Kandidaturen zur Betriebsratswahl: Neue Rechte drängt in die Betriebe
Rechte Kandidaten treten zu den Betriebsratswahlen an, die nun starten. Sie folgen einer Strategie und setzen auf das rechte Potenzial unter Arbeitern.
Das neurechte Netzwerk „Ein Prozent für unser Land“ hat das Video online gestellt und ruft darin Gleichgesinnte zur Kandidatur bei den Betriebsratswahlen 2018 auf, die von diesem Donnerstag bis zum 31. Mai laufen. Bundesweit werden in rund 28.000 Betrieben etwa 180.000 Betriebsratsmandate vergeben; das entspricht in etwa der Gesamtzahl der Mandate in den deutschen Kommunalparlamenten. Die Neue Rechte will die Gelegenheit nutzen, um ihre Kampfzone zu erweitern – rein in die Firmen und Unternehmen. Ein Terrain, das sie bisher kaum organisiert betreten hatte.
Den Gewerkschaften bereitet diese Entwicklung Sorgen. „Die Rechtspopulisten, die sich nun aufstellen wollen und sich mit absurden Behauptungen um Stimmen bewerben, beobachten wir natürlich“, sagt der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann der taz. „Wir sehen eine zunehmende Mobilisierung.“
In dem Video von „Ein Prozent“ tritt unter anderem Oliver Hilburger auf, einst Musiker bei der Rechtsrockband Noie Werte und schon heute „oppositioneller Betriebsrat“ bei Daimler im Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim. 2009 gründete er den Verein „Zentrum Automobil e.V.“, eine rechte Arbeitnehmervereinigung für die Autobranche, die jetzt das Rückgrat der Kampagne werden soll.
Seit 2010 im Betriebsrat
Im Daimler-Stammwerk sitzt Hilburger bereits seit 2010 im Betriebsrat. 2014 gewann sein „Zentrum Automobil“ dort dann schon vier von 45 Betriebsratsmandaten. Inzwischen hat die Kampagne nach eigenen Angaben über 300 Mitstreiter an fünf Daimler-Standorten und weitere 200 in verschiedenen Branchen.
Kandidaturen sind nicht nur im Daimler-Stammwerk, sondern auch in den Werken Rastatt und Sindelfingen sowie bei der Firmen-Tochter AMG bekannt. Und in anderen Betrieben der Branche? Für das VW-Stammwerk in Wolfsburg erklärt der IG Metall-Funktionär Hartwig Erb: „Hier im Bereich der IG Metall sind bisher keine rechte Kandidaturen bekannt.“ Dagegen treten unter anderem bei BMW in Leipzig und bei Opel in Rüsselsheim Zentrum-Listen an.
Den medialen Auftakt für die Kampagne bildete die Konferenz „Opposition heißt Widerstand“ des rechten Compact-Magazins in Leipzig. Am 25. November vergangenen Jahres hatte das Magazin von Jürgen Elsässer zu der Veranstaltung geladen. Neben Hilburger sprach dort auch der Thüringische AfD-Chef Björn Höcke.
Mit Zitathappen von Lenin und Mao beklagte er die „Vergötzung des Kapitals“. Wider der AfD-Wirtschaftslinie ging er die „neoliberale Gedankenmodelle“ an, die blind seien für die „sozialen Folgen“. Die Linke hätte längst die „kleinen Leute“ verraten. Die Rechte würde nun die sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung verteidigen.
Auf Linie mit Elsässer
Die Rede dürfte Elsässer mehr als erfreut haben. Der ehemalige Anhänger des Kommunistischen Bundes begann vor über zehn Jahren seinen Weg nach rechts mit der Vorhaltung, dass „die Linke“ sich nicht mehr für das Proletariat interessiere. Schon 2006 hielt er ihr vor: „Mit Staatsknete wird Multikulti, Gendermainstreaming und die schwule Subkultur gefördert, während die Proleten auf Hartz IV gesetzt werden.“ Dagegen rief er zu einer neuen „Volksfront“ auf.
Diese Idee forcierte jüngst auch Benedikt Kaiser. Der neurechte Publizist veröffentlichte im vergangenen Jahr im Antaios-Verlag den Band „Querfront“. Auf über 90 Seiten formulierte er einen „Antiimperialismus von rechts“ – nicht, ohne sich auf Elsässer und Lenin zu beziehen.
Er schlug vor, „durch eigene Themensetzung und Profilierung die Reste des linken antiimperialistischen Lagers“ anzuziehen, da „in Zeiten der kapitalistischen Globalisierung die Nation bzw. die Nationengemeinschaften als Schauplatz von sozialen und nationalen Kämpfen wieder relevant wird“.
Dies erfordere „von den Rechten“ jedoch einen „zeitgemäßen Antiimperialismus“, der mehr beinhalte als „recycelten Antiamerikanismus und Ostküstenverschwörungstheorien“.
Soziale Frage als Weg zu Wahlerfolgen?
Dem Politikwissenschaftler Richard Gebhardt zufolge orientierte sich daran auch Höcke während seines Auftritts bei Compact in Leipzig. „Seine Rede, das legten Argumentationsketten und Zitatreferenzen nahe, ist stark von Kaisers Text beeinflusst“, sagt er. Höckes Rede wiederum liefere den „Überbau für die Betriebskampagne“. Die vermeintlich linke Rhetorik könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das rechte Verständnis von politischen Klassen immer in nationale Kollektive münde.
Dass die Neue Rechte den „Antiimperialismus von rechts“ offensiv propagiert, deute auf eine verstärkte Hinwendung zur Sozialen Frage hin. Kein bloßes Denkspiel, warnt Gebhardt, der zum Rechtspopulismus forscht und in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig ist: Die Loslösung vom harten Neoliberalismus ermöglichte es zum Beispiel dem Front National und der Freiheitlichen Partei Österreich, neue Wählerschaften anzusprechen.
Ein Potential auch für die AfD: Schon bei der Bundestagswahl 2017 wählten laut einer Nachwahlbefragung von Infratest dimap 21 Prozent der Arbeiter*innen die Partei – fast so viel wie die SPD, die 24 Prozent in ihrer ehemaligen Kernwählerschaft gewinnen konnte. 15 Prozent bekam die AfD unter Gewerkschaftsmitgliedern.
Klaus Dörre überrascht das nicht. Schon lange gebe es ein „ernstzunehmendes rechtspopulistisches Potential unter Gewerkschaftsmitgliedern“, sagt der Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena. „Es lag nahe, dass es früher oder später hervorbrechen würde.“ Und dass dieses Potential von rechts gezielt umworben wird.
AfD-Mitglieder sitzen schon in Betriebsräten
Das zeigen nicht nur die Listen der rechten Gruppe „Zentrum Automobil“. Vereinzelt hat auch die AfD durch Parteieintritte schon Betriebsräte gewinnen können, die zuvor auf DGB-Listen gewählt worden waren. „Es gibt etliche aktive Gewerkschafter und engagierte Betriebsräte, die sich offen zu AfD, Pegida und deren Ansichten bekennen“, sagt Dörre.
Und wie agieren die Rechten in den Betrieben? Vorsichtig, heißt es bei der IG Metall. In Stuttgart würden zum Beispiel Zentrum-Gründer Hilburger und seine Mitstreiter als ganz normale Beschäftigte auftreten und als Betriebsrat das Gespräch mit den Kollegen mit und ohne Migrationshintergrund suchen, sich deren Probleme anhören.
Harte Töne wie bei seinen Pegida-Auftritten würde Hilburger im Betrieb nicht anschlagen. Anders als auf rechten Demos spricht er bei Daimler weder vom „Generalangriff auf das Monopol der großen Gewerkschaften“, noch erklärt er: „Wir bringen das Fass zum Überlaufen. Wir werden täglich mehr und wir werden stärker im Widerstand.“
Die Rechten weichen aber auch aus, wenn ihre Verstrickungen hinterfragt werden. Denn nicht bloß Hilburger kommt von weit rechts. Der Schatzmeister seiner Gruppierung, Hans Jaus, war Bundesschatzmeister bei der verbotenen „Wiking Jugend“. Und Listenkandidat Andreas Brandmeier soll nach Recherchen von ARD und Stern per E-Mail Bilder mit Hakenkreuz und der Inschrift „Heil Hitler“ verschickt haben. Hilburger spricht von einer Fälschung.
Keine Distanzierung von rechten Verstrickungen
In einer Versammlung wollten die anderen Betriebsräte des Stuttgarter Daimler-Werks diese Verstrickungen des „Zentrum Automobil“ ansprechen. Aber: „Sämtliche Betriebsräte der Liste blieben der Sitzung fern“, sagte Betriebsratschef Wolfgang Nieke der Stuttgarter Zeitung. Damit gebe es auch „keine klare Distanzierung“.
Der Umgang der Gewerkschaften mit rechten Funktionsträgern in Betrieben ist unterschiedlich – von Konfrontation bis Wegschauen. Die Gewerkschaften veranstalten Workshops und Argumentationstrainings gegen rechts. Trotzdem halten einige Betriebsräte ihren Gewerkschaften vor, das Problem kleinzureden. Bei Jenoptik zum Beispiel sitzt Denny Jankowski für die IG Metall im Betriebsrat, obwohl er aktiver AfD-Funktionär in Höckes weit rechten Thüringischen Landesverband ist. Und das, obwohl der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann eigentlich als Linie vorgab: „Wer hetzt, der fliegt.“
Eine Aussage, mit der sich der IG Metall-Chef unter den Gewerkschaftsmitgliedern übrigens nicht nur Freunde machte. In einzelnen Geschäftsstellen gab es wegen des Statements gegen Rechts prompt Austritte. Diese Reaktion weist auf ein weiteres Problem hin, das auch der Soziologe Dörre benennt.
Der Kampagne von „Ein Prozent“ und „Zentrum Automobil“ fehle es zwar an der Infrastruktur, um selbst eine starke Konkurrenz zu werden, sagt er. Doch seit Pegida und AfD werden auch in den etablierten Gewerkschaften Stimmen gegen antifaschistisches Engagement lauter. Eine politische Neutralität würde eingefordert. Dieser Konflikt greift das Selbstverständnis der Gewerkschaften an, so Dörre. Und er erschwert die Auseinandersetzung bei den Betriebsratswahlen.
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