Kampf gegen Verdrängung in Berlin: Oase auf der Kapitalismusallee
Eine Hausgemeinschaft in Prenzlauer Berg wehrt sich gegen den Verkauf: Mithilfe von Genossenschaften wollen sie sich vor der Verdrängung retten.
Die K12, wie die Mieter*innen ihr Haus nennen, gehört schon lange zur Keimzelle der Mieter*innenselbstorganisation in Prenzlauer Berg. Zu DDR-Zeiten wehrten sich Anwohner*innen hier in Wohnbezirksausschüssen erfolgreich gegen den Abriss von Altbauten in der grenznahen Gegend. In den achtziger Jahren entstand im Innenbereich des Straßenblocks zwischen Eberswalder und Oderberger Straße mit dem Hirschhof ein Stadtteiltreffpunkt – und damit ein Geheimtipp der Untergrundkultur Ostberlins. Weil auch Regimegegner ein und aus gingen, führte die Stasi zum Hirschhof eine eigene Akte.
Die Anwohner*innen organisierten sich in der „Wir bleiben alle“-Bewegung. Und stellten 1992 hier schließlich die beiden mit 20.000 Teilnehmer*innen bis dato größten Demonstrationen gegen Mieterhöhungen auf die Beine.
Heute leben und arbeiten rund 100 Mieter*innen in den 50 Wohnungen und Ateliers: Familien mit Kindern, Künstler*innen und Tech-House-Produzenten, Mitarbeitende der nahen Kirchengemeinde. Viele sind kurz vor oder nach der Wende eingezogen, manche wohnen erst seit ein paar Jahren dort. Lange Zeit konnten sie hier ungestört leben, doch jetzt droht der Verkauf der K12 mit ihren drei Hinterhäusern und die Mieter*innen fürchten um ihr Zuhause. Sie fordern, dass Hausgemeinschaften stärker eingebunden werden, wenn Eigentümer*innen verkaufen. Weil sie ihre Gemeinschaft nicht aufgeben wollen, haben sie sich zusammenschlossen. Ihr Plan: Sie wollen die K12 mit zwei Genossenschaften kaufen. Am Freitag legen sie ein erstes Angebot vor. Können sie so ihre Gemeinschaft retten?
Geringe Kaltmieten und kalte Wohnungen
Wer durch die Hauseingang der K12 geht, kriegt einen Einblick in das ungentrifizierte Prenzlauer Berg der neunziger Jahre: In den begrünten Innenhöfen haben die die Bewohner*innen Kunstinstallationen aufgestellt, von den braun-grauen Hinterhäusern bröckelt der Putz, Im Hof Unmengen an Fahrrädern, beklebte Briefkästen, Graffitis.
Michaela Hartmann gehört seit über 20 Jahren zu der Hausgemeinschaft, die für viele hier ihr Lebensmittelpunkt ist. Sie kam kurz nach der Wende nach Berlin, um „einfach mal zu schauen“, und ist nie wieder gegangen. „Als Wessi war ich hier die Speerspitze der Gentrifizierung“, erzählt sie und lacht. Hartmann wohnt hier in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, im dritten Hinterhaus hat sie ihr Atelier, in dem sie Gitarren repariert und ihre Fotografien ausstellt.
Das alles ist auch möglich, weil die Mieten hier gering ausfallen: 3,50 bis 4,50 Euro kalt zahlen die Bewohner*innen der K12 pro Quadratmeter. Für Hartmanns Wohnung sind das etwa 260 Euro im Monat, ihre „künstlerische Existenzgrundlage“, wie sie sagt. Doch der Sanierungsbedarf der K12 ist an allen Ecken und Enden sichtbar: Viele der schlecht isolierten Wohnungen haben nur Kohleöfen, einige Mieter*innen teilen sich Toiletten auf dem Gang. Duschen und Badewannen stehen häufig noch in der Küche, manche haben gar keine. Rohre und Elektrik müssten erneuert werden. Die Bewohner*innen rechnen damit, dass eine Vollsanierung nötig sein wird.
Familienzwist verunsichert Hausgemeinschaft
Laut Grundbucheintrag gehören die Häuser noch immer Frau K. Die alte Dame, die die Mieter*innen stets gewähren ließ, dafür aber auch recht wenig für den Erhalt der K12 tat, hielt man hier lange für unsterblich. Doch vor zwei Jahren starb die Eigentümerin, ihr Besitz soll an ihre zwei Söhne gehen. Die sind jedoch, so erzählen es die Mieter*innen, seit Jahren zerstritten. Deshalb droht nun eine Teilungsversteigerung: Dabei wird das Haus zwangsweise an den Meistbietenden versteigert und der Erlös fließt der Erbengemeinschaft zu, die ihn unter ich aufteilt. Darüber muss nun das Amtsgericht entscheiden.
„Das ist ein Damoklesschwert für alle, die hier wohnen“, sagt Angela Dressler. Sie ist „Dauergast“ in der K12, wie sie sagt, außerdem Organisatorin vom Kieztreff Pankow und Mitglied der Initiative Mieter*innengewerkschaft. Zu den zwei Brüdern habe man in der K12 eigentlich einen guten Draht: Man kenne sich seit Jahren, saß auch immer wieder beim Lagerfeuer zusammen, „aber immer nur mit einem von beiden gleichzeitig“. Einen emotionalen Bezug zu den Häusern gebe es auch auf Eigentümerseite, heißt es von den Anwohner*innen der K12. Die Brüder seien „eher antikapitalistisch eingestellt“. Es ist nicht die Profitgier von großen Investoren, die ihnen Sorgen macht, sondern die Konflikte zwischen den Erben. Also alles nur halb so schlimm?
Die Hausgemeinschaft macht sich keine Illusionen: Die vier Gebäude in bester Lage und mit großem Garten seien schließlich der Traum eines jeden Investoren. Schon jetzt riefen Makler*innen Kaufpreise auf, die die Anwohner*innen mit unbezahlbaren Mietsteigerungen zum Auszug zwingen würden.
Zwei Genossenschaften sollen helfen
Um dem Verkauf der K12 zuvorzukommen, haben sich die Mieter*innen nun als Verein organisiert. Im Anschluss an die „Wir bleiben alle“-Bewegung, die sich in den achtziger Jahren auf ihrem Hirschhof formierte, wollen sie sich für bezahlbare Mieten und gemeinwohlorientiertes Wohnen einsetzen. Auf das bezirkliche Vorkaufsrecht haben sie nicht spekuliert, weil die Zwei-Monats-Frist sie abgeschreckt hat: Das Risiko, nach einem Kaufangebot nicht schnell genug reagieren zu können, sei ihnen zu groß gewesen.
Rückblickend war das die richtige Taktik: Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im vergangenen Jahr ist die Maßnahme zum Milieuschutz so gut wie tot. Stattdessen wollen die Anwohner*innen der K12 die Versteigerung verhindern, indem sie Teil einer Genossenschaft werden: Sie haben Gespräche mit der genossenschaftlichen Immobilienagentur „Häuser Bewegen“ aufgenommen, die Ankaufoptionen an ihre Mitgliedsunternehmen vermittelt. Gemeinsam mit der Selbstbau eG und der Ostseeplatz eG machen die Mieter*innen der K12 den Eigentümern an diesem Freitag nun das erste Kaufangebot.
Was sie vorhaben, hat so ähnlich in Kreuzberg erst kürzlich funktioniert: 2016 drohte dort der Lause das Aus: einem Komplex, der viele wichtige linke Projekte beherbergt. Der Eigentümer, die dänische Tækker-Gruppe, suchte Käufer für die Lause. Mindestens 20 Millionen Euro wollte der Familienkonzern für den Komplex haben, den er 2006 vom Land Berlin für rund 2,3 Millionen Euro erworben hatte. Die Initiative „Lause bleibt“ setzte Tækker und die Berliner Politik zunehmend unter Druck – und hatte Erfolg: Der dänische Investor verkaufte schließlich für deutlich weniger Geld an das Land Berlin. Vergangenen Freitag haben die Genossenschaft Eine für Alle eG und die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) den Erbbaurechtsvertrag unterschrieben, die Lause ist gesichert.
Auf ein ähnliches Schicksal hofft man auch in der K12. Einfach wird es hier jedoch vermutlich auch nicht: Zwar gibt es Förderdarlehen vom Land Berlin, die sogenannte Genossenschaftsförderung für Bestandserwerb. Voraussetzung für die Auszahlung ist allerdings ein Eigenkapitalanteil von zehn Prozent. Weil die Sanierungskosten nochmal ungefähr doppelt so hoch sind wie der Kaufpreis, muss die Hausgemeinschaft circa 1,5 Millionen Euro zusammenbekommen. Sie hoffen nun auf Direktkredite und Einlagen in die Genossenschaft durch Dritte, auch um Mieterhöhungen möglichst niedrig halten zu können.
Kredite gegen die Verdrängung von Künstler*innen
Unterstützung kommt auch vom Berufsverband bildender Künstler*innen (bbk), der sich den Kampf gegen die Verdrängung von Künstler*innen aus dem Stadtgebiet auf die Fahne geschrieben hat. Der Verband wirbt aktuell bei der Senatsverwaltung dafür, auch für gewerbetreibende Künstler*innen niedrigschwellige Genossenschaftskredite anzubieten. „Es geht ja gar nicht darum, dass viel Geld ausgegeben werden soll“, sagt Martin Schwegmann vom bbk, „Die Kredite werden schließlich alle irgendwann zurückgezahlt.“
In der K12 bleibt man zuversichtlich – und hofft auf einen Paradigmenwechsel: „Mieter*innen sind nicht das Mobiliar, das einfach mitverkauft und bei Bedarf rausgeschmissen werden kann“, findet Michaela Hartmann. Sie und ihre Nachbar*innen wünschen sich eine Ankaufspolitik, die sicherstellt, dass möglichst viel Bestand in die Hände von gemeinwohlorientierten Akteur*innen kommt.
Eigentümer*innen sollten sich außerdem mit Hausgemeinschaften und Genossenschaften zusammensetzen, bevor sie an Dritte verkaufen: „Der Hausverkauf wird immer günstiger, wenn man die Hausgemeinschaft mitdenkt“, sagt Angela Dressler. Wer vernetze Mieter*innen verdrängen wolle, müsse sich auf kostspielige Konflikte einstellen: „Jede gut organisierte Hausgemeinschaft treibt den Preis in die Höhe.“
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