Katalanen demonstrieren in Madrid: Zehntausende für Selbstbestimmung
Erstmals findet in der spanischen Hauptstadt eine Demo für die Unabhängigkeit Kataloniens statt. Die Veranstalter melden 120.000 Teilnehmer.
„Dieses Verfahren ist eine Farce“, skandierten sie und brachten damit ihren Ärger über die laufende Gerichtsverhandlung gegen zwölf Politiker und Aktivisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung vor dem Obersten Gerichtshof zum Ausdruck. Den Angeklagten wird „Rebellion“, „Aufstand“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ vorgeworfen. Die Beschuldigungen stehen in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017, das die spanische Regierung verboten hatte. Den Politikern und Aktivisten drohen bis zu 25 Jahre Haft.
Den Demonstrationszug am Samstagabend führten Politiker und Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung an, darunter der katalanische Regierungschef Quim Torra. Mit dabei waren auch Angehörige der Angeklagten sowie von sieben Politikern, die im Ausland leben, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Die Veranstalter sprachen von 120.000 Teilnehmern, die Regierungsbehörden von nur 18.000. Angesichts der über 500 Busse und 15 Sonderzüge, die aus Katalonien angereist waren, ist die zweite Zahl wohl zu tief gegriffen.
„Ein paar junge Typen wollten uns schlagen“
Viele organisierten die Reise auch selbst. „Wir sind im eigenen Auto gekommen“, erzählt Gloria Fernández, eine 51-jährige Lehrerin, die mit ihrem Mann, Bruder und zwei Freunden aus Girona angereist ist. Die kleine Gruppe trägt eine Fahne des örtlichen Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR), eine der Gruppen, die in den vergangenen Monaten immer wieder durch Straßenblockaden auf sich aufmerksam machten. „Es geht uns darum, unsere Bewegung auch hier im restlichen Spanien sichtbar zu machen“, sagt Fernández.
„Die Menschen in Madrid verstehen uns nicht“, sagt Fernández' Bruder Jaume. In den Kneipen würden sie verständnislos Blicke angeschaut, berichtet der 53-jährige Bauunternehmer. „Ein paar junge Typen wollten uns sogar schlagen“, fügt er hinzu, „dabei respektieren wir Spanien, wir wollen nur selbstständig sein.“ Beide Großväter kämen aus Spanien, einer aus aus Algeciras, der andere aus Toledo. „Der war übrigens bei der Guardia Civil“, sagt Gloria. Die paramilitärische Polizei ist in Katalonien besonders unbeliebt, seit sie, wie auch die Nationalpolizei, beim Unabhängigkeitsreferendum gewaltsam in Wahllokale eindrang.
„Unabhängigkeit, Unabhängigkeit“, stimmen die Fünf schließlich an und reihen sich in den Demonstrationszug ein. Tausende katalanische Unabhängigkeitsfahnen wehen im Wind. Die meisten Demonstranten tragen gelbe Bänder oder gelbe Kleidung. Es ist die Farbe der Solidarität mit jenen, die seit mehr als einem Jahr in Haft sitzen oder im Ausland Schutz gesucht haben. Der Wunsch nach „Freiheit für die politischen Gefangenen“ ist auf Transparenten zu lesen. Plötzlich fangen einige Demonstranten an zu rufen: „Wir sind gekommen, um uns zu verabschieden.“ Tausende schließen sich dem Protestruf an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen