Kampf um bezahlbaren Wohnraum: Das ist Wohnsinn!
Der Bremer Senat will rund 1.000 neue Sozialwohnungen schaffen. Davon profitieren werden weniger die Armen als der Mittelstand.
Die Sozialwohnungsquote soll von 25 auf 30 Prozent steigen, zudem die Sozialbindung von 20 auf „mindestens 30 Jahre“ verlängert werden. Letzteres geht nur im Einvernehmen mit den Eigentümer*innen, die sich das vom Staat bezahlen lassen. Bremen möchte auslaufende Belegbindungen verlängern – und sieht „ein Potenzial von 300 Wohnungen“. Das kann laut Bauressort bis 2022 bis zu vier Millionen Euro kosten.
Die Sozialwohnungen kosten – je nachdem welchen Klimaschutzstandards sie entsprechen – sechs bis sieben Euro pro Quadratmeter an Miete. Eine höhere Grundmiete soll durch niedrigere Nebenkosten ausgeglichen werden. Auf diese Weise will die grüne Bausenatorin Maike Schaefer höhere Klimaschutzstandards durchsetzen.
Diese „B-Schein-Wohnungen“ richten sich aber „nicht primär an Transferleistungsbezieher*innen“, erklärt Bovenschulte. Denn für die sind sie oftmals schon zu teuer. „Uns geht es um die erwerbstätige Alleinerziehende, die Rentnerin oder die Familie, die Nachwuchs bekommt“, sagt SPD-Baupolitiker Falk Wagner – „alle sollen sich Wohnen in Stadtteilen wie Findorff weiter leisten können“.
Die Miete neu gebauter Sozialwohnungen in Bremen bemisst sich künftig daran, wie energiesparend sie gebaut sind.
Dabei geht es um den Primärenergiebedarf und den Transmissionswärmeverlust der Immobilie. Ersterer bezieht sich darauf, wie viel Energie für Heizung, Warmwasser, Lüftung und Kühlung verbraucht werden, zweiterer misst, wie viel Wäremenergie ein beheiztes Haus nach außen verliert.
Ein Haus mit dem Standard „KfW 40“ verbraucht dabei 60 Prozent weniger Energie als die Energieeinsparverordnung für Neubauten vorgibt. Dort dürfen 6,80 Euro pro Quadratmeter verlangt werden. Erfüllt das Haus Passivhausstandard, sind es 7,00 Euro, beim Standard „KfW 55“ noch 6,50 Euro und beim Standard „KfW 100“ nur sechs Euro.
Anspruch auf geförderten Wohnraum hat ein Zwei-Personen-Haushalt bis zu einem Bruttojahreseinkommen von 42.000 Euro, bei einem Vier-Personen-Haushalt sind es 63.000 Euro. Eine fünfköpfige Familie kann bis zu einem Jahreseinkommen von knapp 74.000 Euro Anspruch auf eine geförderte Neubauwohnung erheben. Zum Vergleich: Lehrer*innen, die nach A 13 besoldet sind, bekommen in Bremen derzeit mindestens 52.000 Euro im Jahr brutto für eine volle Stelle.
In Bremen geben rund 47 Prozent der Mieter*innen über 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus, rund 23 Prozent sogar über 40 Prozent. Das geht aus einer umfassenden Analyse der Hans-Böckler-Stiftung hervor, die 77 deutsche Großstädte verglichen hat. Bremen liegt in dieser Studie auf Platz 5, Bremerhaven auf Platz 6 der teuersten Städte – hinter Düsseldorf, aber noch vor Hamburg und München. Die Linke forderte deshalb in der Vergangenheit schon vehement einen Mietendeckel, auch in der SPD fand man die Idee „sympathisch“. Das Aktionsbündnis „Menschenrecht auf Wohnen“ fordert einen zunächst auf fünf Jahre befristeten Mietpreisstopp.
Davon ist derzeit in der Koalition aber nicht die Rede, dafür von einem „Impulsflächenprogramm“, also einer Liste, auf der steht, wo genau neue Häuser entstehen könnten, um das Angebot an Mietwohnungen auszuweiten. Bovenschulte spricht von „aberdutzenden von Flächen“, das Bauressort von einem Potenzial für 25.000 bis 30.000 Wohnungen in Bremen und Bremen-Nord. Die umstrittene Osterholzer Feldmark wird nicht auf dieser Liste stehen.
Allein in Baulücken könnten 2.000 bis 2.500 Wohneinheiten entstehen, sagt der Sprecher des Bauressorts – aber keine Sozialwohnungen, denn die Quote greift erst, wenn auf einer Fläche mindestens 20 Wohneinheiten entstehen. 2018 wurden in Bremen 1.809 Wohneinheiten fertiggestellt und 2.270 genehmigt. Schaefer sieht sich damit „im Plan“. Zwischen 2014 und 2018 seien etwa 3.000 Wohneinheiten mehr genehmigt als fertiggestellt worden, ergänzt ihr Sprecher.
„Prüfen“ und „denken“
Noch etwas vage bleibt der Senat dort, wo es nicht um die Förderung von Investoren, sondern von Genossenschaften „und anderen kollektiv-solidarische Formen des Wohneigentums“ geht. Sie sollen „noch besser unterstützt werden“, heißt es. Die Möglichkeit einer Anschubfinanzierung wird aber nur „geprüft“, zinslose Darlehen für den Kauf von Genossenschaftsanteilen oder Baukostenzuschüsse sind lediglich „denkbar“. Nach Ressortangaben könnte die Genossenschaftsförderung bis 2022 etwa 3,5 Millionen Euro kosten.
Insgesamt soll das neue Wohnraumförderprogramm ein Volumen von 90 Millionen Euro haben. Da es sich um Darlehen handelt und Gelder aus bisherigen Programmen zurückfließen, ist das Konzept laut Bauressort „haushaltsneutral“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind