piwik no script img

Karliczek über Schule in Corona-Zeiten„Eltern können viel bewirken“

Unzufrieden mit Schule in Corona-Zeiten? Eltern sollen vor Ort für die Rechte ihrer Kinder kämpfen, empfiehlt Bildungsministerin Anja Karliczek, CDU.

Anja Karliczek begrüßt die Aussicht: Nach den Sommerferien sollen alle Schulen regulär öffnen Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz
Heike Haarhoff
Anna Lehmann
Interview von Heike Haarhoff und Anna Lehmann

taz: Frau Karliczek, nach den Sommerferien wollen alle Bundesländer die Schulen wieder für den regulären Betrieb öffnen? Wie finden Sie das?

Anja Karliczek: Es ist gut, dass die Bundesländer spätestens nach den Sommerferien in den Schulen zum Regelbetrieb zurückkehren wollen – auf der Grundlage von Schutz- und Hygienekonzepten. Damit bekommen die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern, denen in den vergangenen Wochen viel zugemutet wurde, nun eine gewisse Planungssicherheit.

Gehen die Länder nicht zu forsch vor?

Derzeit erlaubt es die Infektionslage sicher, dies in Aussicht zu stellen. Wir müssen uns allerdings auch bewusst sein, dass steigende Infektionszahlen und lokale Infektionsausbrüche Schulöffnungen immer wieder im Einzelfall oder gar in Regionen infrage stellen werden.

Vor einigen Wochen noch haben Sie gemahnt, eine Rückkehr zum Regelbetrieb sei nicht realistisch.

Ich habe immer darauf hingewiesen, dass wir noch mitten in der Pandemie sind und vorsichtig sein müssen. Wir wissen mittlerweile durch neue Studien mehr über das Infektionsgeschehen bei Kindern und Jugendlichen. Das erleichtert die Entscheidungen. Aber eines ist klar: Wir müssen auch bei geöffneten Schulen die Kontrolle behalten können.

Wie soll das gehen, wenn die Mindestabstände nicht mehr gelten?

Es gibt einige Hebel, das Infektionsrisiko im Griff zu behalten. Man kann die Pausen entzerren oder Präsenz- und Onlineunterricht mischen. Es muss vor allem sichergestellt werden, dass Infektionen zurückverfolgt werden können.

Steht hinter der Rückkehr zum Regelbetrieb nicht einfach das Eingeständnis, dass es zu wenig Personal und zu wenig Räume gibt? Eine LehrerIn kann eben nicht gleichzeitig zwei Klassen betreuen und nebenbei Videounterricht geben.

Es gibt wirklich tolle Ansätze und Schulen, die es hingekriegt haben, beides anzubieten: das Lernen in der Schule und den digitalen Unterricht zu Hause. Eine Möglichkeit, zusätzliche Räume zu schaffen, ist, vor Ort Container aufzustellen, wie es übergangsweise auch früher bereits praktiziert wurde.

Das löst nicht das Personalproblem. Schon vor der Corona-Krise gab es einen Mangel an Lehrerinnen und Lehrern, der sich jetzt verschärft. Wann wollen Sie endlich gegensteuern?

Das eine ist die Frage, was zu tun ist, um mehr junge Leute für diesen Beruf zu begeistern und damit dem Mangel langfristig entgegenzuwirken. Kurzfristig kann man Personalkapazitäten vielleicht auch aufstocken, indem man Interessierte aus der außerschulischen Bildung oder auch Lehramtsstudierende gewinnt.

Unser Eindruck ist: Jede Schule wurschtelt vor sich hin. Müssen Sie als Bundesbildungsministerin nicht spätestens jetzt eine Marschrichtung vorgeben und sagen, wohin wir wollen – und wie wir kontrollieren, ob es umgesetzt wird?

Unser Grundgesetz weist die Zuständigkeit für die Schulen allein den Ländern zu. Als Bundesbildungsministerin kann ich deshalb nur Vorschläge machen und das habe ich getan. Ich habe mich dabei immer dafür ausgesprochen, die Einzelheiten der Unterrichtsgestaltung am besten in den Schulen zu regeln. In jeder Schule sind die räumlichen Möglichkeiten verschieden und die Lehrerkollegien anders zusammengesetzt. Auch die Länder werden den Schulen nicht einfach sagen können: Macht das bitte mal so und so, und dann klappt das schon.

Nehmen Sie die Gesundheitsämter. Die sind auch vor Ort zuständig und tragen die Verantwortung für den Infektionsschutz. Aber es gibt auch noch einen Bundesgesundheitsminister, der auf die Pauke haut. Warum gelingt Ihnen das nicht?

Die Frage der Öffnung der Schulen ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Die Rückkehr zu einem verlässlichen Unterricht mit Vorsicht, also mein Punkt, ist jetzt die allgemeine Linie. Die Situation für die Familien mit Kindern war sehr schwierig. Die Forderung, die Schulen möglichst sofort und vollständig wieder zu öffnen, war nur allzu verständlich. Die Umsetzung geschieht an den Schulen. Da können sich auch die Eltern äußern. Unter den Eltern gibt aber auch nicht wenige, die Angst vor einer Ansteckung haben.

Sie wollen den Eltern die Verantwortung dafür übertragen, dass das Recht ihrer Kinder auf täglichen Unterricht durchgesetzt wird?

Nein, verantwortlich sind der Träger und die Schulleitung. Sie müssen gemeinsam ein Konzept entwickeln. Aber natürlich sollten sich auch die Eltern einbringen, wenn es ihrer Meinung nach nicht gut läuft. Dafür gibt es Schulkonferenzen. Wir haben gezeigt, dass wir als Gesellschaft in Krisen viel leisten können. Das war in der Flüchtlingskrise so, und jetzt in der Coronakrise. Und auch in den Schulen können Lehrer, Eltern und Kinder gemeinsam viel bewirken.

Im Konjunkturpaket sind 2 Milliarden Euro für Schulen und 1 Milliarde für die Kitas enthalten. Bei 130 Milliarden insgesamt ist das ziemlich mager. Warum haben Sie nicht härter gekämpft?

Der Bund investiert in die Schulen wie noch nie, obwohl er für die Schulpolitik nicht zuständig ist. Das zeigt sich auch beim Thema Ganztagsausbau. Bund und Länder sind sich einig, jetzt die Voraussetzungen für einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und ihre Finanzierung – einschließlich der Betriebskosten – zu klären. Der Bund wird sich nach den zusagten 2 Milliarden Euro mit noch einmal 1,5 Milliarden Euro engagieren …

… um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder bis zum zehnten Lebensjahr zu sichern. So ist es im Koalitionsvertrag vereinbart. Wäre in der Krise nicht die Gelegenheit gewesen, groß zu denken und tatsächlich in den Bildungsbereich zu investieren?

Wir investieren große Summen, die aber abfließen müssen. Man sollte in der Koalition auch nur das fordern, was ich sinnvollerweise auch ausgeben kann. Genau das haben wir getan.

Wo ist der Fehler? Sie haben zu viel Geld, das nicht ausgegeben wird. In den Schulen aber gibt es kein WLAN, der Putz bröckelt und die Toiletten sind kaputt.

Wir haben überall Engpässe bei der Umsetzung von Maßnahmen und leider auch im Schulbereich.

Das liegt wieder einmal an den Ländern?

Auch dort, aber zum Teil auch vor Ort. Es gibt in den Kommunen zu wenig Planungskapazitäten. Wenn alle Planungsbüros ausgelastet sind, lässt sich der Neubau einer Schule leider nicht zügig umsetzen. Ich bedaure dies sehr. Ich finde, gerade Schulen müssten Priorität haben.

Die 5 Milliarden aus dem Digitalpakt sind größtenteils noch nicht ausgegeben. Woran liegt das?

Die Schulen beziehungsweise die Schulträger bekommen eben erst Geld, wenn sie ein Digitalkonzept vorgelegt haben und die Weiterbildung der Lehrer gesichert ist. Manche Bundesländer haben vorgearbeitet und vorausschauend Förderrichtlinien erlassen. Manche Länder hatten schon zu Jahresbeginn recht viele Mittel eingesetzt – insbesondere Hamburg und Bremen.

Die Länder bekommen aus dem Digitalpakt Geld für Hard- und Software. Für Weiterbildungsmaßnahmen der Lehrerinnen und Lehrer jedoch nicht, das müssen sie selbst organisieren. Müsste der Bund nicht gerade jetzt verstärkt in die Fortbildung investieren, damit alle Lehrkräfte in der Lage sind, digitalen Unterricht anzubieten?

Wir haben festgelegt, dass es Geld aus dem Digitalpakt erst gibt, wenn die Länder die Weiterbildung der Lehrer gesichert haben. Die Ministerpräsidenten haben in der gemeinsamen Besprechung mit der Bundeskanzlerin am letzten Donnerstag bekräftigt, dass sie die digitale Weiterbildung der Lehrkräfte verstärken werden. Der Dreh- und Angelpunkt, damit die Digitalisierung funktioniert, ist das Lehrerkollegium. Es geht nicht allein um die Geräte. Sondern es geht darum, die Infrastruktur pädagogisch nutzbringend einzusetzen. Und das geht nur mit gut ausgebildeten Lehrinnen und Lehrern.

Viele Lehrerkräfte gelten nicht als besonders technikaffin. Vor der Coronakrise hat gerade mal ein Drittel Laptops oder Smartboards im Unterricht genutzt. Auch in der Krise hat manche Lehrerin noch nicht mal einen Laptop. Warum tun sich viele schwer damit?

Das ist doch überall so. Oft wird an den bewährten Strukturen und Arbeitsweisen festgehalten, ohne dass man merkt, dass dies ein wenig überholt ist. Veränderung ist oft anstrengend. Ich glaube aber, dass durch diese Krise ganz viel Bewegung entstanden ist. Es kann sein, dass auch in Zukunft Schulen immer wieder geschlossen werden müssen, weil es neue Infektionen gibt. Sehr viele Schulen werden dann aber schon in der Lage sein, besseren Digitalunterricht anzubieten.

Sollten Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer in digitalen Methoden nicht verpflichtend sein – und auch viel stärker in die Ausbildung integriert werden?

Lehrer aus- und fortzubilden, ist Sache der Bundesländer. Wir unterstützen sie mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung und haben einen Schwerpunkt auf digitale Bildung gelegt. Was mich aber bewegt, ist, wie wir es hinkriegen, dass eine Motivationskultur entsteht. Druck wird wenig bewirken. Alle für Schule Verantwortlichen sollten stattdessen die guten Beispiele in den Mittelpunkt stellen und fleißig loben. Dann fühlen sich auch die angesprochen, die skeptisch sind.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Frau Ministerin scheint mir schon etwas zu lange im Elfenbeinturm verweilt zu haben. Oder sie gibt ihre Statements einzig aus Sicht der bildungsNAHEN Haushalte ab. Im Übrigen klingen die Antworten immer nach dem gleichen Wort: „N E O L I B E R A L I S M U S“ = Du/Ihr Eltern bist/seid selbst schuld, wenn Eure Kinder ungebildet und blöd bleiben! Strengt Euch halt mehr an ihr blödes Pack!



    Bildungsauftrag des Staates  Fehlanzeige!



    Bildungs- & soziale Unterschiede in unserer Bevölkerung gibt es nicht. Die Alleinerziehenden sollen sich eben mehr anstrengen und „engagieren“.



    Wer angesichts des Corona-Krisenmanagements nicht einsieht, dass unser (FÖDERALER!) Staat in Sachen Schule/Bildung ein Totalausfall war, der sieht offenbar einen anderen „Film“.

    😉

  • Haha, die Ministerin spricht nicht für mich. Kein Abstand keine Masken in der Grundschule. Auch viele andere Eltern finden das Scheisse, die Lehrer erst recht. Statt dass man vormittags eine und nachmittags die andere Hälfte der Schüler unterrichtet damit wenigstens etwas Abstand möglich ist, alle zusammen. Ist billiger.



    Eine Woche Intensivstation kommt auf ca. 50.000 Euro. Oder mehr. Kannste dann schon einen weiteren Lehrer für bezahlen. Müsste man Geld in die Hand nehmen. Doch nein, lieber über die Krankenkassenbeiträge das Einknicken vor ein paar leichtsinnigen Idioten, die weniger als 20 Prozent der Meinung bzgl Maßnahmen wiedergeben, gegenfinanzieren lassen. Damit die Prolls ihre Hygienedemos sein lassen und die Innenstädte nicht am Wochenende zerlegen, einmal die alten, einmal die jungen. Da kriege ich einen Hals. Mit ordentlich Polizeieinsatz und weniger Deeskalationskuscheln kann man die Kontrolle auch so behalten.



    Und das wäre ja nicht für ewig: die Medizin und Wissenschaft macht schnelle Fortschritte (braucht ja nicht alles bis Impfstoff warten, es gibt auch Medikamente in der Entwicklung. Die ungute Allianz aus Nachgiebigkeit und Unwissen wird uns, so die Planung, vorher aber noch eine vermeidbare zweite Welle aufdeuen.

  • Eltern sollen kämpfen? Weil die Ministerin nicht in der Lage ist vernünftige Gesetze durchzusetzen? Eine Schande für die Politik! Mit der Dezentralisierung der Verantwortung für die Corona-Epidemie hat Deutschland den Vorteil im Umgang mit der Epidemie aufgegeben. Jetzt schlagen regionale wirtschaftliche Interessen durch. Und natürlich haben wir das Problem mit unseren Beamten. Besonders den verbeamteten Lehrern! Die dem Staat in Notfällen helfen sollten. Aber heute anders als Ärzte und Kassiererinnen sich nicht einer Infektion aussetzen wollen und lieber zuhause bleiben. Sich aber dort nicht mal mit diesem "Computer.Zeugs" weiterbilden wollen und deshalb unfähig sind ihre Schüler per Home-Schooling zu betreuen.

    • 9G
      93849 (Profil gelöscht)
      @Gerdi Franke:

      Schön, dass gleich der erste Kommentar vor populistischen Aussagen strotzt und zeigt, dass Sie keine Ahnung von der Realität haben. Setzen. Sechs.