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Kanzlerkandidatur bei der SPDIm Pott ist für Olaf Scholz einiges im Argen

Im mächtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen stehen nicht alle hinter dem Kanzler. An der Basis ist die Stimmung gespalten.

Anschauen können sie sich noch: Boris Pistorius (links) und Olaf Scholz im September Foto: Christian Charisius/dpa

Essen taz | Im größten und einflussreichsten SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen wächst der Widerstand gegen eine erneute Spitzenkandidatur von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Wenn Sie in der SPD die Mitglieder befragen würden, wären 80 Prozent für Verteidigungsminister Boris Pistorius“, sagte Serdar Yüksel, Chef des SPD-Unterbezirks Bochum, dem Stern. Parteikreise berichten von deutlichem Rumoren in der 56-köpfigen Düsseldorfer Landtagsfraktion – öffentlich wagte sich dort zuletzt aber noch niemand aus der Deckung.

Scholz trage Verantwortung für die gesamte Partei, mahnte Yüksel, dessen Kandidatur für den nächsten Bundestag als gesetzt gilt. Es gehe um „die Frage, ob die SPD überlebt“. Auch der aus NRW stammende Ex-Bundesparteichef Franz Müntefering erklärte, Scholz habe kein natürliches Vorrecht auf eine Kanzlerkandidatur. Ein SPD-Parteitag solle stattdessen die Entscheidung treffen, forderte der einstige Vizekanzler. „Selbstverständlich sind Gegenkandidaturen in der eigenen Partei grundsätzlich möglich und kein Zeichen von Ratlosigkeit. Sie sind praktizierte Demokratie“, so Müntefering gegenüber dem Tagesspiegel.

Während die SPD bei Umfragen zwischen 15 und 16 Prozent herumdümpelt, gilt Pistorius als mit Abstand beliebtester Politiker Deutschlands. Könnten die Bür­ge­r:in­nen den Kanzler direkt wählen, würden sich 39 Prozent für ihn, aber nur 32 Prozent für CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz entscheiden, so das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Umfrage. Scholz wollen dagegen nur 16 Prozent weiter im Amt sehen.

Schon in der vergangenen Woche hatten sich Sozialdemokraten wie der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Rüdiger Erben, für Pistorius ausgesprochen. Auch im Seeheimer Kreis der konservativeren SPD-Bundestagsabgeordneten seien die Pistorius-Unterstützer mittlerweile in der Mehrheit, berichtete der Spiegel. Demnach habe der Abgeordnete Joe Weingarten aus Rheinland-Pfalz sogar vor einem „Desaster“ gewarnt, sollte Scholz Spitzenkandidat bleiben.

Die Co-Vorsitzende der SPD in NRW gibt sich uneindeutig

Aus dem nordrhein-westfälischen SPD-Landesvorstand hieß es dazu, die von Bochums Parteichef Yüksel geschilderte Ablehnung von Scholz durch die Parteibasis sei richtig wiedergegeben – und werde dem Kanzler so auch kommuniziert. Kein Thema sollte die Spitzenkandidatur dagegen bei einer „Dialogveranstaltung“ in der Ruhrgebietsmetropole Essen sein, bei der führende Ge­nos­s:in­nen mit ihrer Basis, aber auch mit Nichtmitgliedern ins Gespräch kommen wollten: Wie zuvor schon die Co-Bundesvorsitzende Saskia Esken und Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich stärkten dort Bundesparteichef Lars Klingbeil und Generalsekretär Matthias Miersch Scholz noch einmal demonstrativ den Rücken.

„Olaf Scholz ist der Kanzler – und alle, die in der SPD Verantwortung tragen, haben in den letzten Tagen auch deutlich gemacht, dass wir hinter ihm stehen“, erklärte Klingbeil. „Sie können mir die Frage 3.000 Mal stellen“, sagte auch Miersch: „Ich bin sicher, dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat der SPD wird.“

Weniger eindeutig äußerte sich die Co-Vorsitzende der SPD in NRW, Sarah Philipp: „Die Partei bereitet sich auf einen kurzen, komprimierten Wahlkampf vor“, sagte Philipp der taz. „Dass mit Scholz und Pistorius gleich zwei Kabinettsmitgliedern zugetraut wird, ein guter Kanzler zu sein, ist dabei eine Stärke.“

Folgerichtig schien da, dass die Ge­nos­s:in­nen in Essen bei Panels zwar etwa über Friedenspolitik oder über die Wirtschaft diskutierten, die Kandidatenfrage aber aussparten. Auch auf Nachfrage zeigten sich die Ge­nos­s:in­nen gespalten: „Ich stehe total hinter Scholz“, sagte der taz etwa Susanne Kirchhof, in NRW Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in der SPD.

„Ich wäre für eine Auswechselung“, meinte dagegen Marco Goertz, Ortsvereinsvorsitzender im niederrheinischen Niederkrüchten. Nötig sei auf jeden Fall eine schnelle Entscheidung, meinten andere – am besten bis zur sogenannten Wahlsieg-Konferenz der SPD am 30. November, deren Namen viele So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen nur noch mit süffisantem Lächeln in den Mund nehmen.

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2 Kommentare

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  • Das Wahldebakel der SPD wird sich so oder so nicht vermeiden lassen und eine vergiftete Diskussion bzw. die Artikel über die Kanzlerkandidatur machen die Ausgangssituation nicht besser.

    In der taz werden Narrative erzählt über eine angeblich gespaltene SPD und eine angeblich gut aufgestellte Grüne ("Wintermärchen"). Beides stimmt nach meiner Wahrnehmung nicht mit der tatsächlichen Sachlage überein. Ehrlicherweise brauchen derzeit weder die Grünen noch die SPD einen Kanzlerkandidaten.

  • Wenn die SPD Scholz auswechseln, wird sie ihr blaues Wunder erleben. Dann wäre er auch als amtierender Kanzler durch und insgesamt hätte die Partei das Problem, zu erklären, warum sie das jetzt in dieser Art macht. Warum sie so lange an Scholz festgehalten haben?

    Die Union würde die SPD dafür durch prügeln, sie würde das als Eingeständnis des Scheiterns beschreiben und der KandidatInn müsste ständig erklären, warum er/sie überhaupt kandidiert.

    Was ich hier im Artikel rauslese, ist die Endzeitstimmung der Partei. Die nächste Fraktion wird radikal ausgedünnt sein.

    Und das setzt gewaltige Ängste frei, da rücken sie auf den Hinterbänken schon von der Parteilinie ab - ein Geschenk für die CDU und AfD.



    Wenn die SPD so scheitert, wird es wirklich eine fulminante Niederlage werden. Dann wird der Wahlkampf absaugen, bevor er angefangen hat.