Kaffeeanbau in Mittelamerika: Auswandern ist nicht immer die Bohne wert
In Honduras fehlen helfende Hände beim Kaffeeanbau, weil viele junge Menschen das Land verlassen. Eine Genossenschaft in San Andrés versucht das zu verhindern. Ein Erfolgsmodell?
sman David Cortéz steht seit dem frühen Morgen am knallroten Röster und sorgt für Nachschub. „Unsere Kunden in San Pedro Sula und Tegucigalpa wollen frische Ware, und auch hier in San Andrés ist die Nachfrage nach unserem Kaffee gut“, erklärt der kräftige junge Mann. Dann zieht er die Röstprobe, nickt zufrieden mit dem Kopf und öffnet den Verschluss der rotierenden Rösttrommel, so dass die dampfenden Bohnen langsam in das Abkühlsieb gleiten. Der satte Duft nach geröstetem Kaffee wabert durch die kleine Produktionshalle in San Andrés. In der Kleinstadt mit kaum sechstausend Einwohner:innen, die nur ein paar Kilometer von der Grenze zu El Salvador entfernt liegt, ist der 26-jährige Sohn einer typischen Kaffeeanbau-Familie groß geworden.
Vorsichtig lässt er ein paar der noch warmen Bohnen durch die rechte Hand gleiten, die wenig später in einem der Blecheimer landen, um Platz für die nächste Acht-Kilo-Ladung zu machen. Cortéz, ein kräftiger Mann mit breitem Kreuz und rundem Gesicht, wirft den beiden Kollegen, die die Bohnen abwiegen, einen aufmunternden Blick zu. Dann kippt er einen neuen Eimer mit grünen Kaffeebohnen in die Rösttrommel. „Im laufenden Jahr haben wir unsere Röstmenge kontinuierlich gesteigert. Die Nachfrage ist da, unsere Ernte war ausgesprochen gut und hat unsere Erwartungen auch qualitativ eher übertroffen“, sagt der junge Kaffeebauer mit einem zufriedenen Grinsen.
Cortéz baut auf rund 3,5 Hektar Kaffee an. Das Land haben ihm seine Eltern überschrieben, nachdem Carlos Guevara sie informierte, dass ihr Sohn kurz davor war, Honduras per Karawane in Richtung USA zu verlassen. Dass Cortéz Eltern mit der Überschreibung des Landes zögerten, ist typisch: Viele Eltern haben Sorge, dass ihre Kinder das Land nicht erfolgreich bewirtschaften können. Gleichzeitig ist Auswanderung eine zentrale Herausforderung für die Zukunft des Kaffeeanbaus in Honduras, aber auch in zahlreichen Nachbarländern. In Honduras verlassen laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen zwischen 700 und 1.000 Menschen täglich das Land.
Die Vereinigung der Kaffeeproduzenten von San Andrés, Asprosan, will das ändern. Guevara, einer der beiden Geschäftsführer, hat die Gründung der Genossenschaft 2017 mit auf den Weg gebracht. Der 38-Jährige und mit ihm rund zwanzig weitere Kaffeebäuerinnen wollten endlich faire Preise für guten Kaffee bekommen. Sie wollten nicht weiter von den Coyotes, den Kaffeeaufkäufern, über den Tisch gezogen werden.
„Anständige Preise sind essenziell“
Indem sie ihre Ernte in Eigenregie verkaufen, können sie direkt mit Ankäufern und Kaffeeimporteuren über die Preise verhandeln. Je besser informiert und vernetzt die Kaffeebäuerinnen sind, desto mehr verdienen sie. „Anständige Preise sind essenziell, um den Lebensstandard hier zu verbessern, aber auch um die Jugend hier zu halten“, erklärt der Forstingenieur und Kaffeebauer.
Eine weitere Initiative der Genossenschaft war die Gründung einer Jugendgruppe, die Ósman David Cortéz und Dilcia Vasquez leiten. Beide wollten 2021 gehen, jetzt reden sie mit anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen offen über ihre damaligen Fluchtpläne und versuchen ihnen andere Perspektiven aufzuzeigen.
„2021 war meine Entscheidung, mich einer Karawane anzuschließen und in die USA auszuwandern, schon gefallen. Wir waren zu acht, darunter auch Dilcia Vasquez, die heute die Arbeit der Imker in unserer Jugendgruppe koordiniert“, erklärt Cortéz. Vasquez, gerade 25 Jahre alt und ausgebildete Lehrerin, sitzt im hinteren Teil der unverputzten Lagerhalle und koordiniert nach dem Unterricht das Abfüllen des Honigs, das Aufstellen der Bienenkästen und bei Bedarf den Umzug der mehr als 100 Bienenvölker der Gruppe. Das macht ihr besonders Spaß, vor drei Jahren war das noch ganz anders.
„Ósman, sechs Freunde und ich sahen hier in San Andrés keine Perspektive. Wir wussten schlicht nicht, wie wir auf eigenen Beinen stehen, etwas Eigenes aufbauen sollten, denn wir hatten weder Kapital noch Land – nur Träume“, schildert Dilcia Vasquez offen ihre Erinnerungen. Heute hat sich das geändert, und dafür sind Carlos Guevara und Deniz Orlando Cortéz, der zweite Geschäftsführer von Asoprosan, verantwortlich. Die beiden hatten über die Eltern von den Plänen der Gruppe erfahren und ergriffen Initiative: „Sie haben uns um ein Gespräch gebeten, uns zum Bleiben aufgefordert und uns den roten Röster und zwanzig Bienenvölker geschenkt“, erinnert sich Ósman.
Darüber hinaus haben sie ihnen versprochen, sie in den Gesprächen mit den Banken und ihren Eltern zu unterstützen sowie ihnen Röst- und Imkerkurse zu organisieren. „Da waren wir platt“, sagt der junge Mann mit anerkennender Geste. Dann deutet er auf die Honiggläser, die im Regal in der kleinen Halle neben den Kaffeekartons stehen. „Sie haben uns den Steilpass für die Gründung unseres Start-ups und für die Jugendgruppe von Asoprosan gegeben“.
Der gehören mittlerweile 25 junge Erwachsene und ein paar Teenager aus San Andrés an. In der Gruppe wird viel diskutiert. „Über gemeinsame Projekte, individuelle Perspektiven und folgerichtig auch über Auswanderung“, erklärt Dilcia Vasquez, die mittlerweile viel über Honig gelernt hat. Der wurde in der waldigen Region bisher nicht oder kaum als zusätzliche Einnahmequelle für die Kaffeebäuer:innen betrachtet. Das hat sich geändert, denn Honig wird durchaus wertgeschätzt und erzielt gute Preise, so Vasquez. „Im letzten Jahr haben wir rund 2.800 Liter Honig geerntet“, erklärt die sympathische Frau. Sie hat in diesem Jahr dafür gesorgt, dass die Bienenstöcke an mehreren Standorten standen, je nach Blütezeit. Das könnte dafür dazu führen, dass die Erträge steigen und die Gruppe dadurch besser verdient.
Davon profitiert auch Dilcia. Die Lehrerin hat gerade eine Lohnerhöhung erhalten. „Die Regierung von Präsidentin Xiomara Castro hat die Auswanderung als drängendes Problem erkannt“, freut sie sich. Die Regierung habe das Bildungsministerium nun aufgefordert, die Auseinandersetzung mit dem Thema Migration auch in den Unterricht aufzunehmen und die Löhne für Lehrkräfte zu erhöhen.
Seither diskutiert Dilcia Vasquez im Unterricht mit den Heranwachsenden, gibt ihre eigene Erfahrung preis und schickt auch mal einen Schüler oder eine Schülerin bei Ósman und dem dreiköpfigen Röstteam vorbei, oder auf eine der Kaffeefarmen von Asoprosan. Kaffee ist in der Region rund um San Andrés das wichtigste Exportprodukt, und bei Anbau, Ernte und Verarbeitung muss auf Qualität geachtet werden. Dafür sind vor allem die beiden Asoprosan-Geschäftsführer, Carlos Guevara und Deniz Orlando Cortéz, verantwortlich, die ihr Büro außerhalb von San Andrés haben.
Auf einer Anhöhe steht das einfache Haus, wo die Büros sowie das kleine Kaffeelabor mit dem prall gefüllten Regal mit Proben von Kaffeebohnen aus der letzten Ernte, untergebracht sind. Einen Steinwurf vom Bürohaus entfernt steht ein Treibhaus, wo Setzlinge junger Kaffeepflanzen sowie Setzlinge für Schattenbäume gezogen werden.
Mit 17 Kaffeebäuer:innen begann Asoprosan im August 2017, heute sind 159 Frauen und Männer Mitglied. Alle bauen nach agroforstwirtschaftlichen Kriterien an. Das bedeutet konkret: Die Kaffeepflanzen werden im Schatten der Pinienwäldern rund um San Andrés angepflanzt. Das macht Sinn in einer Region, die vor allem lockere, sandige und ziemlich trockene Böden zu bieten hat, weshalb Erosion ein Problem darstellt. Obendrein sind die Niederschläge knapp. „Die Pinien sorgen zugleich für den nötigen Schatten für die empfindlichen Kaffeepflanzen“, erklärt Deniz Orlando Cortéz.
Beratung beim agroforstwirtschaftlichen Anbau von Kaffee, aber auch bei der Auswahl der richtigen Kaffeepflanzen stehen im Zentrum der Arbeit der beiden Asoprosan-Geschäftsführer. „Hinzu kommt die regionale Vernetzung mit anderen Genossenschaften und seit nunmehr drei Jahren die Prävention von Migration“, so Carlos Guevara. Der groß gewachsene Mann mit Vollbart und der rauen, etwas brüchigen Stimme ist Forstingenieur. „Wir wollen die Jugend hier halten, ihnen Perspektiven aufzeigen, der Überalterung der Genossenschaft vorbeugen“, erklärt Guevara.
Der Verkauf läuft von Jahr zu Jahr besser, weil die Genoss:innen gute Qualität liefern und zu 90 Prozent biozertifiziert sind. Zu den Kunden gehört auch eine deutsche Fair Trade Company, die in diesem Jahr erstmals auch den Café Antimigrante geordert hat. „Das ist ein neuer Rohkaffee, den wir anbieten, um die Auswanderung aus unserer Region zu bremsen. Die Einnahmen verwenden wir inklusive Solizuschlag für Jugendprojekte“, erklärt Guevara mit stolzer Mine. Er ist genauso wie sein Kollege Deniz Orlando Cortéz sicher, dass mehr für die Jugend getan werden muss. Cortéz war vor rund zehn Jahren an dem gleichen Punkt wie die acht jungen Erwachsenen um Ósman und Dilcia, die sich einer Karawane im honduranischen San Pedro Sula anschließen wollten, um über Guatemala und Mexiko den risikoreichen Weg in die USA zu gehen.
„Auch ich wusste vor zehn Jahren nicht weiter, spielte mit dem Gedanken zu gehen – bis mein Vater mir unter die Arme griff. Er hat mir rund sieben Hektar Brachland überschrieben, wo ich meinen ersten eigenen Kaffee anbauen, mich ausprobieren konnte“, erinnert sich der 34-Jährige und schiebt die tief in die Stirn gezogene Baseballmütze etwas nach oben. Seitdem hat er viel über Kaffeesorten, die Unterschiede in den Aromen und die Ansprüche an Böden und Feuchtigkeit gelernt. Deshalb ist er heute für die Auswahl der Sorten, die bei Asoprosan zum Einsatz kommen, verantwortlich. Daneben bewirtschaftet er seine knapp 20 Hektar große Kaffeefarm und gehört damit zu den großen Kaffeebauern der Region.
Vielen Jugendliche in der Region San Andrés und auch den sieben anderen Kaffeeanbauregionen in Honduras geht es so wie einst Deniz Orlando Cortéz: Sie stehen ohne oder mit zu wenig Land da, fragen nach ihren persönlichen Perspektiven und etliche riskieren den risikoreichen Weg in die USA. Dort locken Löhne von 100 US-Dollar und mehr am Tag, in Honduras sind Löhne von umgerechnet 10, 12 US-Dollar am Tag im Kaffeesektor normal. Doch die Abwanderung schlägt sich mittlerweile in sinkenden Ernten nieder. „Honduras ist als Kaffeeexportland von fünften auf den sechsten Rang im globalen Ranking zurückgefallen. Dafür ist die Auswanderung genauso verantwortlich wie der Klimawandel, der uns den Anbau erschwert“, meint Cortéz mit missbilligender Mine.
Für 15.000 Dollar in die USA
Um die Jugend zu halten, müsse die Regierung in Tegucigalpa aktiv werden, so der Kaffeebauer. Über Migration in der Schule zu sprechen, ist wichtig, aber für Ósman David Cortéz genauso wie Carlos Guevara und Deniz Orlando Cortéz reicht das nicht aus. Sie fordern mehr Investitionen in die Bildung, eine bessere Infrastruktur und vor allem Jobs. Die Regierung von Xiomara Castro ist im Januar 2022 unter anderem mit dem Versprechen Migration zu bremsen angetreten. Sie tut sich jedoch schwer damit, Konzepte zu entwickeln und landesweite Initiativen zu lancieren.
Das sieht auch Rodolfo Peñalba so. Er ist langjähriger Geschäftsführer von der mit 1.600 Genossinnen deutlich größeren Biokaffee-Genossenschaft Comsa im Anbaugebiet Marcala. „Fakt ist, dass die Kaffeeproduktion nicht mit den hohen Löhnen in den USA konkurrieren kann. Ich höre immer wieder von Menschen, die nur wenige Stunden nach ihrer Ankunft in den USA Arbeit haben“, sagt er. 12.000 bis 15.000 US-Dollar kostet die Reise per Schleuser von Marcala in die USA. Für viele ist das eine gute Investition. Die Reise ist zwar teuer, aber die Coyotes, wie die Schleuser genannt werden, haben auch viele Kontakte, sie vermitteln schnell Jobs, da die Geschleusten die Kosten der Reise erst einmal abarbeiten müssen, so Peñalba. Doch genau diese Praxis könnte der designierte US-Präsident Donald Trump nun ins Visier nehmen.
Auch für Comsa, mit einem Durchschnittsalter von 45, 46 Jahren eine alternde Genossenschaft, macht sich die Abwanderung vor allem bei der Ernte, die im Oktober anlief, verstärkt bemerkbar. „Daher versuchen wir die Ernte mit neuen Kaffeepflanzen, effektiveren Abläufen zu komprimieren. Wir wollen mittelfristig nicht über vier, fünf Monate ernten, sondern nur über wenige Wochen. Dabei ist die Mechanisierung der Abläufe eine Option, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben und als Anbieter auf dem Weltmarkt zu bestehen“, schildert der 59-jährige Peñalba. Das sei wegweisend, nicht nur weil die Kooperative zu den großen Exporteuren des Landes gehört, sondern auch auf Biokaffee, nachhaltige Produktionsmethoden und auf Qualität setze. Das habe dafür gesorgt, dass die Nachfrage aus Deutschland, Frankreich, aber zunehmend auch aus Asien stabil ist. Zudem liegen die erzielten Preise meist über dem Weltmarktniveau.
Doch auch die innovative Entwicklung der letzten Jahre wird mittel- und langfristig nur zu halten sein, wenn die Jugend im Land bleibt und die Entwicklung zu mehr Qualität beibehält. Das ist für Peñalba die zentrale Herausforderung, und dafür muss mehr vor Ort investiert werden: in die Schulen, in die Infrastruktur, aber auch in den Schutz und die Verfügbarkeit zentraler Ressourcen wie Wasser und Böden. Dafür ist laut Peñalba mehr Engagement der Regierung nötig, genauso wie mehr Hilfestellung der USA.
Die hat noch vor ein paar Jahren unter Barack Obama die Stärkung der Justiz, Aufforstungs- und Jobprogramme in Mittelamerika gefördert. Unter Donald Trump wurde das 2017 eingestampft, und es ist wahrscheinlich, dass 2025 von seiner Regierung nichts zu erwarten ist.
Ósman David Cortéz ist froh, dass all das kein Thema mehr für ihn ist. Er hat im Februar geheiratet, sieht derzeit genau die Perspektiven in San Andrés, die er früher nicht gesehen hat. „Heute habe ich das Vertrauen meiner Eltern, organisiere unser Röstteam, das zwei eigene Kaffeemarken lokal und regional etabliert hat. Die Fortschritte sind spürbar“, sagt er zufrieden. Diese Meinung teilt Dilcia Vasquez. „Wir haben unser Verkauf- und Vertriebsnetz über Freunde und Bekannte in Städten wie San Pedro Sula, Tegucigalpa oder Tela aufgebaut. All das wäre jedoch nicht passiert, wenn Carlos und Deniz uns nicht unter die Arme gegriffen und ermutigt hätten.“
Erfolgreiche Kleinunternehmer:innen sind sie geworden, und Lehrerin Vasquez ist sich sicher, dass das Modell auch in anderen Regionen des Landes funktionieren könnte. Dafür wirbt sie in der Schule von San Andrés, und zumindest lokal hat das einen Effekt. „Wir wissen von niemanden aus den Familien unserer Genoss:innen, die oder der in den letzten drei Jahre gegangen ist. Das ist ein Fortschritt“, erklärt Carlos Guevara. Er wünscht sich allerdings mehr öffentliche Unterstützung, vor allem angesichts des Wahlergebnisses in den USA. Deshalb hat er vor ein paar Wochen ein Video über die Erfolge der Jugendgruppe von Asoprosan in Auftrag gegeben. Das will er nächste Woche zum ersten Mal posten – nicht nur in der Kaffeebranche.
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