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Kampf gegen KlimawandelOhne China geht es nicht

Gastkommentar von

Adair Turner

China ist der weltweit größte Treibhausgas-Emittent – und Vorreiter in Sachen grüne Technologie. Es braucht ein euro-chinesisches Klimaabkommen.

Ein Arbeiter inspiziert Solarmodule auf einer Solarfarm in Dunhuang, 950 km nordwestlich von Lanzhou in der Provinz Gansu Foto: Carlos Barria/Reuters

Ü ber Chinas Rolle im Klimawandel kursieren zwei gegensätzliche Erzählungen. Die eine besagt, dass China als größter Emittent von Treibhausgasen immer mehr Kohlekraftwerke baut. Die andere hebt hervor, dass das Land führend in der Entwicklung grüner Technologien ist, die es der Welt ermöglichen, ihre Volkswirtschaften deutlich günstiger zu dekarbonisieren als noch vor wenigen Jahren.

Beides ist richtig – und die Politik in China wie auch weltweit muss dieser doppelten Realität Rechnung tragen. 2022 lagen Chinas Emissionen bei 15,7 Gigatonnen, weit über den sechs Gigatonnen der USA und den 3,6 Gigatonnen der EU. Auch wenn diese Zahlen Chinas größere Bevölkerung widerspiegeln, liegen die Emissionen pro Kopf mit elf Tonnen deutlich über jenen der EU (8,1 Tonnen) und des Vereinigten Königreichs (6,3 Tonnen). Beide Letzteren sind zudem auf gutem Weg, ihre Emissionen bis 2040 auf unter zwei Tonnen pro Kopf zu senken.

China hat zugesagt, seine Emissionen spätestens 2030 zu senken und bis 2060 klimaneutral zu werden. Dennoch könnten sich seine kumulierten CO₂-Emissionen bis dahin auf rund 250 Gigatonnen summieren – gegenüber 4,5 Gigatonnen im Vereinigten Königreich und 45 Gigatonnen in der EU. Diese 250 Gigatonnen würden einen Großteil des verbleibenden globalen „Kohlenstoffbudgets“ aufbrauchen, das notwendig ist, um die Erderwärmung – wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart – auf „deutlich unter 2 °C“ zu begrenzen. Damit hängt die globale Temperaturentwicklung bis 2100 in hohem Maße von Chinas Kurs ab – und weit weniger von der EU oder Großbritannien.

Etwa 5,9 Gigatonnen der jährlichen chinesischen Emissionen stammen aus einem noch immer stark kohleabhängigen Energiesystem. China plant, bis 2029 weitere 280 Gigawatt Kohlekraftwerkskapazität zu installieren. Hinzu kommen hohe Emissionen aus der Stahl- und Zementindustrie, die über 50 Prozent des weltweiten Ausstoßes in diesen Sektoren verursachen – auch wenn sie mit dem Rückgang der Bautätigkeit leicht sinken.

China könnte ein Segen für die Menschheit sein

Gleichzeitig ist China weltweit führend bei fünf Schlüsseltechnologien der Energiewende: Photovoltaik, Windkraft, Batterien, Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen. Ihr Einsatz kann drei Viertel des globalen Verbrauchs fossiler Brennstoffe ersetzen. Elektroautos machen in China inzwischen fast die Hälfte aller Pkw-Verkäufe aus – in der EU sind es 23 Prozent.

2024 installierte China rund 400 Gigawatt an Solar- und Windkraft – mehr als die Hälfte der weltweiten Gesamtleistung. Zwar wächst die Kohlekapazität weiter, doch dienen viele Anlagen zunehmend als flexibles Backup für erneuerbare Energien. In der Folge sanken die Emissionen des chinesischen Stromsektors in der ersten Jahreshälfte um 3 Prozent.

Der massive Ausbau grüner Technologien hat enorme Kostensenkungen und Effizienzgewinne bewirkt. Die Preise für Photovoltaik sind in 15 Jahren um 90 Prozent gefallen, während die Leistung gestiegen ist. Auch Batterien sind deutlich günstiger geworden, zugleich verbessern sich Energiedichte und Ladegeschwindigkeit stetig. Diese Entwicklungen ermöglichen weltweit eine schnellere Emissionsminderung – nicht nur in China.

In einer Welt ohne geopolitische Spannungen wäre Chinas technologische Führungsrolle ein Segen für die Menschheit. Doch unter den aktuellen politischen Bedingungen weckt sie Sorgen um Arbeitsplätze und Sicherheit. Schlimmer noch: Zölle und Handelsbeschränkungen als Reaktion auf Chinas Dominanz könnten die Kosten erhöhen und die weltweite Energiewende bremsen.

Drei Prioritäten für das 2-Grad-Ziel

Ein weiterer Streitpunkt sind Chinas Überkapazitäten bei Eisen und Stahl. Da diese Grundstoffe weiterhin kohlenstoffintensiv produziert werden, gefährden sie Europas Pläne zur Dekarbonisierung der Schwerindustrie. Der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus der EU ist zwar eine legitime Antwort auf dieses Problem, wurde von China jedoch als protektionistisch empfunden.

Um die Erderwärmung „deutlich unter 2 °C“ zu halten, sind koordinierte Maßnahmen aller Teilnehmer der UN-Klimakonferenz COP30 im November in Brasilien nötig. Da die USA ihre Führungsrolle – besonders in der Klimapolitik – weitgehend aufgegeben haben, kommt der Zusammenarbeit zwischen China und Europa zentrale Bedeutung zu.

Vor diesem Hintergrund sollten beide Seiten drei Prioritäten verfolgen. Erstens: China muss ehrgeizigere Ziele zur Emissionsminderung festlegen. Unterbleibt dies, könnten europäische Rechtspopulisten, die Klimaschutz als kostspielig und sinnlos darstellen, zusätzlichen Auftrieb erhalten. Verschärft China jedoch seine Ziele, sollte Europa seine eigenen Maßnahmen ausweiten, um seinen langfristigen Verpflichtungen auch gerecht zu werden.

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Zweitens: China sollte die Dekarbonisierung der Schwerindustrie vorantreiben, insbesondere in der Stahl-, Zement- und Chemieproduktion. Das setzt höhere CO₂-Preise in allen Industriesektoren voraus – idealerweise auf einem Niveau, das sich dem europäischen annähert.

Drittens: Europa sollte Chinas Führungsrolle bei sauberen Technologien anerkennen und in Fragen von Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit sachlich bleiben. Nach den Empfehlungen der Energy Transitions Commission hieße das, Importe von Produkten mit geringem Risiko für europäische Arbeitsplätze – etwa Solarpaneele – zuzulassen und chinesische Investitionen in Zukunftsbranchen wie Batterien und Elektrofahrzeuge zu fördern.

Chinas Vorreiterrolle in der grünen Technologie bietet der Welt eine historische Chance. Eine Chance eine, die sie auf keinen Fall ungenutzt lassen darf. Europa muss mit China zusammenarbeiten, um dieses Potenzial zu verwirklichen.

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7 Kommentare

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  • Ein euro-chinesisches Klimaabkommen....

    Es hat sich so ergeben, dass ich ein paar Hundert Chinesen aus den verschiedensten Schichten hier sowie dort live kennengelernt habe, meinem eigenen Eindruck nach eher viel mehr.



    Das wird bei einer Bevölkerung von ca. 1,4 Milliarden nicht repräsentativ sein, trotzdem würde mich ein solches Abkommen nicht überzeugen, dass damit etwas Positives für Klima und Umwelt geschehen würde. Vielleicht hatte ich aber in Sachen Glaubwürdigkeit und Zuverlässig einfach nur persönliches Pech.

    Auf die weltweite Gier in allen Kulturen will ich dabei gar nicht erst eingehen.

  • Über all den Überlegungen schwebt ein Begriff, der alle Lösungsvorschläge ins Reich der Phantasie katapultiert: WACHSTUM!



    Und ein Wort macht all die Dampfplauderei lächerlich: PHYSIK!

  • Ohne China geht global fast nichts mehr. China ist Weltführer oder nimmt einen Spitzenplatz bei u.a. seltenen Erden, Produktion von zahlreichen Ausgangsstoffen und Vorprodukten für verschiedene Branchen, auch bei diversen Endprodukten und Dienstleistungen ein, hat längst einen Spitzenplatz in Sachen Innovation und bei neuen Patentanmeldungen. Wenn manche „alten Europäer“ immer noch glauben, sie könnten sich vereint als Weltwirtschaftsmacht behaupten, dann nur, weil sie nicht bemerkt haben, dass der Zug für sie längst abgefahren ist. Die Versuche, wieder Anschluss zu finden, indem man den neoliberalen Umbau fortführt, werden nur dazu führen, dass die gesellschaftliche Spaltung zunimmt, immer repressiver regiert wird und am Ende das Großkapital unverblümt die Herrschaft übernimmt. Noch könnte Europa umsteuern und in Kooperation mit Drittländern eine solidarische Wirtschaftsordnung entwickeln, dazu müssten es aber sein liberales, elitäres und sozialdarwinistisches Gesellschaftsmodell überwinden. Daran hat unsere versammelte Elite aus Politik, Wirtschaft, Medien usw. aber überhaupt kein Interesse. Die Zukunft wird so in allen Belangen immer heißer werden.

  • "China ist der weltweit größte Treibhausgas-Emittent"



    Alles ist relativ. China liegt auf Platz 8 als Treibhausgas-Emittent, wenn man dies pro Einwohner rechnet, selbst USA und Kanada liegen noch davor. Und Deutschland, welches immer so gerne auf Saubermann macht, liegt auf Platz 10, also nur 2 Plätze hinter China.

    • @Hans Dampf:

      Auf welchem Platz würde China wohl liegen, würde dort nur für die eigenen Bevölkerung produziert?



      Und dann noch unter vernünftigen nachhaltigen Gesichtspunkten?

      • @Erfahrungssammler:

        Sehr gute und berechtigte Frage. Man könnte sie auch anders herum stellen: Wie würde unsere CO2-Bilanz aussehen, wenn wir das CO2 aller in China für uns produzierten Güter auch uns zurechnet?

        • @Hans Dampf:

          Ich verstehe auch nicht, warum die Frage nicht so herum gestellt wird - dann wären wir doch auch mal ganz oben mit dabei.