Kataloniens Unabhängigkeitsbewegung: Zwischen Paranoia und Ratlosigkeit
Die Unabhängigkeitsbefürworter sind paralysiert. Die Vertreter in Brüssel haben nichts zu tun, in Barcelona ist man gespalten.
Die Vertretung in Brüssel ist als einzige offen geblieben. Tätigkeit entfaltet sie aber nicht. Sie kann nur auf Anweisung des spanischen Außenministeriums etwas tun – aber es gibt keine Anweisungen, etwas zu tun. Bei einem Treffen der Regionen und Städte der EU im Dezember blieb somit der katalanische Stuhl leer, obwohl die EU Katalonien eingeladen hatte.
Nur eine Anweisung aus Madrid gibt es: die zur Schließung „bis auf Weiteres“. Alle zwölf Angestellten wurden zum 24. Januar nach Spanien zurückbeordert. Madrid wollte vermeiden, dass sich der neue katalanische Parlamentspräsident Roger Torrent in der Brüsseler Vertretung mit dem exilierten Exregierungschef Carles Puigdemont trifft, den Spanien mit Haftbefehl sucht.
Die Angestellten gingen aber nicht zurück. Sie arbeiten weiter, im Leerlauf tun sie irgendwas, schweigsam, mit finsteren Gesichtern – und mit Angst. „Wir sind überzeugt, dass Madrid diese Büros abhört und dass unsere Handys und Mailadressen überwacht werden“, heißt es.
251 Staatsbedienste ohne Job
Nach einer Übersicht der Bürgergruppe „ServidorsCAT“, die der taz vorliegt, haben 251 katalanische Staatsbedienstete seit Aufhebung der Autonomie ihre Jobs verloren, 10 sind in Haft. 24 Behörden wurden aufgelöst, 16 amtlich geschlossen. 100 Gesetzesvorhaben sind suspendiert, 9 Subventionsvorhaben wurden gestoppt.
Unterdessen hat sich am Donnerstag der ehemalige katalanische Vizeregierungschef und Spitzenkandidat der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), Oriol Junqueras, aus dem Gefängnis zu Wort gemeldet. Er schlägt vor, eine „symbolische Präsidentschaft“ mit einer „effektiven“ zu kombinieren: Ein unbelasteter Politiker wird Regierungschef, Puigdemont bleibt „legitimer Präsident im Exil“.
Vertreter Kataloniens in Brüssel
Der Vorstoß macht klar: Das Unabhängigkeitslager ist gespalten. Denn Puigdemonts „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCAT) hält weiterhin an der Amtseinführung ihres Spitzenkandidaten fest. Die ERC, der auch der neue Parlamentspräsident Torres angehört, spricht demgegenüber davon, „Puigdemont zu opfern“, um zu einer handlungsfähigen katalanischen Regierung zu kommen.
Am Dienstagabend sah es so aus, als habe Puigdemont aufgegeben. „Das hier ist vorbei. Sie haben uns geopfert“, textete er am Dienstagabend nach der Vertagung seiner möglichen Wahl durch das katalanische Parlament auf unbestimmte Zeit. Ein Privatsender machte die Nachricht öffentlich.
„Die letzten Tage der katalanischen Republik“
Kameraleute hätten das Handy fotografiert, als der Adressat – Puigdemonts ehemaliger Gesundheitsminister Toni Comín – die Nachricht las, so der Sender. „Der Plan der Moncloa“ – Spaniens Regierungspalast – „hat funktioniert. Das sind die letzten Tage der katalanischen Republik“, schrieb Puigdemont demnach weiter.
Nach der Veröffentlichung meldete sich Puigdemont per Twitter zu Wort. „Ich bin auch nur ein Mensch und es gibt Zeiten, an denen auch ich zweifle“, entschuldigte er sich. „Aber ich bin auch der Präsident, und ich werde nicht zurückweichen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett