Kanzlerin besucht Peking: Viel Schöngerede
Peking kennt keine Skrupel, ausländische Unternehmen politisch unter Druck zu setzen. Doch das steht nicht im Mittelpunkt von Merkels China-Reise.
Die Unruhen in Hongkong? Stehen als Thema nicht auf der Tagesordnung. Der US-chinesische Handelskonflikt, der längst auch bei deutschen Unternehmen Spuren hinterlässt? Soll wohl nur am Rande angesprochen werden. Schließlich sind sich in diesem Punkt beide Regierungen einig: Protektionismus sei schädlich für die Wirtschaft. Und als die zwei größten Exportnationen der Welt werden sie sich weiter für freie Märkte und Zollabbau aussprechen.
Dabei ist die Realität auch in China eine völlig andere: Zwar haben viele deutsche Unternehmen in den letzten drei Jahrzehnten kräftig vom wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik profitiert. Unternehmen wie Volkswagen und BASF erwirtschaften den Großteil ihres Gewinns längst im Reich der Mitte. Viele Mittelständler würde es ohne ihre Geschäfte in China gar nicht mehr geben.
Doch entgegen den Versprechen der kommunistischen Führung in Peking sind ausländische Unternehmen in China auch weiter zahlreichen Zwängen unterworfen. So beklagen sie, dass sie ihre Technologien preisgeben müssen. Sie sind verpflichtet, in den Betrieben Zellen der Kommunistischen Partei zu installieren, die bei Unternehmensentscheidungen mitreden dürfen.
Peking setzt Unternehmen politisch unter Druck
Nicht zuletzt die Einführung eines Sozialkreditsystems, mit dem das Verhalten eines jeden einzelnen Bürgers in China gespeichert und bewertet werden soll, wird demnächst auch Unternehmen treffen. Theoretisch sollen diese danach bewertet werden, ob sie Produktsicherheits-, Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen einhalten. „Aber niemand, der das entstehende System untersucht hat, bezweifelt, dass es als Mittel der politischen Kontrolle, auch über einzelne Mitarbeiter, gedacht ist“, warnt der Ökonom Tom Holland in der South China Morning Post.
Wie stark China seine Wirtschaftsbeziehungen als politischen Hebel einsetzt und wie wenig Hemmungen das Land hat, Unternehmen politisch unter Druck zu setzen, zeigt sich ganz aktuell beim Fall Cathay Pacific. Die kommunistische Führung in Peking hat die Hongkonger Fluggesellschaft dazu gedrängt, Mitarbeiter zu entlassen, die mit den Hongkonger Demokratieprotesten sympathisierten. Weil der Geschäftsführer nicht gleich parierte, wurde er auch ausgewechselt.
Das in Berlin ansässige China-Institut Merics warnt seit Langem vor einer zu großen wirtschaftlichen Abhängigkeit. „Man sieht Wachstumspotenzial und versucht sich die politischen Gegebenheiten schönzureden“, urteilt Merics-Ökonom Max Zenglein. Es sei aber Zeit, dass die Deutschen die Kooperationsagenda mit China infrage stellen. Ansonsten drohe auch Deutschland zum „politischen Spielball Chinas“ zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles