Kabinett beschließt Gesundheitsreform: Bürokratisch, teuer, ungerecht
Es ist die vielleicht einschneidendste Veränderung in den vergangenen Jahren: Röslers Gesundheitsreform. Doch die Lasten tragen die Versicherten.
Es ist eine kleine Revolution, vielleicht eine der einschneidendsten Veränderungen in der Gesundheitspolitik seit Jahren. Denn wenn am Mittwochvormittag das Bundeskabinett die Gesundheitsreform von Minister Philipp Rösler (FDP) abnickt, werden für die Versicherten weitgehende Veränderungen beschlossen. In Zukunft werden die Arbeitgeber nicht mehr zu gleichen Teilen die Kostensteigerungen im System mittragen - allein die Versicherten werden über Zusatzbeiträge die Kosten aufbringen müssen.
Die Empörung, zumindest auf der einen Seite des Plenums im Bundestag, ist groß: "Die Parität ist komplett am Ende", sagte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach der taz, Gesundheitsminister Rösler sei "als Lobbyist enttarnt".
Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss findet eine beispiellose politische Auseinandersetzung um die Reform im vielleicht wichtigsten Sektor des Sozialstaats ihren vorläufigen Höhepunkt. Gestartet war Rösler vor knapp einem Jahr mit dem festen Willen, die Kosten der Gesundheit vom Faktor Arbeit abzutrennen und eine sogenannte Kopfpauschale einzuführen.
Der Druck war groß, denn das erwartete Defizit der Krankenkassen für das Jahr 2011 beträgt rund 11 Milliarden Euro. Röslers Ziel: Ein einheitlicher Beitrag, den alle Versicherten unabhängig vom Einkommen zahlen müssen - BademeisterIn wie Bankvorstand. Dass es die Kopfpauschale nun in dieser Form nicht gibt, mag zum Teil an der CSU liegen, die unnachgiebig in Opposition trat und die Pauschale verhindern wollte.
Das ist ihr gelungen. Doch viele bezweifeln, dass die nun erreichte Alternativlösung besser ist. Statt die Kopfpauschale einzuführen, hat die Regierung an vielen kleinen Stellschrauben gedreht - die zum Teil nicht weniger unangenehm sind. Die Sozialbeiträge werden von 14,9 Prozent auf 15,5 Prozent angehoben, der gleiche Wert wie vor Wirtschaftskrise und Konjunkturpaket. Die ArbeitnehmerInnen zahlen dabei mit 8,2 Prozent nach wie vor 0,9 Prozentpunkte mehr als die Arbeitgeber. Auch der Steueranteil für die Gesundheit steigt: Ab 2011 überweist der Staat zwei Milliarden mehr an die Krankenkassen.
Gespart werden soll auch, und zwar bei den Pharmaunternehmen. So legte Rösler fest, dass Hersteller von Medikamenten in Zukunft einen Zwangsrabatt von 16 statt vorher 6 Prozent gewähren müssen. Dadurch erhofft sich Rösler eine Entlastung der Krankenkassen um insgesamt gut eine Milliarde Euro.
In die Kritik geriet Rösler jedoch auch mit seinen Gesetzen zur Pharmabranche: Diese seien zum Teil von den betroffenen Unternehmen selber geschrieben worden, behauptete die Opposition.
Alle übrigen entstehenden Kosten sollen in Zukunft über die Zusatzbeiträge aufgefangen werden. Zwar kommen die meisten Kassen in diesem und auch im nächsten Jahr noch ohne diese aus, dennoch wird wohl es wegen der andauernden Kostensteigerungen ab 2012 einen Zusatzbeitrag für die meisten Versicherten geben. Dieser darf zwar nicht nicht mehr als 2 Prozent des Einkommens übersteigen und es soll auch einen Sozialausgleich geben.
Trotzdem dürften die Kostensteigerungen in den kommenden Jahren wegen immer teurer werdender Medikamente und dem einsetzenden demografischen Wandel erheblich werden. "Es ist ihm geschickt gelungen, die Größenordnung der Reform zu kaschieren", sagt SPD-Politiker Lauterbach über den Gesundheitsminister. "Da Rösler als Person belächelt wird, unterschätzt die Bevölkerung die Folgen".
Selbst in den eigenen Reihen bleibt nach den ermüdenden Auseinandersetzungen der vergangenen Monate das Ergebnis umstritten. Erst in der vergangenen Woche wandte sich CSU-Gesundheitspolitiker Max Straubinger in einem Brief an seine CSU-Kollegen im Bundestag und kritisierte die Regelung des Sozialausgleichs. Diese bedeute "gewaltige Bürokratie in der Betrieben", sagte Straubinger der taz, "ich werde der Regelung nicht zustimmen." Bei den eigenen Leuten will er nun um Zustimmung werben.
Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn kündigte bereits Kompromissbereitschaft an: "Wir werden auf Änderungsvorschläge eingehen", sagte er der taz. Die Reform sei keine Lösung für alle Zeit. "Spätestens in der nächsten Legislaturperiode müssen weitere Schritte folgen", so Spahn.
Breite Zufriedenheit wird die Reform wohl auch dann nicht auslösen. Kurz vor dem Kabinettsbeschluss kritisierten in seltener Einigkeit Arbeitgeber und Gewerkschaften die Reform. "Die Koalition hat stabile Beiträge und die Entkoppelung der Gesundheitskosten vom Arbeitsverhältnis versprochen", sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt dem Hamburger Abendblatt, "tatsächlich werden jetzt die Beiträge zulasten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern deutlich erhöht."
Und Annelie Buntenbach vom Vorstand des Deutscher Gewerkschaftsbunds sprach von "einem der größten Umverteilungs- und Belastungsprogramme gegen die Bürgerinnen und Bürger".
Dass der DGB sich darüber hinaus kaum rühre, wundert SPD-Mann Lauterbach. "Das Gewerkschaftslager ist gefordert", sagte er, "mit der aktuellen Reform gibt Gesundheitsminister Rösler den Gewerkschaften eine Ohrfeige, dass der Kopf wackelt." Lauterbach erwartet sich sogar noch weitergehende Folgen: "Ich bin verwundert, dass die Bevölkerung keinen Widerstand leistet", sagte Lauterbach, "früher sind bei kleineren Verschiebungen tausende Menschen auf die Straße gegangen."
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