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Kaschmir-KonfliktAggression auf beiden Seiten

Der Konflikt um Kaschmir eskaliert. In Islamabad macht man sich auf Schlimmstes gefasst. Pakistan soll mehrere Ziele in Indien angegriffen haben.

Zerstörtes Gebäude nach einem indischen Raketenangriff nahe Bahawalpur in der Provinz Punjab, Pakistan Foto: Faisal Kareem/epa-efe

Pakistanis Hauptstadt Islamabad ist in Alarmbereitschaft: Bildungseinrichtungen sind teilweise geschlossen, der Luftraum ist gesperrt, das Internet ist unterbrochen, kommerzielle Aktivitäten sind eingeschränkt und Krankenhäuser haben Routinetermine abgesagt, um für Notfälle vorbereitet zu sein. Nachts wurde die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet. Behörden raten Bürgern zu Wachsamkeit und zum Verzicht auf unnötige Reisen. Das Militär gab am Donnerstag an, 25 indische Drohnen über Städten wie Rawalpindi, Sialkot, Gujranwala, Lahore und Karatschi abgeschossen zu haben.

Nach Indiens Raketenangriffen in der Nacht trat Pakistans Nationalversammlung am Mittwoch zu einer Sondersitzung zusammen. Beschlossen wurde, auf jede Aggression Indiens zu reagieren. Der Armeechef bekam die Erlaubnis, über jegliche militärische Handlung eigenmächtig zu entscheiden.

Pakistan und Indien haben seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1947 eine lange Geschichte von Konflikten und Spannungen. Die jüngste Eskalation begann in Pahalgam im indisch verwalteten Teil Kaschmirs am vergangenen 22. April. 26 indische Touristen wurden bei einem Terroranschlag getötet, zu dem sich die Gruppe „The Resistance Front“ bekannte. Sie ist nach Ansicht Indiens mit der pakistanischen Terrorgruppe Jaish-e-Taiba verbunden. Indien macht Pakistan für die Unterstützung dieser Gruppe verantwortlich. Pakistan bestreitet jegliche Beteiligung und fordert eine internationale Untersuchung.

Nach dem Anschlag startete Indien Mittwoch früh die „Operation Sindoor“, die sich zunächst gegen neun Ziele im von Pakistan verwalteten Teil Kaschmirs und in Punjab richtete. Laut indischer Regierung wurde keine Militäreinrichtungen angegriffen, sondern „terroristische Infrastrukturen“ im Zusammenhang mit bisherigen oder geplanten Aktionen im indischen Teil Kaschmirs.

Eines der Ziele waren die Koranschule samt Moschee in Bahawalpur, die Maulana Masood Azhar Alvi gehört. Er ist Gründer der Gruppe Jaish-e-Mohammad und wird von Indien gesucht. Indien wirft ihm vor, an terroristischen Anschlägen beteiligt gewesen zu sein, darunter auf Indiens Parlament in Neu-Delhi 2001, in Mumbai 2008, in Pathankot 2016 und in Pulwama 2019.

Maulana Masoods Koranschule hat zwei Standorte. Anwohner berichteten, beide Gebäude seien in Erwartung eines möglichen Angriffs vor über einer Woche evakuiert worden. Obwohl die indische Rakete große Schäden an Schule und Moschee verursachte, waren alle Opfer benachbarte Zivilisten, darunter Familienangehörige von Maulana Masood. Laut Krankenhaus von Bahawalpur starben sechs Menschen, darunter ein Mädchen und ein Junge. 42 Personen wurden verletzt. Bei den indischen Raketenangriffen in der Nacht zu Mittwoch wurden insgesamt 26 Menschen getötet, 35 verletzt.

Pakistan verurteilte die Angriffe als „Kriegshandlung“ und kündigte eine „angemessene Antwort“ an. Später hieß es, Pakistan habe mehrere militärische Ziele auf indischem Territorium angegriffen und fünf indische Kampfjets abgeschossen und zunächst eine Drohne.

Pakistan wirft Indien vor, bewaffnete Separatisten in Belutschistan zu unterstützen, was Delhi zurückweist. Am 11. März erlebte Pakistan einen der schlimmsten Terroranschläge, als die Befreiungsarmee von Belutschistan (BLA) einen Zug mit 500 Passagieren entführte. Pakistans Vorwürfe beruhen auf Aussagen von Kulbhushan Sudhir Jadhav, einem 2016 von Pakistan festgenommenen Inder. Pakistan behauptet, Jadhav habe gestanden, als indischer Marineoffizier mit Spionage- und Sabotageaufgaben in Pakistan betraut gewesen zu sein. Laut Indien wurde Jadhav hingegen aus dem Iran entführt und sein Geständnis gewaltsam erpresst.

Die Herausforderungen durch militante Gruppen in Belutschistan und in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze machen für Pakistans einen Krieg mit Indien schwierig. Ein Mehrfrontenkrieg könnte das Militär überfordern und militanten und separatistischen Gruppen ermöglichen, ihren Einfluss auszubauen.

In den sozialen Medien bezeichnen manche Pakistaner die Eskalation als Routine und sprechen von einem „gemeinsamen Stunt“ beider Regierungen. Der würde Indiens Premier Narendra Modi helfen, bevorstehende Wahlen in Bihar zu gewinnen und sich für eine weitere Amtszeit als Premier zu positionieren. Und in Pakistan könnte das Militär und die regierende Muslimliga (PML-N) Sympathien zurückgewinnen, die sie nach der Entmachtung Imran Khans und den mutmaßlichen Wahlmanipulationen 2024 verloren hatten.

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1 Kommentar

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  • Auch ein gemeinsamer Stunt kann im Genickbruch enden, nicht nur für die Stuntman.