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Katja Kipping über Hartz-IV-Diskussion„Abschaffung braucht starke Linke“

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping begrüßt den grünen Vorschlag einer „Garantiesicherung“. Sie kritisiert aber, dass Aussagen zur Erhöhung des Regelsatzes fehlen.

Katja Kipping Foto: reuters
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Frau Kipping, sind Sie froh, dass SPD und Grüne sich jetzt von Hartz IV abwenden?

Katja Kipping: Ja, klar. Vor zwölf, dreizehn Jahren musste ich einst in meiner Partei die völlige Sanktionsfreiheit als Ziel durchsetzen. Das ist inzwischen auch die Position einiger Wohlfahrtsverbände geworden. Und nun fordert dies auch Robert Habeck.

Alles wird gut?

Man muss genau hinschauen. Habeck hat ein differenziertes Programm vorgelegt. Bei der SPD klingt es eher nach unverbindlichen Absichtserklärungen. Es fehlen konkrete Zahlen und Ansagen, welche Gesetze geändert werden sollen.

Habecks Vorschlag

Grünen-Chef Robert Habeck schlägt in der Debatte um die Zukunft des umstrittenen Hartz-IV-Systems eine grundlegend neue „Garantiesicherung“ vor. Ein Zwang zur Arbeitsaufnahme und Sanktionen entfallen dabei, wie aus einem Papier hervorgeht, über das zuerst Zeit Online berichtete. Damit gelte es, das „Hartz-IV-System hinter uns zu lassen“. Im Gegensatz zu Ideen für ein bedingungsloses Grundeinkommen solle es aber bei einer Prüfung der Bedürftigkeit bleiben. Der Vorstoß solle nun in die Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm der Grünen einfließen. (dpa)

Zündet die SPD nur Nebelkerzen?

Die SPD ist wahrscheinlich ernsthaft auf der Suche nach Alternativen. Was dabei herauskommen wird, ist noch offen. Die SPD verharrte leider noch beim Prinzip der Sanktionen, auch wenn sie besonders harte Sanktionen gegen Jüngere mittlerweile in Frage stellt.

Sie sind also näher bei Habeck als bei Nahles?

Ich würde sagen: Habeck ist näher bei uns. Hartz IV durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro zu ersetzen, fordern wir ja seit Jahren. Kritisch scheint mir, dass die Erhöhung des Regelsatzes in dem Habeck-Papier fehlt. Die grünen Fachpolitiker wissen eigentlich, wie hoch der werden muss. Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie und Paritäter haben Berechnungen vorgelegt. Wir gehen von 570 Euro aus. Da bleiben die Grünen unverbindlich, wohl aus Angst über die Finanzierung reden zu müssen.

Im Interview: Katja Kipping

40, führt die Linkspartei seit 2012 gemeinsam mit Bernd Riexinger.

Aber Habeck rechnet ja mit Mehrkosten von 30 Milliarden Euro jährlich.

Ja, aber die werden sich nicht, wie die Grünen glauben, allein durch Bürokratieabbau einsparen lassen. Dafür braucht man u.a. eine Besteuerung von Millionenerbschaften. Ich bin skeptisch, ob die Grünen das wollen.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Grünen der Linkspartei das Thema Hartz IV entwenden?

Nein. Es ist ein großes Projekt, für fortschrittliche Mehrheiten und eine Regierung der sozialen Vernunft zu kämpfen. Wenn wir Gemeinsamkeiten finden, für die es auch gesellschaftliche Mehrheiten gibt, dann ist das erfreulich. Klar ist, dass die Grünen Habecks Ideen nur in einer Mitte-Links Regierung umsetzen können. Die Abschaffung von Hartz IV braucht also eine starke Linke. Sonst bleibt es bei der Debatte.

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8 Kommentare

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  • Tacheles Wuppertal – Harald Thomé – Newsletter Nr. 42



    tacheles-sozialhil...erarchiv/d/n/2435/



    Wenn schon kein BGE dann so.

    • @Frau Kirschgrün:

      SPD-Vize-Chef Ralf Stegner sagte: „Jeder, der arbeiten kann, der muss auch arbeiten.“

      Bei solchen Bildern (siehe Link unten) sollten Politiker endlich einmal anfangen sich mit dem BGE zu beschäftigen, denn die Zukunft hat schon lange begonnen, auch wenn unsere Politiker - besonders die SPD - weiterhin mit ihrer Agenda 2010 in der Vergangenheit leben möchten.

      www.youtube.com/watch?v=rVlhMGQgDkY

      Der Mensch als Arbeitskraft ist ein Auslaufmodell. Boston Dynamics ist ein Robotik-Unternehmen mit Sitz in Massachusetts, das vor allem im Bereich autonomer Laufroboter forscht und entwickelt. Es gilt als eines der am weitesten fortgeschrittenen Robotik-Unternehmen der Welt.

  • @Andreas_2020, 15.11.2018, 16:29



    Ein BGE wäre das beste. Jeder würde es erhalten und würde die Trennung von Arbeit und Bezahlung bedeuten. Ein unglaublicher Fortschritt wäre das – jeder Mensch ist es wert, ohne Existenzangst leben zu können.



    Es würde FREIHEIT bedeuten, Freiheit vom Zwang für andere mit der eigenen Arbeitskraft und kleiner Kohle den Reichtum anderer anzuhäufen.



    Möglichkeiten für ein (neuerliches) Studium, Weiter- und Fortbildung. Selbständigkeit in Bereichen, die dem einzelnen Menschen SPASS machen würden – und deswegen von Erfolg gekrönt wären. Es würde Stress abbauen, Frauen wären sofort existenziell gleichberechtigt und unabhängig, Altersarmut gäbe es nicht, die Einführung eines besseren Schulsystems wäre erleichtert. Kurz: die Macht der Herrschenden wäre gebrochen, und wenn frauman sich damit etwas intensiver beschäftigt|beschäftigen würde, wird|würde klar werden, dass niemensch Angst davor haben müsste (außer die Herrschenden)! Es wird einem nichts weggenommen.

    Finanzierung gesichert durch massive Reduzierung der Administration, durch gerechte Besteuerung der wirklich Vermögenden, von Stiftungen (z. B. LIDL, Bertelsmann, u. a.), durch Schließen von Steuerschlupflöchern, gerechter Besteuerung alle Unternehmen, die hier in D ihr Vermögen verdienen, usw.



    Dafür gibt es a u c h unabhängige Fachleute – und die heißen nicht F. Merz… .



    zu diesem Problemkreis auch mal unter



    www.nachdenkseiten.de/?p=41340



    und



    www.nachdenkseiten.de/?p=41159



    nachlesen.



    Wenn es gewollt ist, ist es auch machbar. Das muss ausdiskutiert werden, das darf nicht von vorne herein schlecht gemacht werden. Und es darf nicht allein ··von oben·· kommen, sonst ist es wieder zu klein ausgelegt und knechtet die Menschen…



    Es geht.

  • Diese Frage, was kostet es und woher soll das Geld kommen, finde ich immer sehr einengend. Denn tatsächlich gibt es auch eine große wirtschaftliche Wirkung, wenn die Menschen eben nicht auf einem Minimum sitzen, sondern auch mehr ausgeben können. Außerdem wäre eine Abschaffung ein anderes System. Es wäre dann sehr wichtig, wer welche Rechten und Pflichten hat. Die SPD kündigte Hartz IV als eine Art professionelles Dienstleistungsangebot an. Die Jobcenter sind heute an Mittwochen und Freitagen geschlossen. Die Schalter nur an drei Tagen vollständig geöffnet und daneben gibt es in den Jobcentern eigentlich keine Arbeitsplätze, um dort Bewerbungen zu schreiben.



    Wenn es zu einer großen Veränderung bei Hartz IV kommt, dann steht sehr sehr viel im Kleingedruckten und im Zweifel wird es darauf dann ankommen. Besonders die Frage, wie wird Arbeitslosen geholfen, was wird ihnen an Möglichkeiten gegeben, muss genau umrissen werden.

    Sollte Hartz IV abgeschafft und durch eine Grundsicherung ersetzt werden, könnte das auch dahin laufen, dass die Arbeitslosen zu alten Sozialhilfeempfängern werden. Ihnen wird dann nichts mehr angeboten und sie können nur mit wenig Geld rumsitzen und schauen, was passiert. Das ist vielleicht besser, als wenn die Arbeitslosen drangsaliert und unter Druck gesetzt werden, aber im Kern wäre es immer noch Mist.

    Also, was soll das denn genau werden? Wohing geht es? Was für ein Menschenbild steckt dahinter?

  • Die Abschaffung von Hartz IV braucht also eine starke Linke.



    Klar.



    Deshalb wird Frau Kipping noch gebraucht, damit Hartz 4 NICHT abgeschafft wird.

  • schön das Frau Kipping auf Habeck antworten darf. Wäre natürlich für eine Zeitung auch schön wenigstens ne dpa/afp-Meldung zum Anlass des Interviews gebracht gehabt zu haben. Für alle Interessierten darum geht es:



    www.zeit.de/politi...schaffung-hartz-iv



    www.neues-deutschl...v-ueberwinden.html

  • Ja, eine starke Linke braucht es dafür. Und eine Höhe von 1.050 € sanktionsfrei würde sehr viel beruflich begründete Aktivität bei den AlG2-Beziehern auslösen, denn dann gäbe es den notwendigen Spielraum für sinnvolle (Stichwort: Bewerbungstraining), freiwillige und m o t i v i e r t e Veränderung der Umstände.



    Ein Stück Freiheit und Gleichheit, wofür es hoffentlich noch nicht zu spät ist, denn über Jahre von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein, stumpft den Menschen ab, lässt ihn resignieren und macht ihn apatisch.



    Bleibt zu hoffen, dass sich in dieser Richtung endlich Mehrheiten finden lassen. Aber das müsste auch für die Menschen in Altersarmut (Grundsicherung) Anwendung finden.

  • So kann man das durchaus sehen. Mit einer Linken, wie der von Kipping ist eine Zusammenarbeit der Grünen sicher möglich. Mit der Linken von Wagenknecht kann ich mir das nicht vorstellen.