit insgesamt bedroht ist.

Doch Weimer vergisst: Auch hierzulande werden Debatten von rechts und erst recht rechtsradikal gekapert, kritische Stimmen übertönt und Wissen marginalisiert.

Bild: Uwe Koch/imago
Katrin Göring-Eckardt

ist Sprecherin für Kultur und Medien sowie Ostbeauftragte der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. In der vergangenen Wahlperiode war sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Der Text des Kulturstaatsministers Wolfram Weimer, auf den sie sich bezieht, erschien als Gast­beitrag in der SZ vom 4. 6.

Man muss nur nach Rudolstadt schauen, dessen Theater im Thüringer Landtag auf Geheiß der AfD auf politische Neutralität überprüft werden soll. Nach Eisleben oder Plauen, Orte, an denen die AfD den Theatern Mittel streichen will, weil deren Mitarbeitende gegen Rechtsextremismus demonstriert haben. Nach Osnabrück, wo die AfD wegen einer Inszenierung einer Schultheatergruppe, die sich kritisch mit der rechtsextremen Partei auseinandersetzte, vor Gericht zog. Nach Stollberg, wo nach Angriffen rechtsradikaler Akteure eine Jugendtheatergruppe ihre Inszenierung über die Weiße Rose abgeändert hat.

Es gibt viel zu viele dieser Beispiele. Dort ist Kulturkampf ganz real und nahezu wortwörtlich. Im Übrigen ist auch die Infragestellung der Finanzierung zahlreicher Vereine und Verbände mit einer kleinen Anfrage im Bundestag seitens der Unionsfraktion Freiheit bewusst ein- oder eben ausgrenzend. Und all das ist Beanspruchung von Macht.

Kunst aushalten oder genießen

Ich verstehe, dass es anstrengend ist, Freiheit zu leben, besonders dann, wenn es nicht um die eigene, sondern um die Freiheit der Anderen geht. Ja, Kunst und Kultur sind frei, müssen frei sein, irritieren, nerven, provozieren, auf allen Seiten. Und je nachdem müssen wir sie aushalten oder dürfen wir sie genießen.

Ein Dieter Nuhr, den Weimer als Beispiel ins Feld führt, ist nicht betroffen von Freiheitseinschränkungen. Er hat einen festen Platz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Dass sich Menschen über seine mit teils sexistischen und rassistischen Ressentiments gespickte und für mich nicht lustige Comedy aufregen, gehört zur Freiheit dazu. Ganz anders als Nuhr macht es Carolin Kebekus (für mich sehr erheiternd) – etwa wenn sie sich für Kinderrechte stark macht oder mal wieder gegen die männerdominierte katholische Kirche austeilt – und trotzdem regen sich Menschen über sie auf.

Vielleicht ist der Unterschied, dass sie diese Kritik mit Humor nimmt, statt sich medienwirksam beleidigt in die Schmollecke zu verkriechen. Es gehört zu den Zumutungen einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft, dass wir unterschiedliche Positionen nicht nur ertragen, sondern ernst nehmen müssen. Ich kann nichts Falsches daran erkennen, zu hinterfragen, ob wir mit unseren Blick-Schablonen Menschen sichtbar oder unsichtbar machen.

Wer behauptet, man dürfe bestimmte Dinge „nicht mehr sagen“, sagt sie meist doch – will dabei nur keinen Widerspruch bekommen. Aber so einfach ist es (zum Glück) nicht. Ist es nicht das Größte an der Freiheit, dass sie uns Raum gibt, verschieden zu sein? Ist es nicht Ausdruck von Freiheit, dass wir uns gegenseitig ernst nehmen, nicht belehren, sondern in den Diskurs, auch in den Streit gehen?

Freiheit der Kunst vielerorts bedroht

Wir müssen uns nicht immer einigen. Weder darüber, ob uns die letzte Theaterinszenierung gefallen hat, noch darüber, ob Tofu-Schnitzel auf den Grill kommen. Aber zulassen sollten wir es und nachfragen. Und dabei zumindest für möglich halten, dass der oder die andere auch recht haben könnte. Gerade deshalb lohnt es sich, unsere Debatten immer wieder mit der Realität zu konfrontieren.

Denn es gibt schon mehr als genug Fälle, in denen klar wird, was die Freiheit der Kunst heute schon vielerorts bedroht: Wenn die Finger von ganz Rechtsaußen versuchen, Macht zu beanspruchen und dabei nach der Kultur zu greifen, geht es uns alle an. Dann braucht es mehr als schöne Worte – es braucht konkretes politisches Handeln.

Solches Handeln wäre die Art von Macht, die sich als Verantwortung für andere und das Gemeinwesen versteht. Macht, wie sie dereinst Martin Luther versuchte zu definieren, als er um die Freiheit der Christenmenschen rang. Freiheit nämlich, die einerseits niemandem untertan sein sollte und andererseits aber wiederum allen dienen. Es ist folgerichtig und wegweisend bis heute, dass er über den Streit sagte: „Lasset die Geister aufeinanderprallen, aber die Fäuste haltet stille.“ Und das sollte uns auch in übertragener Weise leiten. Abkanzeln steht denen, die Macht verantworten, nicht an und nicht zu.

Denn Demokratie lebt Macht. Indem sie Verschiedenheit versöhnt oder aushält, sie groß macht und so Orte schafft, an denen alle frei sein können, nicht herabgesetzt werden oder falsch umjubelt. Kunst ist frei und sie ist nicht egal. Gerade die Mitte unserer Gesellschaft tut gut daran, sich der Freiheit zu verschreiben, der Freiheit in Verschiedenheit, im Diskurs, ohne Missbrauch von Macht, ohne Spießigkeit auch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!