Katar, Corona und der Fußball: Steilpass ins Gewissen
Im deutschen Fußball häufen sich die Moraldebatten. Um einige kann er sich nicht drücken – doch manche drohen, überfrachtet zu werden.
D ieser Spieltag hätte gar nicht stattfinden sollen. Höchste Zeit sei es angesichts der aktuellen Pandemielage, dass die Deutsche Fußball-Liga den Spielbetrieb unterbreche, findet Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist der Meinung, Fußballprofis sollen sich „gefälligst impfen lassen“, weil sie Vorbilder seien, und sprach sich für die Impfpflicht dieser Berufsgruppe aus. Diese Ansicht würden auch seine Kollegen aus den anderen Bundesländern teilen, sagte er.
Beispiel FC Bayern: Über die sportliche Entwicklung des Vereins wird seit Wochen kaum geredet. Erst wurde vielmehr hitzig über die Erklärungen von Joshua Kimmich, warum er nicht geimpft ist, diskutiert, nun überschattete die erboste Katardebatte auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern die Partie gegen Bielefeld.
Der Fußball dient mehr denn je als Forum für moralische Debatten. FC Bayern-Präsident Herbert Hainer schien der Unmut der Mitglieder sichtlich zu überfordern. Wäre ich noch Vorstandsvorsitzender von der Adidas AG, mag er sich gedacht haben, hätte ich derlei Probleme nicht. Der Sportartikelhersteller wirbt für die WM 2022 in Katar, ohne deshalb am öffentlichen Pranger zu stehen. Auch die Geschäfte von VW, Siemens oder der Deutschen Bank mit dem Emirat sowie die Waffenexporte der deutschen Bundesregierung dorthin werden bei Weitem weniger skandalisiert.
Wird der Fußball mit moralischen Erwartungen überfrachtet? Man muss differenzieren. Die Empörung der Mitglieder des FC Bayern diese Woche entzündete sich nicht am Sponsoring aus Katar. Das Problem ist vielmehr, dass der Verein seit Jahren versucht, einer Auseinandersetzung mit seinen Geschäftspraktiken aus dem Weg zu gehen.
Großes wird kleingehalten
Runde Tische wurden immer nur versprochen. Wenn sie von den Mitgliedern oder Fans organisiert wurden, blieben die für die Vereinsvorsitzenden reservierten Plätze leer. Auf der Jahreshauptversammlung versuchte der Verein mithilfe von Satzung, Statuten und Gerichtsbeschlüssen einer Befassung mit den eigenen Geschäften aus dem Weg zu gehen. Das große Thema soll kleingehalten werden.
Bei den Coronadebatten drängt sich wiederum der Eindruck auf, dass Kleinteiliges groß gemacht werden soll. Es ist schon schwer nachvollziehbar, warum in Deutschland sich die Impfpflichtdebatte für Berufsgruppen neben den Pflegeberufen ausschließlich auf Fußballprofis kapriziert, die im Übrigen eine überdurchschnittliche Impfquote von mehr als 90 Prozent aufweisen. Gewiss gibt es eine Vorbildfunktion in dieser Gesellschaft, aber gilt diese explizit nur für die Berufsgruppe der Fußballer? Und hilft es der Steigerung der Impfquote, wenn man Joshua Kimmich als einen Repräsentanten von über 15 Millionen nicht geimpften Deutschen für seine Äußerungen brandmarkt, mag man diese und sein Verhalten für noch so falsch und unverantwortlich halten?
Der Applaus und die Aufmerksamkeit, die man dafür erhält, sind billig. Dass viele Politiker:innen sich daran beteiligen, verwundert nicht, lenkt es auch vom eigenen Versagen ab. Ein voll besetztes Stadion in Köln wäre ebenso wie die momentane Coronalage durch politisches Handeln zu verhindern gewesen.
Der Fußball kann sich zu Recht schon lange nicht mehr moralischen Debatten entziehen. In Verbindung mit den 82 Millionen Bundestrainer:innen hierzulande, die nun nicht nur über die Belange auf dem Rasen mitreden wollen, wird die Welt des Fußballs schnell auch zu einer uferlosen Spielwiese, um moralische Fragen jeglicher Art exemplarisch zu diskutieren. Die Verantwortlichen in den Verbänden und Vereinen können sich kaum darüber beschweren. Sie haben über viele Jahre fleißig an der übersteigerten Bedeutung des Fußballs, die sie nun mitunter erdrückt, mitgewirkt.
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