Karikatur bei „Charlie Hebdo“: Das öffentliche Ärgernis
Mit einer Karikatur über den toten Flüchtlingsjungen Aylan und die Ereignisse in Köln zieht „Charlie Hebdo“ Unmut auf sich.
![Karikatur in „Charlie Hebdo" Karikatur in „Charlie Hebdo"](https://taz.de/picture/927602/14/charliehebdokarikatur14012016_screenshot.jpeg)
Das belegt auch die neueste Kontroverse, ein Jahr nach dem Attentat und nach einer Gedenk-Ausgabe. Charlie-Chef Riss befasst sich im aktuellen Heft mit den sexuellen Übergriffen der Kölner Silvesternacht. „Was wäre aus dem kleine Aylan geworden, wenn er groß geworden wäre? Ein Arschgrapscher in Deutschland?“, fragt er mit einer Zeichnung, auf der zwei Männer abgebildet sind, die lüstern die Hand nach fliehenden Frauen ausstrecken. Aylan war der kleine Junge, der im vergangenen Jahr tot am Strand der türkischen Küste gefunden wurde. Die Bilder gingen um die Welt. Sie wurden zum Sinnbild der Flüchtlingskrise.
Diese Karikatur ist so unerfreulich wie die Vorkommnisse, auf die Riss anspielt. Auseinandersetzen müssen wir uns mit diesen aber ohnehin. Es gehört zum Wesen der Karikatur, dass sie mit einer grotesken Verzerrung Anlass gibt nachzudenken – oder zu lachen.
Amüsant ist in diesem Fall allerdings gar nichts. Bedenklich ist, was in Köln passiert ist und wie Medien und Politiker damit umgehen. Selbstverständlich war es die Absicht von Zeichner Riss, gerade die Instrumentalisierung dieser sexuellen Aggressionen durch Rassisten anzuprangern. Über die Art und Weise, wie er das macht, kann man sich streiten. Auch und ganz besonders darüber, eine Verbindung mit der Flüchtlingstragödie von Aylan herzustellen.
Zynisch den Tod behandeln
Es ist nicht das erste Mal, dass Riss in sehr zynischer Art den Tod des kleinen Aylan behandelt. Bereits im September hatte eine solche Zeichnung von ihm eine Debatte über die Grenzen des guten Geschmacks ausgelöst. Die Reaktionen jetzt sind ebenso heftig. Viele werfen dem Zeichner vor, mit der Karikatur zu sexuellen Übergriffen von Migranten reaktionär und fremdenfeindlich zu sein.
Bereits bedauern auf Twitter einige ihre Solidarität nach dem islamistischen Anschlag vor gut einem Jahr. Sie mögen nicht mehr sagen „Ich bin Charlie“.
Der Philosoph Raphael Enthoven entgegnete dazu: „Je suis Charlie heißt nicht, dass ich mit allen Zeichnungen einverstanden bin, sondern dass (mit dem Attentat) auch meine Freiheit angegriffen wurde. Was gezeichnet wird, spielt keine Rolle, solange ich es toleriere.“
Die Freiheit der Meinungsäußerung gilt ja nicht bloß für Meinungen, die man selbst teilt, sondern auch für diejenigen, die einen ärgern. Charlie ist in dieser Hinsicht also ein öffentliches Ärgernis von allgemeinem Interesse.
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