Kampffliegereinsatz in Heiligendamm: Angsteinflößend und einschüchternd
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt: Der Tiefflug eines Tornados über das G8-Protestcamp 2007 war ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit.
Gegen das Treffen der Staats- und Regierungschefs der G 8 im Ostseebad Heiligendamm hatten im Juni 2007 mehrere zehntausende Menschen protestiert. Das in der nahe gelegenen Gemeinde Reddelich gelegene Protestcamp bot bis zu 5.000 DemonstrantInnen Unterkunft. Die Bundeswehr war in Heiligendamm in „Amtshilfe“ für die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern tätig gewesen. Der Kampfjet war am 5. Juni 2007 in nur 114 Meter Höhe über das Camp hinweggeflogen, um Aufklärungsfotos zu machen. Offiziell sollten mögliche „Bodenveränderungen“ festgestellt werden. Man habe verhindern wollen, dass Erddepots mit Werkzeugen angelegt und Straßen unterhöhlt werden.
Im Hinblick „auf die extreme Lärmentfaltung, den angsteinflößenden Anblick und die Überraschungswirkung im Kontext der Vorbereitung der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel“ habe der Tornadoeinsatz einschüchternd wirken müssen, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Überflug habe „zwar keinen zielgerichteten, aber einen faktischen Eingriff in das Grundrecht der Kläger auf Versammlungsfreiheit“ dargestellt.
Das Bundesverwaltungsgericht sah sich allerdings nicht in der Lage, abschließend zu entscheiden, ob der Flug nun tatsächlich rechtswidrig war oder trotzdem als Maßnahme der Gefahrenaufklärung gerechtfertigt und verhältnismäßig gewesen sein könnte. Die Leipziger RichterInnen verwiesen den Vorgang daher zur erneuten Prüfung zurück an das OVG Mecklenburg-Vorpommern.
Geklagt hatten zwei seinerzeitige SprecherInnen der Grünen Jugend, darunter der heutige Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht. In den Vorinstanzen waren die beiden noch abgewiesen worden. „Die furchteinflößenden Tornado-Flüge über das G8-Protestcamp 2007 waren ein Skandal“, sagte Albrecht der taz. Denn mit solchen Manövern würden Menschen davon abgeschreckt, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen.
„Es ist ein wichtiger Erfolg, dass das Bundesverwaltungsgericht jetzt nach zehn Jahren unsere Auffassung über die erheblich einschüchternde Wirkung des Einsatzes bestätigt hat“, kommentierte der Grünenpolitiker das Urteil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste